Zum Hauptinhalt springen
hier klicken um zum Inhalt zu springen
Ausgabe 03 | 2023: Sucht & Drogen
Schwerpunkt
Amélie Siegmund
Exklusivinterview

Max Mutzke über seine Mutter

Inzwischen gibt es viele Castingstars und die wenigsten haben nach der ersten Single noch Relevanz. Max Mutze ist eine Ausnahme. Nachdem er 2004 in einer TV-Show von Stefan Raab entdeckt wurde, ist er eine etablierte Größe der deutschen Poplandschaft und Stammgast in den Charts und Talkshows. Doch der 42-Jährige nutzt seine Bekanntheit auch, um die schwarzen Flecken seiner Vergangenheit bekannt zu machen und damit anderen zu helfen. Seine Kindheit war auch geprägt vom Alkoholismus seiner Mutter, die 2013 daran verstarb. Wir sprachen mit Max Mutze, der auch dieses Jahr NACOA-Botschafter ist, in einem sehr persönlichen Gespräch.

Lieber Max, wann und in welcher Situation hast du zuletzt an deine Mutter gedacht?

Gestern Morgen. Ich war bei meiner Schwester in Bern. Beim Abendessen hat sie mich gefragt, wie für mich der letzte Moment mit unserer Mutter war. Meine Schwester wollte gestern nach all den Jahren noch einmal wissen, wie der letzte Moment mit der Mama war. Wir sprechen selten darüber, wenn dann aber intensiv. Denn ich bin der Letzte, der mit ihr noch Kontakt hatte. Ich habe sie gefunden, als sie die alkoholbedingte Hirnblutung hatte, an der sie letztendlich gestorben ist. Wir hatten noch einen wunderschönen Abend zusammen. Schöne Abende gab es da schon nicht mehr so oft. Die Abende waren eher eine Katastrophe. Meistens hatte man in den nächsten Wochen keine Lust mehr, meine Mutter zu sehen. Diese Abende sind im Alkoholkonsum eskaliert und das waren schon komische Momente, die kaum auszuhalten waren. Aber am besagten Tag rief mein Vater aus seiner Praxis an und bat mich, mal nach der Mama zu sehen, weil sie das Telefon nicht abnahm. Die erste Vermutung war natürlich, dass sie vielleicht betrunken sei. Aber als ich da war habe ich gleich gemerkt, dass da was nicht stimmt und habe den Notarzt gerufen.

Wie sehr spielt deine Mutter im Alltag noch eine Rolle?

Wir kommen schon ab und zu auf das Thema, aber nicht so, dass es alltäglich wäre. Ich habe ja auch kleine Kinder, die meine Mutter teilweise noch kannten und wussten, dass sie die coolste Oma der Welt war. Meine Kinder vermissen sie total und ich kann es nachvollziehen, denn mein Lieblingsmensch war immer mein Großvater. Wir sind uns auch sehr ähnlich und teilen denselben Humor und eine sehr aufgedrehte energiegeladene Familie.

Wie würdest du das Aufwachsen mit einer alkoholsüchtigen Mutter beschreiben und was hat vielleicht gefehlt?

Eigentlich geben Mutter und Vater einem Kind ja schon einen Safe Space, also einen Raum, in dem man sich immer sicher fühlen sollte. Der ist ja viel zu vielen Kindern nicht vergönnt. Dazu gehört, dass es ganz wichtig ist, Rituale zu haben, etwa immer zur gleichen Zeit für die Schule geweckt zu werden und regelmäßig ein Frühstück zu bekommen, Mittagessen nach der Schule zu haben und auch Hausaufgaben zu machen. Ich finde sowas megaschön und wichtig. Als junger Mensch gibt dir so etwas Sicherheit. Bei uns gab es das zum Glück auch. Mein Vater war sehr zuverlässig und ist es immer noch. Wir hatten eine Angestellte, die wie eine Oma für uns war, uns Essen gemacht und auf die Kinder aufgepasst hat. Meine Mutter war da schon nicht mehr so zuverlässig, hatte aber auch nicht den Charakter einer „klassischen“ Mama und Hausfrau, wie es dem damaligen Rollenbild entsprach. Sie war zu außergewöhnlich. Sie war Schauspielerin, sie war musisch begabt und hatte total Bock, Sachen zu erleben. Sie war nachts wach und wollte vormittags schlafen. Daher brauchten wir eine Figur wie diese Angestellte und schon einen Safe Space. Und das ist ja bei vielen Menschen, die in suchtbelasteten Familien aufwachsen, leider nicht vergönnt. Vor allem nicht, wenn vielleicht sogar beide Eltern suchtbelastet sind. Das mag ich mir gar nicht vorstellen. Also trotz der schwierigen Pakete, die wir als Kinder zu tragen hatten, gibt es garantiert Schicksalsschläge, die um ein Vielfaches schlimmer waren als das, was ich erlebt habe. Aber ich habe es trotzdem mitbekommen und es hat uns auch trotzdem richtig belastet.

