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Ausgabe 02 | 2023: Armut? Abschaffen!
Schwerpunkt

Armut abschaffen ist das Ziel

Transferleistungen wie das Bürgergeld stehen vielen Menschen zu. Doch manchmal stellen sich Ämter quer und dann ist der Gang vor ein Gericht unausweichlich. Rechtsanwalt Jörg Schindler streitet oft für seine Mandant*innen vor Gericht.

Wenn Eltern Kinder bekommen, ist das eine intensive Zeit: Viel Freude, Veränderung, aber auch schlaflose Nächte. Doch, wenn Hartz IV - jetzt neu getauft als “Bürgergeld” - die einzige Einnahmequelle ist, wird aus positivem sehr schnell negativer Stress. Aus der Freude wird die Sorge um das Einkommen, die Kosten der ersten Babybekleidung und der Einrichtung. Angst statt Freude, Sorge statt Lachen - das ist die Realität vieler Familien mit Kindern, die Bürgergeld beziehen.

Mit Recht gegen die Angst

In unserer Anwaltskanzlei kämpfen wir gemeinsam mit dem Verein sanktionsfrei e.V. gegen die Mühlen der Jobcenter-Bürokratie. Ob die Geburt überhaupt stattgefunden habe, wollen sie wissen. Ob der Vater Unterhalt zahle oder die Familienkasse Kindergeld. Bei Neugeborenen ohne deutschen Pass: Ob sie einen Aufenthaltstitel hätten. Und immer wird mit dem Entzug der monatlichen Zahlungen gedroht. Teilweise wird diese gleich vorweggenommen. “Vorläufige Leistungseinstellung” heißt das in der Sprache der deutschen Sozialbürokratie, also der Einbehalt der Gelder, bis die Auskunft erbracht oder sich die Frage geklärt hat. Es ist eine ständige Kultur des Misstrauens, der sich die Sozialleistungsbeziehenden gegenüber sehen, zudem die ständige Angst, dass die Mittel plötzlich nicht ausgezahlt werden, die man zur Zahlung der Miete und des Alltags braucht, denn Rücklagen haben diese Familien in der Regel nicht, Erfahrung und selbstbewusste Gelassenheit im Umgang mit den Jobcentern auch nicht. Vergessene Rückmeldungen, Unsicherheit, was eine “Fiktionsbescheinigung” ist oder der Unterschied zwischen Geburtsurkunde und Geburtsbescheinigung, kommen hinzu.

Das alles ist in einem reichen Land wie Deutschland unwürdig. Ja, 20 Milliarden Euro jährlich sind erforderlich, um eine eigene Kindergrundsicherung zu schaffen, die unsere kleinsten Mitglieder der Gesellschaft angemessen und ohne Angst sozial absichert. Zum Vergleich: Der Militärhaushalt ist mehr als doppelt so hoch und soll weiter massiv steigen. Allein das Dienstwagenprivileg, also die Möglichkeit, steuervergünstigt mit Firmenkarosse durch die Bundesrepublik zu fahren, kostet uns 5 Milliarden jährlich. Die Prioritäten sind falsch: Hier muss die Bundesregierung endlich umsteuern.

Jörg Schindler

Es geht ums Geld.

Aber nicht nur: Wer Armut abschaffen will - und das muss das Ziel sein, wenn wir eine Gesellschaft wollen, in der niemand Angst haben muss, nicht am Leben teilhaben zu können -, muss auch die Möglichkeiten stärken, dies umzusetzen. Derzeit müssen Bürgergeldbezieher*innen um jedes Detail kämpfen. Durch Widerspruch, Klage vor dem Sozialgericht und häufig, weil anderenfalls die nackte Existenz gefährdet ist, mit Eilanträgen bei den Sozialgerichten, helfen wir als Rechtsanwaltschaft. Es ist gut, dass es diese Möglichkeiten in unserem Rechtsstaat gibt. Nicht selten müssen die Gerichte die Jobcenter dabei darauf hinweisen, dass das Bundesverfassungsgericht das Recht auf ein angemessenes Existenzminimum, durch den Staat garantiert, aus der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip unserer Verfassung hergeleitet hat. Täglich rücken sie so die Schieflage im Alltagskampf mit den Jobcentern wieder gerade.

Betroffenenrechte stärken ist wichtig.

Nicht nur finanziell, auch in rechtlicher Hinsicht ist die Ampelkoalition bei der Reform, aus Hartz IV ein Bürgergeld zu machen, viel zu kurz gesprungen. Aber wir brauchen eine Stärkung der Rechte der Betroffenen: Zum Beispiel die Verpflichtung zu kurzen Bearbeitungszeiten, auch das “Recht auf Vorschuss” in dieser Zeit. Notwendig ist etwa auch die Abschaffung der Aufrechnung. Der Grundsatz, dass Widerspruch und Klage immer aufschiebende Wirkung haben, muss wieder überall gelten. Nicht zuletzt die Abschaffung der unsinnigen Sanktionen ist notwendig: Sie schaden nur den Kindern im Haushalt, nutzen aber wissenschaftlich erwiesen nicht der Integration in den Arbeitsmarkt. Das brauchen wir für eine Gesellschaft ohne Angst. Das sind wir auch uns selbst und unseren Kindern schuldig.

Jörg Schindler ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und enagiert sich bei Saktionsfrei

Weitere Informationen

Homepage von Sanktionsfrei

Sanktionsfrei auf Facebook, Twitter, Instagram und Youtube.

Hinweis

Jörg Schindler hält am Freitag, den 5. Mai um 10.30 Uhr einen Impulsvortrag zum Thema "Mit Recht gegen Armut"

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