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Ausgabe 04 | 2021
Schwerpunkt

Menschenrechte kennen keine Herkunft

Menschenrechte kennen keine Herkunft – soll heißen: Menschenrechte gelten unabhängig von der Herkunft der Betroffenen. So steht es in zahlreichen internationalen und nationalen Gesetzen und Konventionen. Aber wir wissen alle, dass die Realität anders aussieht. Denn tatsächlich gibt es für Flüchtlinge und Migranten*innen zahlreiche Beschränkungen der Menschenrechte – sowohl auf der gesetzlichen Ebene wie bei der Anwendung der Gesetze. Wo sehen wir für die nächste Legislaturperiode den größten Handlungsbedarf?

Weltweit sind über 84 Millionen Menschen auf der Flucht, davon verbleibt der ganz überwiegende Teil in den meist armen Nachbarländern – nur wenige – ca. 15 % der Betroffenen sucht Schutz in wirtschaftlich entwickelten Ländern, wie etwa auch in Europa. 2020 gab es in Europa 480.000 Asylanträge, das sind grob 0,1% der Bevölkerung Europas.

Und dennoch hat sich in Europa und der EU die Haltung zunehmend verfestigt: „es kommen zu viele“, „2015 darf sich nicht wiederholen“, „die Zahl der Flüchtlinge in Europa muss sinken“ – so steht es dann teilweise auch in Bundestags Programmen

Diese Grundhaltung findet sich auch in den umfassenden Plänen zur Neugestaltung der Europ. Flüchtlingspolitik, wider, die die EU Kommission im Herbst 2020 vorgelegt hat: Die zentralen Elemente diese EU Asyl- und Migrationspaktes sind:

  • Asylverfahren sollen weitestgehend an den EU- Außengrenzen stattfinden, Verteilung nur von Anerkannten
  • Zurückweisung von Schutzsuchenden in andere Länder außerhalb der EU, wenn man der Ansicht ist, dass sie dort bereits sicher waren. Das bedeutet faktisch die die Auslagerung des Flüchtlingsschutzes, Verlagerung der Verantwortung und der Belastungen, die mit der Flüchtlingsaufnahme verbunden sind, auf andere, ärmere Länder.

Unsere Position, die der Paritätische im Bündnis mit zahlreichen anderen NGO vertritt:

  • Es muss sichergestellt werden, dass alle Schutzsuchenden, die nach Europa in die EU kommen und hier Asyl beantragen, dass die hier Zugang haben zu einem fairen rechtstaatlichen Verfahren.
  • Zugang zum Asyl sichern an den Grenzen, keine Push backs.
  • Keine massenhaften Asylverfahren an den Grenzen, wir wissen ja was das für die Betroffen bedeutet (Beispiel: Moria), daher schnelle Verteilung der Asylsuchenden in der EU.
  • Freizügigkeit für Anerkannte Flüchtlinge – jetzt kommen viele Anerkannte aus Griechenland, da ihnen dort keine Unterstützung gewährt wird nach Deutschland – hier wird dann ein neuer Asylverfahren eröffnet. Das macht keinen Sinn. Anerkannte Flüchtlinge sollten frühzeitig in der EU Freizügigkeit genießen, nicht erst nach 5 Jahren.
  • Außerdem fordern wir seit langen eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung, für die es eine entsprechende Bundesförderung, auch der Personalkosten geben muss.

Nationale Ebene

Die Asylsuchenden, die in Deutschland Asyl beantragen, kommen hier in AnkER Zentren, (Ankunfts- Entscheidungs- und Rückführungszentren).Sie leben dort weitgehend isoliert, unterliegen dem Arbeitsverbot, es gibt nur sehr eingeschränkte Bildungszugänge, kein Kontakt zu Zivilgesellschaft – das Ganze soll auch der Vorbereitung der Abschiebung dienen

Corona hat nochmal deutlich gemacht, wie problematisch die Unterbringung in großen Lagern ist.

Diese AnKER Einrichtungen haben auch nicht, wie geplant, zu einer Verkürzung der Asylverfahren geführt.

Unsere zentrale Forderung daher: Alle Asylsuchenden müssen spätestens nach drei Monaten aus diesen Einrichtungen in die Kommunen umverteilt werden und dort muss dann gegebenenfalls das Asylverfahren weitergeführt werden und auch dort haben sie Chance überhaupt anzukommen und Fuß zu fassen.

Leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – das klingt ja erstmal, als wäre es etwa positives – aber das ist es natürlich nicht: es bedeutet faktisch: die Betroffenen haben keine Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder XII – wie der Rest der Bevölkerung,- sondern nur auf Leistungen , die weit darunter liegen und oft auch nur als Sachleistungen gewährt werden.

Unser Ziel ist daher die Abschaffung des 1992 (Asylkompromiss) geschaffenen Gesetzes, zumindest muss der Zeitraum, in welchem man nur die eingeschränkten Leistungen erhält, deutlich verkürzt werden und uneingeschränkter Zugang zu Gesundheitsleistungen gewährt werden.

