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Ausgabe 04 | 2021
Schwerpunkt
Geschäftsführer Jörg Thomas und Vorsitzender Walter Scheffler im Restaurant Grenzenlos in Düsseldorf (Bild: Annabell Fugmann)

"Einfach nur leben"

Ins Restaurant Grenzenlos in Düsseldorf kommen normalerweise viele, die wenig haben. Die meisten haben nach eigenen Angaben ihr Vertrauen in die Politik verloren. Wenn man sie fragt, was sie sich von einer neuen Bundesregierung wünschen, fällt ihnen dann doch etwas ein: wie Teilhabe oder Wertschätzung.

Maggi sitzt an einem hohen Tisch, das Kellner-Portmonee liegt vor ihr, halb geöffnet, sowie das Fenster zur Straße, aus dem sie rausguckt. „Kannst rein Heins“, sagt die Mitarbeiterin vom Restaurant Grenzenlos in Düsseldorf zu einem Mann, der ihr von draußen entgegenblickt.

Eine andere Mitarbeiterin geht durchs Restaurant und klemmt an jede Speisekarte eines Tisches Zettel mit dem Tagesmenü. Leberkäs ist heute das Gericht mit Fleisch, 5 Euro für Normalzahler, 2,50 für Menschen mit einem Sozialpass. 15 Menschen, meist Bedürftige, dürfen seit dem Lockdown hier wieder ein günstiges Frühstück oder Mittagessen zu sich nehmen. Der Rest muss abholen. Freundlich, hell, sauber ist das Ambiente im Restaurant. Warum auch nicht?

Maggi hat pinke Fingernägel, blondiertes Haar und eine Meinung: „Die sollten alle mal ein Jahr lang in einer Hartz-IV-Familie leben“. Die, das sind die Politiker, die für die Menschen hier weitreichende Entscheidungen treffen. Wie für Maggi.

Warum ein ganzes Jahr? Weil die in vier Wochen nicht merken, was alles fehle, sagt sie. Waschmaschinen, Kleidung, und vieles anderes müsste man sich zusätzlich von der knapp bemessenen monatlichen Zuwendung abzweigen, eine unmögliche Aufgabe, meint Maggi. „Die würden alle wieder rückwärts nach Hause kriechen“.

Maggi nimmt am Fenster oder telefonisch Bestellungen für das Tagesmenü entgegen. (Foto: Annabell Fugmann)

Bund soll etwas gegen steigende Mieten machen

Das Restaurant ist trotzdem recht leer, auch Heins will nicht rein. „Die trauen sich noch nicht“, sagt Maggi. Hinten links an einem Zweiertisch sitz Udo und trinkt eine Cola. Schick gekleidet ist er, alles ist aufeinander abgestimmt: Orangene Jacke, gelbe Hose, braune Herrenlederschuhe.

Udo war mit seinem Unternehmen weltweit im Modegeschäft tätig, war reich und ist jetzt arm, hat Millionen an Schulden. Insolvent sei seine Firma gegangen, als er nicht mehr mit den günstigen Preisen durch die Globalisierung mithalten konnte. In diesem Sinne hätte er sich von der Bundesregierung gewünscht, dass sie die Preise nicht durch Marktöffnungen „kaputt machen“.

„Die meisten hier glauben keinem da oben mehr“, sagt Udo, wenn es um die Politik geht. Er wünscht sich weniger Korruption, Lobbyismus und eben mehr Glaubwürdigkeit. Und, dass der Staat etwas gegen die steigenden Mietpreise macht: „Die hier unten können die Miete nicht bezahlen, der Staat greift da zu wenig ein“, so der Düsseldorfer.

Udo selbst ist zufrieden, der 76-Jährige erhält Grundsicherung, hat ein kleines Appartement, bekommt alles bezahlt, da kenne er auch andere Fälle. „Hier kommen viele her, die Probleme haben“, berichtet er. Beraten werden sie dann vor Ort.

Udo ist ein ehemaliger Modemagnat, jetzt zeigt er sich mit einem kleineren Umkreis zufrieden. "Ich brauche keine Wletreisen mehr", sagt Udo. (Foto: Annabell Fugmann)

Hilfestellung gibt auch Walter Scheffler, Gründer des Vereins Grenzenlos und Vorsitzender. Er sitzt am anderen Ende des Raumes am Tresen. „Man kann gar nicht glauben, wie schnell man in die Armut fällt“, berichtet der ehemalige Dozent für Sozialwissenschaften. Gerade würde der Verein einen Mann beraten, der einmal eine eigene Kanzlei hatte.

Er sei nicht gemeldet, keine Krankenkasse, keine Papiere, der wolle „einfach nur leben“. Wegen seines hohen Verdienstes sei er damals aus der Pflichtversicherung rausgefallen, habe aber jetzt durch eine Krankheit 25 000 Euro Krankenhausrechnungen, die offen stünden.

