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Ausgabe 02 | 2023: Armut? Abschaffen!
Schwerpunkt
Interview

Hilfe vor den Toren von Hamburg

Drogen und Armut - das geht oft zusammen. Wenn das passiert, kann man im beschaulichen Stade Hilfe bei Ina Schiffmann vom Verein für Sozialmedizin bekommen. Wir haben sie interviewt.

Frau Schiffmann, Drogensucht verbinden die meisten ja eher mit Großstädten. Wie ist die Situation eigentlich im beschaulichen Stade, zum Beispiel im Vergleich zum nahen Hamburg?

In Stade gibt es keine klassischen Drogenviertel, wie etwa St. Georg in Hamburg. Nichtsdestotrotz kann auch in Stade am Bahnhof kaufen, was er oder sie möchte. Das ist hier nicht anders als in Hamburg. Wer Drogen kaufen möchte, kann das überall tun. Drogengebrauchende Menschen haben einen Blick dafür, wo sie was bekommen. Ob Groß- oder Kleinstadt: Wer kaufen will, kann kaufen.

Oft heißt es, dass der Drogenverkauf inzwischen über das Internet und insbesondere über Messenger wie Telegram geht. Hat sich da was verändert?

Regelmäßig Drogen gebrauchende Menschen haben in der Regel ihren Stammdealer und werden von denen vor Ort versorgt. Jugendliche kaufen, glaube ich, viel über das Internet. Pauschal kann man aber nichts sagen. Das Internet eröffnet Möglichkeiten. Viele unserer Klienten kaufen trotzdem stationär.

Viele der Klientinnen und Klienten sind ja nicht sehr vermögend. Woher bekommen die das Geld für den Konsum?

Sie kaufen die Drogen von dem Geld, das sie haben. Das kann Grundsicherung sein oder Arbeitslosengeld, aber viele gehen auch arbeiten und bezahlen die Drogen von ihrem Lohn. Und einige werden sicher auch straffällig und begehen zum Beispiel Diebstähle. Die Szene versorgt sich auch untereinander. Wenn man in einer Szene ist, in der viele Suchtmittelabhängig sind, wird auch immer mal ausgeholfen. Wenn der eine kein Geld mehr hat, hilft der andere mal aus und je nachdem, was man gebraucht, sind auch Dealer geneigt, Vorschuss zu geben.

Was bietet der Verein für Sozialmedizin in Stade denjenigen, die keine Drogen mehr nehmen möchten?

Häufig ist es so, dass Menschen, die Suchtmittel gebrauchen und einen abstinenten Weg einschlagen möchten, sich ein neues soziales Umfeld suchen müssen. Sie dürfen nicht immer wieder in Kontakt  kommen, mit Menschen, die sie in Versuchung führen, wieder rückfällig zu werden. Das ist bei uns in der Eingliederungshilfe so das Gros an Menschen, mit denen wir arbeiten. Wir haben auch noch eine Fachstelle für Sucht und Suchtprävention, die natürlich  Beratung- und Therapieangebote macht.

Ina Schiffmann

Den Verein für Sozialmedizin gibt es ja schon seit 45 Jahren. Wie hat sich die Arbeit verändert?

(Lacht) So lange bin ich noch nicht dabei, ich bin erst 36. Der Verein ist aus der Suchtselbsthilfe entstanden. Wir haben immer noch Selbsthilfegruppen, die sich treffen. Daraus hat sich die Fachstelle für Sucht und Suchtprävention entwickelt. Wir hatten stationäre Adaptionseinrichtungen, die jetzt zunehmend ambulante Nachsorgegruppen werden. Das sind jetzt unsere ambulant betreuten Wohngemeinschaften. Wir bieten Eingliederungshilfe als aufsuchende Arbeit, die ich vor ein paar Jahren mit aufgebaut habe. Zu Beginn hatten wir in den betreuten WGs etwa zehn Klientinnen und Klienten. Jetzt sind wir so zwischen 80 und 90 Menschen, die wir aufsuchend ambulant betreuen. Wir haben eine CMA-Einrichtung, also eine stationäre Einrichtung für Menschen mit Suchterkrankung. Dafür haben wir vor ein paar Jahren ein altes Hotel als Außen-WG gekauft. Es tut sich eine ganze Menge bei uns, auch in anderen Einrichtungen. Ich glaube, wir sind als kleiner Träger schon ziemlich breit aufgestellt. Es entwickelt sich, würde ich sagen.

Sie haben von WGs erzählt. Ist der Wohnungsmarkt in Stade ein Problem?

Absolut. Es ist unglaublich teuer und es gibt unglaublich wenig Wohnraum hier. Wir sind ja auch Hamburger Umland und die letzte Station von Hamburg aus mit der S-Bahn. Das ist eine großartige Anbindung, macht die Wohnungen aber auch teuer. Kleine bezahlbare Wohnungen gibt es schon gar nicht. Und wenn man dann noch u.U. nicht arbeitet oder  nicht gemäß der mehrheitsgesellschaftlichen Norm auftritt, wird es nochmal schwieriger. Häufig kommen Menschen aus einer Klinik und haben dann keine Wohnung mehr, weil sie ihre Miete nicht zahlen konnten. Selbst unsere Student*innen haben Probleme hier eine Wohnung zu finden, obwohl die sich ja in vielen Bereichen besser verkaufen können, als Menschen mit mannigfaltigen, vulnerablen Problemen.

Ich stelle mal eine These in den Raum und frage Sie nach ihrer Meinung: Wenn die Menschen mehr Geld hätten, würden sie weniger Drogen nehmen?

Ich glaube, das ist unabhängig vom Geld. Drogen nehmen oder keine Drogen nehmen ist eine Haltungsfrage. Es ist ja auch nicht so, dass jeder Mensch, der Alkohol trinkt oder Kokain nimmt und in einem großen Unternehmen arbeitet, deswegen mehr nimmt, weil er beispielsweise zum Geschäftsführer aufgestiegen ist und mehr verdient. Ich glaube, da gibt es keinen Zusammenhang, zumindest nach meinem Alltagswissen.

Der Verein für Sozialmedizin wird ja 45 Jahre alt und sie feiern. Was ist da geplant?

Die Geschäftsführung plant mit einem Komitee eine Feierlichkeit in einer Eventlocation an der Elbe. Es wird wichtige Menschen geben, die etwas sagen. Es wird aber mehr um das Zusammenkommen gehen, feiern und sich austauschen gehen, als um große Reden. Aber ich bin nicht im Planungskomitee und lasse mich daher auch überraschen.

Das Interview führte Philipp Meinert

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