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Ausgabe 03 | 2023: Sucht & Drogen
Schwerpunkt
Cannabis. Bald überall frei zu kaufen?

Wende ohne Ende in der Drogenpolitik

Cannabis könnte bald legalisiert werden. Unsere Fachreferentin Gela Sauermann kommentiert aktuelle Entwicklungen und gibt einen Ausblick auf die potentiellen Folgen.

Mit der Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene für Genusszwecke wurde im Koalitionsvertrag 2021 die drogenpolitische Wende eingeläutet. „Mehr Fortschritt wagen“, endlich auch in der Suchtpolitik!

Deutschland setzte Jahrzehnte in der Drogenpolitik wirkungslos auf Abschreckung, Kriminalisierung und Bestrafung. Weder führte die Angst vor einer Strafverfolgung zu einer Konsumreduktion von Cannabis, noch konnte der Schwarzmarkt für illegale Drogen wirksam bekämpft werden. Kriminalisiert und bestraft wurden fast nur Konsument*innen.

Der Paritätische begrüßte deshalb die längst überfällige Wende in der deutschen Cannabispolitik. Nach dem umfangreichen Konsultationsmarathon „Cannabis - aber sicher“, verabschiedete das Bundeskabinett im Oktober 2022 umfangreiche Eckpunkte. Die Regierungseckpunkte umfassten die Einführung einer kontrollierten legalen Abgabe von Genusscannabis an Erwachsene und verfolgten das Ziel, Jugendschutz und Gesundheitsschutz zu verbessern, Konsument*innen zu entkriminalisieren sowie den Schwarzmarkt einzudämmen.

Der Paritätische fordert diese Entkriminalisierung und Entstigmatisierung von Konsument*innen durch eine marktregulierte Cannabispolitik, die auf Gesundheits- und Verbraucherschutz setzt. Interessiert wartete der Paritätische auf das angekündigte Gesetzgebungsverfahren.

Statt eines Gesetzentwurfs kamen Argumente, die wenig Gutes ahnen ließen. Statt mutig einen Gesetzentwurf vorzulegen, wurden im Mai 2023 veränderte und eingedampfte, neue Eckpunkte vorgestellt. Statt den Markt über lizenzierte Fachgeschäfte für Cannabis zu regulieren, soll nunmehr der Zugang zu kontrolliertem Cannabis nur über vereinsrechtlich organisierte Anbauvereinigungen und eine Mitgliedschaft in diesen sogenannten Anbauclubs ermöglicht werden. Diese neuen Eckpunkte basieren auf einem 2 Säulen Modell. In einer ersten Säule sollen zunächst Anbauvereinigungen und Eigenanbau gesetzlich erlaubt werden. Von lizenzierten Fachgeschäften zur Abgabe von Cannabis ist keine Rede mehr. In einer zweiten Säule soll die Abgabe von Cannabis an Erwachsene im Rahmen von wissenschaftlich begleiteten Modellprojekten in einem späteren Gesetzgebungsverfahren erprobt werden.

Holger Gross / ALL Pictures (C) Holger Gross

Der Bundesgesundheitsminister macht hier ohne erkennbare Not eine Kehrtwende und es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Modellprojekte erst in einem späteren Gesetzgebungsverfahren geregelt werden sollen. Warum nicht gleichzeitig und parallel Beides einführen? Damit wird die Chance verpasst, beide Abgabemöglichkeiten - Anbauclub und modellhaftes Fachgeschäft - zu vergleichen, was Akzeptanz, Nachfrage, Verbraucherschutz usw. betrifft. Vielmehr besteht jetzt die Gefahr, dass die zweite Säule komplett unter den Tisch fällt und gar nicht umgesetzt wird.

Was aber jetzt schon vor Einführung des Gesetzes dringend geregelt werden muss, ist der bundesweite Aufbau von Aufklärung und Suchtprävention und zwar konkret in den Lebenswelten der Menschen: in Schule, Ausbildung, Betrieben, Freizeit und Sportvereinen u.a.

Die Suchtberatung vor Ort ist der erste und meist wichtigste Ansprechpartner für Konsument*innen, Abhängigkeitserkrankte und ihre Angehörigen, aber auch für Institutionen wie Schule, Arbeitgeber, Freizeiteinrichtungen, Kliniken und eben zukünftig auch für Anbauclubs und Fachgeschäfte für Cannabis. Um dieses Aufgabenspektrum von Aufklärung, Prävention, Beratung und Vermittlung zu erfüllen, müssen Suchtberatungsstellen vor Ort substantiell und nachhaltig finanziert werden. Schon jetzt stehen viele Suchtberatungsstellen aufgrund prekärer Finanzierung vor dem finanziellen Aus.

Daneben muss das Drug-Checking jetzt unverzüglich in ganz Deutschland ermöglicht werden, damit Konsument*innen erworbene Drogen auf Verunreinigungen und Zusatzdrogen prüfen lassen können. Eine wichtige, von mir aus auch dritte Säule, wäre dann die Kampagne „It is legal, better don‘t use“. 

Gabriele Sauermann ist Referentin für Suchthilfe

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