Eine große Aufgabe für die Zukunft sehen wir auch darin, endlich Perspektiven zu schaffen für die große Zahl derer, die in Deutschland lediglich mit einer Duldung leben. Das sind derzeit rund 240.000 Personen – und die Zahl steigt weiter. Die Duldung ist kein Aufenthaltstitel, sondern lediglich die Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung. Viele Geduldete können aus nachvollziehbaren Gründen absehbar nicht in die Herkunftsländer zurückkehren – und verharren dann jahrelang in diesem unsicheren Status. Das ist für die Betroffenen unzumutbar und auch für die Gesellschaft insgesamt problematisch. Die bisher geschaffenen Regelungen, für diese Menschen Perspektiven zu schaffen, greifen leider kaum, nur wenige profitieren von den Bleiberechtsregelungen. Es ist daher dringend notwendig diese Regelungen so zu gestalten, dass damit den Betroffenen auch tatsächlich eine Perspektive auf einen legalen Aufenthaltsstatus eröffnet wird und spätestens nach 5 Jahren ein Aufenthaltstitel mit Bleibeperspektive bekommen.

Betroffenen-Statement

Ich wünsche mir als Frau mit Kopftuch einen verbesserten Zugang zum Arbeitsmarkt meinen Kompetenzen und Qualifikationen entsprechend.

Raafa Sabri (wif e.V.)

Menschenrechte kennen keine Herkunft. Das sollte natürlich auf gelten für ein zentrales Menschenrecht, nämlich das Recht, mit der Familie zusammen zu leben. Für einen Teil der anerkannten Flüchtlinge – mit subsidiärem Schutz – wurde dieses Recht aber ausgehebelt und kontingentiert: es können nur max. 1000 pro Jahr kommen – und auch dies scheitert bisher oft an bürokratischen Hürden.

Unsere Forderung: das Recht auf Familienzusammenführung muss voll gewährleistet werden, wie bei anerkannten Flüchtlingen, auch zu Geschwistern, es bedarf zudem einer Ausweitung des Familienbegriffs.

Das waren jetzt eine Reihe an Forderungen im Flüchtlingsbereich – und da sehen wir auch tatsächlich den größten Handlungsbedarf. Aber natürlich gibt es auch im Migrationsbereich wichtige Anliegen:

EU-Bürger haben, darüber wird wenig diskutiert, enorme Probleme bei dem Zugang zu Sozialleistungen, leben oft in prekären Verhältnissen. Wir fordern daher, dass sie auch Zugang zu sozialen Leistungen bei der Arbeitssuche haben. Dies ist bisher gesetzlich ausgeschlossen.

Sprachmittlung – Oft scheitert die Inanspruchnahme von sozialen Leistungen oder die korrekte med. Behandlung an Sprachbarrieren. Unsere Forderung:  Sprachmittlung muss bei Zugang zu sozialen Leistungen uns gesundheitlichen Versorgung sichergestellt werden

Integrationskurse:über 70 Paritätische Träger machen da mit: diese müssen so ausgestaltet sein, dass es den Trägern auch möglich ist, qualitätsvolle Kurse zu gestalten (Abbau von Bürokratie, bessere und vor allem abgesicherte Finanzierung). Vor allem aber müssen alle Eingewanderten – unabhängig von Status von Beginn an Zugang zu den Kursen haben.

Schließlich noch das große Thema: Einbürgerung. Nach wie vor gibt es in Deutschland sehr geringe Einbürgerungszahlen: es reicht nicht, nur besser zu informieren, die Erteilungsvoraussetzung müssen angepasst werden

  • Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit
  • Verkürzung der Voraufenthaltszeiten
  • Anpassung der Erteilungsvoraussetzungen, insbesondere für die 1. Generation

Im Bereich der Migrations- und Flüchtlingspolitik gibt es alsoviele Aufgaben, aber es ist relativ still, Parteien wollen das Thema nicht gerne aufgreifen. Sie haben offensichtlich die Sorge, dass es stark polarisiert und am Ende vor allem Rechtsextreme das Thema aufgreifen und davon profitieren.

Aber: wir dürfen nicht schweigen, müssen die Probleme und Handlungsnotwendigkeiten benennen, im Bündnis mit anderen – sonst ändert sich nichts zum Guten.

Dafür ist es einerseits wichtig, die Vorstellung aufzubrechen, nach der  Einwanderung vorrangig eine Bedrohung darstellt. Dagegen müssen wir deutlich machen, dass Einwanderung für die Gesellschaft eine große Chance darstellt, wenn man die Rahmenbedingungen klug gestaltet, das heißt frühe Teilhabe ermöglicht.

Wir müssen aber auch deutlich machen, dass es bei vielen der hier genannten Forderungen auch um die Einlösung von Rechten geht: Menschenrechte kennen keine Herkunft.

Harald Löhlein ist Leiter der Abteilung Migration und Internationale Kooperation

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