Aus dem Verbandsrat
Suizidassistenz
Am 26. Februar 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe für nichtig. Gleichwohl stellt es fest, dass dies keine Verpflichtung zur und keinen Anspruch auf Leistung der Suizidbeihilfe nach sich ziehe. Neben dem politischen und gesetzgeberischen Diskurs hat das Urteil auch eine umfassende gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen des assistierten Suizids angestoßen. Vielen dieser Diskurse gemein sind ganz grundlegende Problemaufrisse und Verhältnisbestimmungen zwischen Lebensschutz und Autonomie, die wiederum Fragen nach Freiwilligkeit und Zwang, den Potenzialen und Grenzen von Hospiz-/ Palliativversorgung und Suizidprävention sowie den Voraussetzungen der assistierten Selbsttötung in Einrichtungen und Diensten des Sozial- und Gesundheitswesens nach sich ziehen. Dem übergeordnet leitet das Menschenrecht auf ein würdevolles Leben viele dieser Diskurse, in denen Sterben als Bestandteil des Lebens anerkannt und woraus in letzter Konsequenz oftmals – wie auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts – ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben abgeleitet wird. Mit einem aktuellen Eckpunktepapier bringt sich der Paritätische in den politischen und gesetzgeberischen Diskurs ein. Unter anderem konkretisiert der Verband darin rechtliche, fachliche sowie ethische Fragen, die bei den zu treffenden Schutzbestimmungen für die geschäftsmäßige Suizidassistenz in den Blick zu nehmen sind.
Cannabis
Es zeichnet sich ab, dass sich unter der Ampel-Koalition die restriktive Drogenpolitik der Vorjahre ändern und Cannabis zum privaten Konsum freigegeben werden könnte. Der Verbandsrat der Paritätische spricht sich in einer aktuellen Positionierung für eine Neuorientierung in der Cannabispolitik aus. Er, stellte fest, dass Strafen nichts bringen und spricht sich dafür aus, den kontrollierten Verkauf von Cannabis an Volljährige zu ermöglichen. Dabei müssten im Rahmen der Regulierung des Cannabismarktes Jugendschutz, Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen für Jugendliche und Heranwachsende ausgebaut und sichergestellt werden. Der Verband fordert u.a. den Ausbau flankierender und flächendeckender Angebote der Aufklärung, Suchtprävention, Frühintervention und Suchtberatung auch mit Steuereinnahmen durch Cannabisverkauf. Bei der Umsetzung des Gesetzes fordert der Paritätische die Beteiligung der Suchthilfe und Suchtselbsthilfe im Rahmen einer Begleitkommission.
Triage
Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen sind im Gesundheitswesen häufig Vorurteilen und Benachteiligung ausgesetzt. Der Gesetzgeber hat dabei keine Vorkehrungen getroffen, um eine Benachteiligung aufgrund einer Behinderung bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehender intensivmedizinischer Ressourcen zu verhindern, stellte das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2021 in seinem Beschluss zu einer Verfassungsbeschwerde fest, die neun Menschen mit Behinderungen eingereicht hatten. Das Gericht formuliert in seinem Beschluss, der Gesetzgeber habe Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem er nicht tätig geworden ist. Er ist nun verpflichtet, unverzüglich Vorkehrungen zu treffen, um den Schutz vor Diskriminierung sicherzustellen, so das Gericht. Das begrüßt der Paritätische ausdrücklich und bringt sich mit dem aktuellen Eckpunktepapier “Es geht uns alle an – Diskriminierungsfreie Triage ist Menschenrecht” in die Debatte ein. Sehr umstritten ist u.a., inwiefern es überhaupt möglich ist, mit Blick auf die kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit in jeder Konstellation diskriminierungsfrei zwischen Patient*innen zu hierarchisieren. Während einerseits argumentiert wird, es dürfe gerade mit Blick auf Patient*innen, deren Prognose sehr ähnlich ist, nicht der Versuch unternommen werden, eine Einschätzung darüber zu erlangen, bei welchen Patient*innen im Vergleich mit anderen Patient*innen eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit besteht, halten andere dies für richtig und auch diskriminierungsfrei durchführbar. Vor diesem Hintergrund hält der Paritätische es für erforderlich, dass eine rechtliche Regelung randomisierte Verfahren zumindest nicht ausschließt. Die Möglichkeit ab einem bestimmten Punkt solche Verfahren zu wählen, sollte im Rahmen der partizipativ angelegten Konkretisierung der rechtlichen Regelungen intensiv diskutiert werden können.
Schwangerschaftsabbruch
Bis heute ist eine Abtreibung in Deutschland nach § 218 StGB verboten. Seit Jahrzehnten besteht eine lebhafte Debatte um diese Tatsache. Auch innerhalb der Mitgliedschaft des Paritätischen gehen die Meinungen und Haltung auseinander. Während auf der einen Seite Mitgliedsverbände eine Streichung des § 218 StGB aus dem Strafgesetzbuch sowie eine Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs fordern, sprechen sich andere für eine Beibehaltung der in den 1990er Jahren getroffenen Kompromissregelung zu § 218 StGB aus. Letzteres gilt als Abwägung zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und den Freiheitsrechten der Schwangeren. Es ist gelebte und bewährte Praxis im Verband, bei ethischen oder gar Fragen, die der eigenen Gewissensentscheidung obliegen, keine verbandliche Positionierung auf Grundlage von Mehrheitsentscheidungen vorzunehmen. Der Paritätische wird daher keine Positionierung zur Verortung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches vornehmen. Ungeachtet dessen bietet der Verband interessierten Mitgliedsorganisationen Raum für einen innerverbandlichen Diskurs zu Fragen der sexuellen und reproduktiven Rechte und Gesundheit.