Deine Mutter ist ja 2013 gestorben. Du hast in einem sehr emotionalen Lied namens „Hier bin ich Sohn“ 2015 den Tod auch künstlerisch mit einer gewissen Wut und einer gewissen Enttäuschung auf die Sucht verarbeitet. Wie würde ein Lied über die Situation mit 10 Jahren Abstand über die gleiche Situation klingen?

Hier bin ich Sohn

Es war das erste Lied, das ich über den Tod meiner Mutter geschrieben habe und es war schon richtig, dass ich es so geschrieben habe. Heute würde ein Lied zum selben Thema schon anders klingen, weil ich ihre Krankheitsgeschichte ganz anders akzeptieren kann. Das Lied kam nach ihrem Tod raus, entstand aber noch zu ihren Lebzeiten. Sie hat es gehört. Da waren wir natürlich noch in dieser Verzweiflungsrolle und wollten sie zurückholen, wenn sie uns lässt. Es ist ein kämpferisches Lied und auch gleichzeitig hatten wir diese Verzweiflung, mit der wir leben mussten. Wir haben nicht gewusst, wo hinten und vorne ist. Deswegen hat es damals so klingen müssen. Jetzt ist sie tot und unmittelbar nach ihrem Tod konnte ich ihre Krankheit komischerweise sofort akzeptieren. Das lag aber daran, dass wir als Freund der Familie einen sehr schlauen Menschen bei uns hatten. Der ist evangelischer Pfarrer und ist sehr weltoffen und tolerant. Er hat dann gehört, wie verzweifelt wir waren und meinte: Leute, ist es vielleicht nicht so, dass man jetzt akzeptieren kann, dass es für eure Mutter keinen anderen Lebensweg gab, nachdem ihr alles versucht habt? Und das fand ich ganz wichtig für mich. Tatsächlich haben wir immer darüber nachgedacht, was wir noch alles anders hätten machen können. Aber mit all den Versuchen, die wir gestartet haben, keine Möglichkeiten mehr, die uns einfallen würden, die man hätte anders machen können und die man noch hätte probieren können. Und wenn man alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, muss man auch sagen, dass es keinen anderen Weg gab. Und das fand ich ganz interessant. So konnte ich den Tod akzeptieren. Hätte sie zum Beispiel betrunken einen tödlichen Autounfall gehabt und wir hätten noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, wäre das eine ganz andere Sache gewesen zu akzeptieren. Aber so hat es funktioniert.

Du redest da heute sehr offen und öffentlich drüber. Aber das Thema ist sehr schambesetzt. Wieviel Überwindung hat es dich gekostet?

Jetzt als reflektierter erwachsener Mensch mit dem Wissen, dass man anderen Menschen unglaublich dabei hilft und ihnen totalen Halt gibt, fällt mir das sehr einfach. Ich finde es jetzt gar nicht schwer, weil ich einfach weiß, was man damit erreichen kann. Inzwischen auch, wenn ich das Lied singe. Am Anfang habe ich auf der Bühne gar nicht darüber gesprochen. Ich habe das, worum es geht, total verschleiert in kryptischen Ansagen. Ich wollte erst nicht sagen, dass es in „Hier bin ich Sohn“ um meine Mutter geht, weil ich noch nicht so weit war. Da war auf jeden Fall eine Hürde. Dann habe ich aber irgendwann darüber reden können und habe gesehen, was es bei den Menschen auslöst, wenn ich das Lied live spiele. Viele Menschen sitzen dann da und weinen. Im Gespräch habe ich dann erfahren, dass es nicht nur daran lag, dass sie mitgenommen waren von meiner Geschichte, sondern oft in recht ähnlichen Situation waren. Sie haben dann festgestellt, dass der Typ auf der Bühne genau die gleichen Päckchen zu tragen hat, die sie selbst tragen müssen. Da haben sie gemerkt, dass sie mit diesem Gefühl nicht alleine sind. Viele haben sich verstanden gefühlt und ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, darüber zu reden. Deshalb fällt es mir auch nicht mehr schwer, weil ich das Gefühl habe, man tut etwas total Gutes damit.