„Eigentlich müsste man meinen, jeder in Deutschland sei krankenversichert“, sagt Scheffler, aber der „Typ“ falle durch alle Raster und niemand würde sich für ihn verantwortlich fühlen. Schefflers Wunsch an eine neue Bundesregierung: Es wäre einfacher, wenn es von Behördenseite eine Art „Ombudsman“ geben würde. Also eine zuständige Person, die in solchen Fällen eingreifen und vermitteln kann.

Der Schriftverkehr mit dem Amt ist aufwendig

Stefan ist zum Mittagstisch gekommen, er sitzt in der hinteren rechten Ecke und meint: „Viel wird mit einer neuen Regierung nicht passieren“. Wenn er überlegt, fällt ihm doch ein Wunsch ein: Der Hartz-IV-Satz sei schon knapp, und „es sollte bundesweit ein Sozialticket geben“, ergänzt er.

Mit dem „Düsselpass“ erhält der Düsseldorfer vergünstigten oder sogar freien Eintritt in vielen kulturellen Institutionen, hier bekommt er damit günstiges Essen. „Man will ja ein bisschen am Leben teilnehmen“, sagt Stefan. Teilnahme sei generell wichtig. Er selbst ist arbeitsunfähig, hat eine Betreuerin, die sämtliche Formulare für ihn erledigt. Dafür scheint Stefan dankbar: Mit dem Papierkram habe er nichts zu tun. „Das höre ich oft von Leuten, dass das aufwendig ist.“

Wieder zurück zum Vorsitzenden Scheffler am Tresen, zu ihm hat sich Geschäftsführer Jörg Thomas gesellt. Hinter der Bar steht er in blauer Schürze. „Haben Sie schon einmal einen Hartz-IV-Bescheid gesehen?“, fragt er. In so einem Bescheid würde einer*einem Empfänger*in von Anfang an mit Sanktionen gedroht werden, mit Wertschätzung habe das nichts zu tun.

Auch das Verhalten von Sachbearbeiter*in zu Klient*in sei oft nicht von Wertschätzung geprägt, meint Thomas. Und bei den sogenannten „Ein-Euro-Jobs“ würden die Betroffenen das Gefühl vermittelt bekommen, ihre Arbeit sei nichts wert. Die Liste scheint lang. „Der ganze Umgang, wie man mit den Leuten im Jobcenter verfährt, sollte geändert werden“, so Thomas.  

Die beiden haben einige Ideen für eine neue Bundesregierung: „Förderungen sollten nicht nur projektbezogen sein“, meint Thomas. Egal ob auf kommunaler, Landes-, Bundes- oder EU-Ebene, immer müssten die Gelder über Projekte reinkommen, aber „wir brauchen keine drei Herde“, meint Scheffler. Eine Grundbezuschussung würde da mehr helfen.

Und: „Es gibt Menschen, die sind nicht in den ersten Arbeitsmarkt integrierbar“, so Scheffler. Dafür muss es auch Lösungen beim Jobcenter geben. Solche Menschen bräuchten kein Bewerbungstraining. „Ein kompletter Denkfehler“, meint Scheffler. Es werde ihm nach immer Menschen geben, die dauerhaft in der Sozialversicherung verbleiben müssen.

Im Grenzenlos gibt es zwei feste Mitarbeiter, sonst arbeiten hier Menschen über Maßnahmen, wie Maggi. Sie sitzt noch am Fenster und gibt einer Frau ihr Essen gerade nach draußen. „Lass es dir gut gehen, Ilona“, verabschiedet sie sich von ihr.

Man kennt sich. Seit sieben Jahren ist Maggi Teil des Teams: Zuerst 1- Euro-Jobberin, dann über das sogenannte 16i- und dann über das anders genannte 16e-Programm, was nächstes Jahr für sie ausläuft. Und dann? „Das ist das Problem“, sagt Thomas. Man versuche, eine Möglichkeit zu finden, dass Maggi bleiben kann. Das würde man sich von der Politik wünschen, dass es hier individuelle Möglichkeiten für Menschen auf dem zweiten Arbeitsmarkt gibt.

„Ach“, sagt Maggi. „Die lügen und betrügen doch nur alle. Kein Kommentar“, so ihr Schlusssatz. Udo sitzt jetzt auch am Tresen, hört zu. „Hör mal, wie sich das wiederholt“, meint er, sie alle würden das denken.

Annabell Fugmann

Über die Grenzen hinaus

Jeder ist Gast im Grenzenlos und wird als Gast behandelt. Finanziell schwächer gestellte Gäste sind berechtigt, weniger zu zahlen. Ein weiteres Merkmal des Konzeptes ist die sozialpädagogische Begleitung. Gäste können in sozialen und lebenspraktischen Bereichen beraten werden. Das umfasst Hilfestellungen bei behördlichen Angelegenheiten, vom damit verbundenen Schriftverkehr bis zur persönlichen Begleitung bei Behördengängen, Vermittlungen zu Fachberatungsstellen. Zudem ist das Grenzenlos Ausstellungsfläche und Veranstaltungsraum. Regelmäßig werden Gastronomische Themensonntage angeboten.

Weitere Infos auf https://www.grenzenlosev.de/

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