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Ausgabe 04 | 2022: Wohlfahrt Kreativ
Sozialpolitik
DAVID_AUSSERHOFER / David Ausserhofer
Corona-Pandemie

Prof. Dr. Rolf Rosenbrock im Interview

Die Kommission zur Evaluierung des Infektionsschutzgesetzes hat kürzlich ihren Abschlussbericht vorgelegt. Wir sprechen darüber mit Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Mitglied der Kommission und Vorsitzendem des Paritätischen Gesamtverbandes.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse der Kommission, die am Freitag vorgestellt wurden, bezogen auf den Schutz vulnerabler Bevölkerungsgruppen?

Ich bin sehr froh, dass im Schlussbericht der Kommission sinngemäß der Satz steht, dass die sozial bedingte Ungleichheit als Querschnittsthema der Pandemiepolitik überhaupt erst einmal zur Kenntnis genommen werden müsste. Denn das war während der Coronazeit nicht der Fall. Wir wissen aus vielen Untersuchungen, dass Menschen an und unter der Armutsgrenze ein ungefähr doppelt so hohes Infektionsrisiko haben wie Wohlhabende. Ursächlich hierfür sind plausiblerweise Wohnbedingungen, stärkere ÖPNV-Benutzung und Arbeitsbedingungen.

Wir wissen auch, dass für arme Menschen die Risiken, einen schweren Verlauf einer Covid-19-Infektion zu erleiden oder gar daran zu sterben, erheblich höher sind, was unter anderem in der höheren Häufigkeit von Vorerkrankungen begründet ist. Richtig ist auch, dass Menschen an oder unter der Armutsgrenze oder generell sozial benachteiligte Menschen viel stärker unter den Folgen der Pandemiebekämpfung zu leiden hatten als wohlhabende Menschen. Home Office in einer vierköpfige Familie in einer 2,5-Zimmer-Wohnung, in der nicht jeder ein vernünftiges Endgerät hat, ist etwas völlig anderes als in einer Akademikerfamilie mit 4Zimmer-Wohnung und Garten.

Auf alle diese besonderen Risiken hätte die Politik mit zielgruppenspezifischen Maßnahmen der Aufklärung, der materiellen Kompensation und mit besonderen Angeboten reagieren können und sollen – hat sie aber nicht.

Welche weiteren Maßnahmen halten Sie denn angesichts der aktuellen Entwicklung mit steigenden Infektionszahlen für notwendig, um die Pandemie zu überstehen?

Die Kommission hat ja sehr differenziert zu den einzelnen Maßnahmen Stellung genommen. Um in Stichpunkten das Wesentliche zu nennen: Lockdown als Ultima Ratio: Möglich, aber eigentlich nur sinnvoll in frühen Phasen der Epidemie. Maskenpflicht in Innenräumen: Praktisch immer sinnvoll in Gefährdungslagen. Schulschließungen: wegen der überbordenden Evidenz massiver unerwünschter Wirkungen eigentlich nicht mehr im Bereich des Möglichen. Nachverfolgung durch das Gesundheitsamt einzelner Infektionsketten eigentlich nur bei Beginn der Pandemie möglich und sinnvoll etc.

Ich weiß nicht, welche Schlüsse die Politik aus unseren differenzierten Empfehlungen für den Herbst ziehen wird. Es ist aber klar geworden, dass Pandemiepolitik immer auch experimentellen Charakter hat. Jeder Erreger ist anders, jede Bevölkerung setzt sich unterschiedlich zusammen, jede Bevölkerung hat auch andere Verhaltenstraditionen. Deshalb gibt es kein eindeutiges Schema mit einem Rechenkästchen: richtig – falsch.

In Bezug auf die weitere Entwicklung und was jetzt noch vor uns liegt: Wie sehen Sie Einrichtungen der Pflege, Einrichtungen, wo viele Menschen mit Vorerkrankung sind, gerüstet  den weiteren Verlauf der Pandemie zu überstehen?

Der Schutz der vulnerablen Gruppen muss im Herbst ganz klar im Vordergrund stehen. Deshalb ist es wichtig, in Pflegeheimen, Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen der Krankenversorgung mit wirklich strenger Maskenpflicht und guten Teststrategien das Risiko so gering wie möglich zu halten. Masken müssen, das ist auch ein Ergebnis der Kommission, vor allem richtig getragen werden. Masken schützen, aber die Bevölkerung weiß im Wesentlichen nicht genau, wie man eine Maske richtig trägt.

Das ist eines der vielen Defizite der Risikokommunikation, auf die ich als Mitglied der Kommission vor allen Dingen Wert gelegt habe. Offenbar hat auf Seiten der Politik die Vorstellung geherrscht: Der Staat ordnet an, die Bürger*innen richten sich danach und damit ist alles gut. Stattdessen hätte es einer Strategie bedurft, den Menschen wirklich zu erklären wie die Infektion, wie eine Infektionskrankheit funktioniert und was ich als Individuum dagegen tun kann.

Das Interview führte Christian Wessling

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Informationen zur Kommission auf der Seite des Bundesgesundheitsministeriums. Den Bericht können Sie dort ebenfalls herunterladen.

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