Außerdem bist du Schirmherr von NACOA Deutschland geworden. Wie kam der Kontakt zustande und was war der Grund, dort mitzumachen?

Ich wurde angefragt und habe sofort zugesagt. Mit der COA-Aktionswoche 2023 im Februar ging es dann los. Bisher gab es noch keine Anfrage, die den Nagel so auf den Kopf getroffen hat für mich als Kind suchtbelasteter Eltern.

Nils Müller

Deine Mutter hat ja auch immer wieder Therapien gemacht, wurde aber immer wieder rückfällig. Welche Hilfe hätte sie denn deiner Meinung nach gebraucht, um final wegzukommen?

Ich glaube nicht, dass es eine Hilfe gab, die das bewirkt hätte. Es gab keine Möglichkeit für meine Mutter. In ihrer Kindheit mussten einfach Dinge passiert sein, die schrecklich waren. Meine Mutter war eine sehr intelligente Frau, bekam aber trotzdem nicht die Schulausbildung, die sie hätte bekommen müssen und die sie verdient hätte. Ihre Eltern waren zwar super Großeltern, müssen aber ganz schlechte Eltern gewesen sein. Sie haben meiner Mutter aufgrund so einer ganz komischen konservativen Scheiß-Art verboten, eine höhere Schulausbildung zu bekommen. Eine Frau musste ihrer Meinung nach kochen können, denn wenn der Mann heimkommt, muss da Essen sein. Arbeiten müsse sie nicht auch noch. Meine Mutter musste dann auf die Hauswirtschaftsschule gehen. Aber eigentlich wollte sie gern Abitur machen und Jura, Schauspiel oder Journalismus studieren. Sogar der Lehrer meinte zu meinen Großeltern, dass meine Mutter ein so begabtes und aufgewecktes Kind sei, die was anderes machen müsse als Hauswirtschaftsschule. Aber mein Opa blieb total stur. Sie hatte ihr ganzes Leben lang eine unbändige Wut auf ihre Eltern. Dann müssen auch noch andere Dinge vorgefallen sein, die zu einer ganz tiefen Zerrissenheit ihrer Seele geführt haben. Ich weiß nicht, ob man dann ganz früh mit Therapie hätte ansetzen müssen, aber wir reden von einer Zeit vor den Siebzigern. Wie man weiß, gab es da noch nicht die Fülle psychologischer Angebote und Hilfe wie heute. Es war ein noch viel krasseres Tabuthema als heute noch. Deswegen gab es für meine Mutter auch keine Chance, da raus zu kommen. Sie hatte diese Existenzkomplexe und immer das Gefühl, sie hätte viel mehr erreichen können in ihrem Leben. Wir sehen ja alle oft, was wir nicht haben, anstatt zu schätzen, was wir haben. Und so ist es meiner Mutter auch gegangen.

Du selbst bist aber auch passionierter Weintrinker und Preisträger des Champagner-Preises für Lebensfreude. Du scheinst Alkohol genießen zu können. Wieso hast du die Lust nicht verloren?

Ich bin wie meine Mutter auch ein sehr geselliger Mensch. Ich liebe es, Leute um mich herum zu haben und Momente genießen zu können. Das kann ich auch mit einem alkoholfreien Bier. Aber wenn manche es merken, dass es Alkoholfrei ist, ist das mindestens mal ein Spruch wert. Man merkt gleich, das Trinken ein Gesellschaftsding ist. Und ich muss sagen, dass mir zu einem guten Essen ein gutes Glas Wein total viel geben kann. Ich bin aber nie besoffen. Es kann mal sein, dass man weiß, dass man nicht mehr Autofahren darf. Aber es gibt fast keinen Menschen, der mich jemals besoffen gesehen hat. Nur mit 15 gab es so einen Moment, als wir festgestellt haben, dass Sangria geil schmeckt. Wir haben uns alle eine Flasche reingeschüttet und danach war uns so schlecht. Es war der Horror. Aber es ist ja auch gut, wenn man das mal erlebt und dieses Gefühl zu hassen lernt.

