Long-COVID und Selbsthilfe
Lieber Herr Rosen, Sie leiden an Long-COVID. Können Sie Ihren Krankheitsverlauf beschreiben?
Rosen: Es ist schwer, das kompakt auszudrücken. Ich bin im Oktober 2020 erkrankt. Ich hatte einen schweren Verlauf mit stationärem Aufenthalt in einem Krankenhaus. Und seitdem habe ich mit schweren Folgen zu kämpfen und bin auch nicht arbeitsfähig.
Knobloch: Eine Bemerkung dazu: Bei einem schweren Verlauf denken die meisten Menschen ja, dass die Lunge betroffen sei. Das war bei Chris nicht der Fall. Er war wegen Magen-Darm-Beschwerden im Krankenhaus. Zum Glück nicht auf der Intensivstation, aber es war acht Tage lang in einem schwebenden Zustand, weil Chris Nahrung und Flüssigkeit nicht bei sich halten konnte.
Rosen: Damals dachte man noch, dass meine Infektion ähnlich wie das SARS-COV 1 eine reine Lungenerkrankung sei. Man war noch gar nicht im Bilde, dass das Virus sämtliche Organe befallen kann.
Wie sah ihr Leben vor der Erkrankung aus?
Rosen: Vor meiner Erkrankung habe ich Sport getrieben und Musik gemacht. Ich betreibe ein kleines Unternehmen für Musik- und Videoproduktion. Hauptberuflich war ich Hifi-Verkäufer im High-End Bereich.
Knobloch: Chris war den ganzen Tag auf den Beinen und ist viel Fahrrad gefahren.
Wie geht es Ihnen heute?
Rosen: Um es kurz zu machen: Nicht gut. Ich habe immer noch viele Beschwerden, die über Schlafstörungen, Schwindel, Erschöpfungszustände bis hin zu Konzentrationsschwierigkeiten reichen.
Frau Knobloch, und dann haben sie beschlossen, eine Selbsthilfegruppe für Long Covid-Betroffene zu gründen. Was war der ausschlaggebende Punkt, selbst aktiv zu werden?
Knobloch: Die Initiative ist schon etwas länger her. Ich glaube, da war Chris etwa ein halbes Jahr krank. Zunächst wollte ich selbst gar keine Gruppe gründen, sondern habe mich nach einer bestehenden Gruppe erkundigt. Da wurde mir gesagt, dass es selbst in einer großen Stadt wie Köln noch keine gäbe, aber es doch sinnvoll wäre, wenn ich eine gründe. Und weil ich mitbekommen habe, dass Betroffene nicht die Kraft haben, sich um eine Gründung zu kümmern, habe ich diesen Schritt getan. Schon damals habe ich befürchtet, dass es wohl leider auch noch viele Menschen in der Zukunft betreffen würde. Und so viel Arbeit ist es am Ende auch nicht, weil man toll von der Selbsthilfekontaktstelle unterstützt wird. Und mit dieser Unterstützung konnte ich das organisieren. Bis das erste Treffen zustande kam, hat es dann noch ein Jahr gedauert.
War das Interesse groß?
Knobloch: Ja! Und das ist es immer noch. Ich bekomme jede Woche immer noch bis zu drei Anfragen per Mail. Nicht alle Leute, die mich anschreiben, kommen dann auch. Im Verteiler unserer aktiven Teilnehmenden sind aber immer noch 18 Leute.
Welche Themen werden vorwiegend in der Gruppe besprochen?
Knobloch: Das was Sie auch gerade abgefragt haben. Die Krankheitsgeschichte. Es kommt zunächst immer der Austausch dazu, wie es den Teilnehmenden ergangen ist. Noch wichtiger sind aber die Fragen, was im Alltag hilft, welche Behandlungen helfen könnten und welche Ärzt*innen im Kölner Raum am besten geeignet für Long-COVID-Patient*innen sind. Viele Ärzt*innen nehmen Long-COVID leider immer noch nicht als Erkrankung ernst. Und für viele ist es eben auch wichtig, sich mal was von der Seele zu reden – und zwar vor Leuten, die wissen, was sie durchmachen und die nicht denken, dass sie selber ja auch mal erschöpft sind. Das ist eine häufige Reaktion von Menschen auf die Krankheit. Sie denken, Long-COVID hätte etwas mit einer normalen Erschöpfung zu tun.
