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Ausgabe 03 | 2023: Sucht & Drogen
Schwerpunkt
Interview mit Jörg Kons von Fitkids

Eis für alle!

Kinder in Suchtfamilien haben eine besondere Problemlage. Fitkids in Wesel bringt ihnen etwas Freude in ihren Alltag.

Lieber Jörg, Fitkids ist ein aus mehreren Bausteinen bestehendes Programm für Kinder und Jugendliche, die in Suchtfamilien leben. Wie würde man das Programm einem Laien erklären?

Der Kern des Programms ist es, die Kinder in den Blick zu nehmen. Das heißt, den Kindern überhaupt eine Identität zu geben. Diese Kinder leben sehr oft im Verborgenen. Das heißt in Familien, in denen es das Familiengeheimnis Sucht gibt. Wir versuchen diesen Kindern mit dem Fitkids-Programm zunächst einmal eine Stimme zu geben und gleichzeitig eine Infrastruktur zu schaffen, damit Hilfen an diese Kinder kommen. Die Bildsprache, die ich immer benutze, ist: Jedes Kind hat ein Eis verdient und wir müssen schauen, wie auch Kinder aus Suchtfamilien ein Eis bekommen. Bei den betroffenen Kindern aus Suchtfamilien ist dies schwierig. Nicht, weil die Eltern es nicht wollen. Die Eltern versuchen wirklich alles im Rahmen ihrer Möglichkeit, trotz Suchterkrankung, für ihre Kinder zu tun. Und zusätzlich müssen wir als ganze Gesellschaft mitwirken, dass wir es hinkriegen, dass diese Kinder ein Eis bekommen. Dafür müssen wir diese Familien erreichen und dies ist schwierig. Das Fitkids Programm bietet die Möglichkeit.

Wie kommst du an diese Kinder beziehungsweise in die Familien? Die kommen wahrscheinlich nicht zu Fitkids und sagen, dass ihre Eltern Drogen nehmen.

Nein, so ist es nicht. Die Eltern als suchtkonsumierende Menschen kommen zu uns, um Hilfe zu suchen. Wir fragen dann nach, ob sie Kinder haben. Das ist die Zusatzfrage, weil die Eltern ja hauptsächlich wegen ihres Suchtproblems zu uns kommen. Es ist eher nicht die Regel, dass sie nach ihren Kindern gefragt werden. Aber jeder freut sich letztendlich, wenn er oder sie nach seinen Kindern gefragt wird und sagen kann, ob er welche hat oder nicht. Das ist ja keine bedrohliche Frage. Aus Sicht der Berater oder der Beraterinnen, die in Drogenberatungsstellen arbeiten, ist das etwas anderes. Die wissen schon, dass die Eltern oft Angst und Sorge vor dem Jugendamt haben.

Und wenn die Menschen dann bestätigen, dass sie Kinder haben?

Wir bieten Weihnachtsgeschenke, Familienausflüge und Kinderausflüge als positiven Einstieg zum Kinderthema an. Quasi so: Wir machen Ausflüge. Haben sie ein Kind und wollen sie das gern dafür anmelden? Schon weiß ich alles über das Kind. Das ist viel charmanter als das Thema Kindeswohlgefährdung. Wir wollen hier auch eine einladende Atmosphäre schaffen, indem wir hier zum Beispiel eine Spielecke eingerichtet haben. Also einfach kinderfreundlich aufzutreten, wenn wir in dieser Umgebung nach den Kindern fragen. So wissen wir zum Beispiel, dass hier in Wesel etwa 120 Kinder bei den Suchtkranken leben. Und über die Angebote erfahren wir überhaupt von denen. Wir haben ja in NRW über 55 Standorte und wissen, es ist überall ähnlich.

Nehmen Kinder in Suchtfamilien ihre Eltern anders wahr als in den Familien, in denen keine Suchtproblematik herrscht?