Wie sieht es mit anderen Drogenerfahrungen bei dir aus?

Sonst habe ich keine anderen Droge genommen. Ich hasse rauchen und bin da total konsequent. Es gab auch immer Leute in meinem Umfeld, die viel gekifft haben. Ich habe immer gesehen, was das für die ausmacht und wie lethargisch die plötzlich waren. Samstags morgens bin ich als Jugendlicher immer früh aufgewacht und mit einem sehr guten Freund für zwei bis drei Stunden Motorcross gefahren. Danach sind wir noch bis zum Nachmittag Klettern gegangen. Die Leute, die viel gekifft haben, lagen da noch so halb im Delirium. Die haben nichts auf die Reihe bekommen und wir haben schon sechs Stunden Mega-Action gehabt. Das hat mir gezeigt, was es bedeuten kann, nicht berauscht, sondern Herr seiner Sinne zu sein. Man kann einfach aktiv seinen Tag gestalten. Ich habe auch mehrere Menschen im Freundeskreis und der Verwandtschaft, die mit Cannabis induzierten Psychosen in einen stationären Aufenthalt mussten. Bei einer Person hat es sogar zum Suizid geführt. Bei anderen zu einer schweren Depression. Die Medikamente haben dieser Person komplett ihre Identität geraubt. Das fand ich ganz schrecklich und ich versuche auch immer wieder meinen Kindern zu sagen, dass sie die Finger davon lassen sollen. Jeder Mensch reagiert auf Drogen ja auch unterschiedlich. Es gibt ja auch die, die viel nehmen, trotzdem 85 werden und ein cooles Leben haben. Aber es gibt ja auch immer die Fälle, die ich erlebt habe, dass es wenig Konsum brauchte, um den ganzen Körper und Geist lebenslang zu prägen. Man kann es einfach nicht einschätzen.

Eine letzte Frage, um auch mal etwas von dem schweren Thema wegzukommen: Was steht bei dir künstlerisch und kreativ in nächster Zeit an? Worauf dürfen die Fans sich freuen?

Wir spielen gerade wieder sehr viel, dass macht mich sehr glücklich. Wir sind gerade mit der Bigband der Bundeswehr auf Tour, was ich super finde, denn diese Bigband darf nur zu karitativen Zwecken spielen. Das heißt, man hilft immer mit vielen finanziellen Mitteln ganz explizit einem Verein, wie zum Beispiel bei Ahrtal-Flutopfern. Das ist super. Ich habe auch gerade ein Kinderbuch geschrieben, dass im September erscheint und viel mit mir zu tun hat. Aber da geht es um meine Familie, die ich gegründet habe und nicht um die Vergangenheit, sondern was gerade um mich herum passiert. Dann gibt es dazu ein Lied, ein Hörbuch und eine Lesereise natürlich. Darauf freue ich mich total.

Das Interview führte Philipp Meinert

Über NACOA Deutschland

NACOA Deutschland ist die Interessenvertretung für drei Millionen Kinder und  sechs Millionen Erwachsene, die mit suchtkranken Eltern aufwachsen oder aufgewachsen sind. NACOA setzt sich für ein flächendeckendes Netz der Hilfe ein und will die Situation von Kindern in suchtbelasteten Familien in die öffentliche Diskussion bringen. Neben Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, versucht NACOA durch Lobbyarbeit, oft gemeinsam mit anderen Organisationen, bessere Rahmenbedingungen für COAs (Children of Alcoholics/Addicts = COAs) zu schaffen. Außerdem bietet NACOA eine Onlineberatung für Kinder aus suchtbelasteten Familien an und stellt Information für Fachkräfte zur Verfügung. Zudem organisiert NACOA jährlich die bundesweite COA-Aktionswoche im Februar zum Thema. Sie soll dafür sorgen, dass die Situation von Kindern aus suchtbelasteten Familien in Gesellschaft, Medien und Politik an Bedeutung gewinnen.

Websites: nacoa.de, traudir.de, hilfenimnetz.de (gemeinsam mit KidKit), präsent auch auf Facebook, Instagram und YouTube

Max Mutzke und sein Grusswort als Schirmherr zur COA-Aktionswoche 2023

Mehr über Max

Homepage von Max Mutzke

Max Mutzke bei Facebook, YouTube und Instagram

Inhaltsverzeichnis
zurück zum Seitenanfang