Rosen: Ja, sehr viele Betroffene sind damit konfrontiert, dass die meisten Menschen das nicht nachvollziehen können. Die Erkrankung ist neu und sehr viele erleben es als angenehm, eine Gruppe zu finden, die diese Thematik tragen kann und wo man weiß, dass man sich nicht verstellen muss. Wenn ein Gespräch zu anstrengend ist oder ich mich bei der Videokonferenz nicht konzentrieren kann, kann ich eine Pause machen, ohne verurteilt zu werden. Das ist ein Raum, der das Ganze tragen kann.
Knobloch: Und viele sind ja bereits seit 2020 erkrankt und fragen sich, was jetzt mit ihnen passiert und an welche Behörden sie sich wenden müssen. Ob sie eine Erwerbsminderungsrente bekommen und solche organisatorischen Sachen sind auch immer wieder Thema.
Rosen: Und natürlich die dauerhafte seelische Belastung. Je länger man wenig Handlungsspielraum hat oder sich in einer neuen Situation gefangen fühlt, desto mehr seelischen Stress ruft das hervor.
Kürzlich wurde eine Neuauflage des Infektionsschutzgesetzes vorgestellt. Von ganz verschiedenen Seiten wurde das bereits kritisiert. Wie denken Sie als Betroffener beziehungsweise als Partnerin eines Betroffenen darüber?
Knobloch: Nach allem, was ich über das Virus weiß, finde ich es relativ unsinnig, die Maskenpflicht an eine Impfung innerhalb von drei Monaten zu binden. Ich kenne persönlich schon viele Menschen, die in diesem Zeitraum sich und andere erneut angesteckt haben. Von daher wirkt es auf mich wie ein Anreiz, sich impfen zu lassen und nicht wie eine sinnvolle Maßnahme zum Infektionsschutz. Ich bin Lehrerin und in diesen vollen Klassenräumen. Ich würde mir für den Winter ja doch eine komplette Maskenpflicht wünschen, wenn die Zahlen wirklich so hochgehen, wie es erwartet wird. Ich denke auch, dass es viele ablehnen.
Rosen: Was vielen Betroffenen natürlich zu denken gibt, ist die Frage, wie die Öffentlichkeit auf dieses Problem eingeht. Natürlich sind Entbehrungen oder Einschränkungen nötig, um ein Infektionsgeschehen kontrolliert zu halten. Auf der anderen Seite erleben und bewerten viele das Risiko, welches mit einer Infektion zusammenhängt, anders als die Leute, die in den Risikogruppen sind. Für viele ist es tatsächlich eine Erkrankung, die ungeachtet der vielleicht noch nicht einsehbaren Langzeitfolgen sich erst einmal wie eine Grippe oder eine Erkältung anfühlt und das war es dann und für andere bedeutet es tatsächlich eine Bedrohung bis hin zu akuter Lebensgefahr.
Knobloch: Wir haben in der Gruppe mindestens drei Menschen, die ein zweites Mal Corona hatten und alle eine Verschlimmerung der Situation erlebt haben.
Rosen: Wenn sie nach der ersten Infektion vielleicht mit Long-COVID nicht mehr arbeitsfähig waren, konnten sie etwa nach der zweiten Infektion vielleicht nicht einmal mehr ihre sozialen Kontakte pflegen. Das sind Sachen, die in der Bevölkerung nicht so präsent sind, wenn man keinen Kontakt zu Betroffenen hat. Daher würde ich mir wünschen, dass zum aktuellen Geschehen die Thematik mehr im öffentlichen Fokus stehen würde.
Knobloch: Aber da sind wir eigentlich ganz positiv gestimmt, weil Herr Lauterbach den öffentlichen Fokus verstärkt darauf lenken möchte. So entnehmen wir das zumindest den Medien.
Das Interview führte Philipp Meinert
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