Auf jeden Fall. In den meisten Fällen ist es so, dass über die Suchterkrankung nicht gesprochen wird. Es gibt dann ein Familiengeheimnis Sucht. Da ist es auch egal, ob es legale oder illegale Drogen sind. Da wird nicht drüber gesprochen. Trotzdem merken die Kinder emotional, dass  irgendwas in der Familie nicht stimmt. Für die Kinder ist es wichtig, dass sie einordnen können, was da los ist. Letztendlich ist es bei diesen Kindern genau so wie bei allen anderen Kindern. Sie denken, sie wären für die Stimmungsschwankungen ihrer Eltern verantwortlich, obwohl sie das gar nicht sind. Die Eltern können an ihrer Suchtkrankheit auch nicht so viel ändern. Von daher geht es auch immer darum, eine Sprache zu finden, mit der man kindgerecht dieses Suchtgeheimnis in einer guten Umgebung auflösen und dann beidseitig auf Kinder- als auch Erziehungsseite gucken kann und wie man Hilfen dahin bringen, wo sie gebraucht werden. Die Kinder brauchen eine besondere Förderung und eine besondere Unterstützung. Meist haben sie Multiproblemlagen. Das heißt, es gibt wenig Geld, Bildung ist auch schwierig und eben die Sucht in der Familie. Die Themenbereiche reichen ja eigentlich schon. Viele Hilfen, die ihnen zustehen, dringen nicht bis dahin durch. Diese Eltern stellen keine Anträge, sie brauchen dafür Unterstützung.

Fitkids beschäftigt sich seit 1996 mit ihrem derzeitigen Schwerpunkt, entstanden und gibt es in der heutigen Form seit 2005. Wie hat sich das Suchtverhalten verändert?

Die Lage ist krasser geworden. Die Situation ist für die Eltern schwieriger geworden. Der Mehrfachdrogenkonsum hat zugenommen. Früher gab es Menschen, die haben ausschließlich Alkohol oder Heroin genommen. Heute gibt es hauptsächlich Mischkonsum. Diejenigen, die Alkohol trinken, nehmen auch Cannabis und Amphetamine, zum Beispiel. Es wird gemischt und das bedeutet, dass durch Stimmungsschwankungen die Situation in den Familien schwieriger wird. Mir ist wichtig zu betonen, dass diese Menschen das nicht absichtlich machen. Gerade kommt hinzu, dass diese Kinder die ganz großen Verlierer der Corona-Pandemie sind. Selbst Kinder in geordneten Verhältnissen haben unter der Situation während Corona gelitten und du kannst dir vielleicht vorstellen, dass Kinder in schwierigen Familien noch einmal deutlich mehr gelitten haben. Kinder- und Jugendpsychologen gibt es nur wenige. Von daher muss ich leider feststellen, dass die Situation dieser Kinder mit ihren Eltern schwieriger geworden ist. Das Positive ist: Es wird mehr über das Thema gesprochen. 2012 haben wir hier in NRW das Netzwerk „Kinder von süchtigen Eltern“ ins Leben gerufen und treffen uns regelmäßig mit 20 bis 40 Kolleginnen und Kollegen aus Nordrhein-Westfalen, die überall Angebote haben. Das ist schon ein guter Verbund. Was sich aber überhaupt nicht verbessert hat und was ich an dieser Stelle total schade finde, ist die finanzielle Unterstützung sowohl auf Landesseite als auch auf Bundesseite. Da gabs das Präventionsgesetz, dass ab 2010 Erleichterung schaffen sollte. Leider ist von dem bis jetzt und an den Stellen, die es wirklich gebrauchen könnten, nichts angekommen.

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht, dass Hilfen für Kinder aus sucht/psychisch kranken Familien unterstützt werden sollen. Fitkids könnte hier mit seinen 76 erfolgreichen Standorten die Lösung werden.

Hast du eigentlich noch Kontakt zu ehemaligen Kindern, die du damals betreut hast und die heute erwachsen sind?

Auf jeden Fall. Da ich ja auch in meiner Zeit in der Beratung mitverfolgen musste und durfte, wie diese transgenerationale (Familien) Weitergabe stattfand. Das heißt, ich werde in einer Familie groß, wo selbst der Hamster Drogen nimmt (lacht). Wenn das ganze Drumherum etwas mit Drogen und Alkohol zu tun hat, hast du wenig Chancen, in irgendeiner Form davon nicht betroffen zu sein. Häufig hinzu kommt auch leichter Drogenhandel und Kriminalität. Es ist das Milieu, in dem die Kinder reingewachsen sind und die Suchtkrankheit wurde weitergegeben. Aus den Menschen, die früher Alkohol getrunken haben, sind die geworden, die heute Opiate nehmen. Es hat sich gesteigert und der Suchtstoff wurde immer intensiver. Praktisch haben wir die Kinder in die nächste Sucht begleitet. Mit Fitkids versuchen wir den Suchtkreislauf zu durchbrechen und die Hilfe an diese besonderen Kinder zu bringen, die noch was verändern können.

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