Zum Hauptinhalt springen
hier klicken um zum Inhalt zu springen
Ausgabe 05 | 2022: Selbsthilfe
Schwerpunkt
Foxy Records
Luci van Org
Schirmfrau für den VEID

Luci van Org im Interview

Im Mainstream ist die Künstlerin Luci van Org noch mit ihrem Hit "Mädchen" mit ihrer Band Lucilectric bekannt. Doch das Multitalent ist auch Schriftstellerin, Schauspielerin, Produzentin und vieles mehr. Und sie ist Schirmfrau des VEID, dem Bundesverband für trauernde Eltern und verwaiste Geschwister. Wie sie dazu kam und was das mit der Gothic-Szene zu tun hat, verrät sie im Interview.

Liebe Luci, du bist Schirmfrau bei VEID, dem Bundesverband für trauernde Eltern und verwaiste Geschwister. Wie bist du an diesen Posten gekommen?

Die damalige Vorsitzende und langjährige Geschäftsführerin vom VEID, Petra Hohn, hat mich 2006 gefragt. Damals habe ich gerade meinen ersten Kurzgeschichtenband „Der Tod wohnt nebenan“ veröffentlicht und dazu Lesungen bei Bestatterinnen und Bestattern gemacht. Und einer dieser Bestatter war Mitglied des VEID. Der hat mich Petra vorgestellt und wir haben sofort geklickt.

Und wie kam man auf dich?

Wohl, weil ich mich künstlerisch viel mit dem Thema Tod beschäftigt hatte. Und ehrlicherweise gab es auch niemanden, der oder die diesen Job sonst machen wollte. Die Berührungsängste mit dem Thema sind immer noch sehr hoch, auch wenn sich da in den letzten 16 Jahren einiges getan hat. Aber die meisten, die gefragt wurden, wollten mit dem Thema „Verstorbene Kinder“ nichts zu tun haben. Ich habe das dann einfach gemacht - unter der Prämisse, dass ich sicher noch lernen muss, dabei nichts oder möglichst wenig falsch zu machen. Die Eltern haben mir das aber zum Glück mit sehr viel Verständnis und Humor beigebracht.

Welche Fehler hättest du denn machen können?

Am Anfang habe ich zum Beispiel geglaubt, dass Trauern loslassen bedeutet. Aber das tut es nicht. Du kannst höchstens den Wunsch loslassen, dass alles wieder so wird, wie es vorher war. Ich wusste damals nicht, dass Trauern eine Form von Liebe ist und damit auch etwas sehr Kostbares für die Eltern. Es ist die Verbindung, die sie zu ihren verstorbenen Kindern haben. Und dass es eben darum geht, auch mit dieser Trauer wieder zurück in ein lebenswertes Leben zu finden. Ein Fehler wäre auch gewesen, wenn ich Betroffene mit meinem Erschrecken über das, was ihnen passiert ist, überrannt hätte. Es geht ja nicht um mich, sondern um die Familie, die ein Kind verloren hat. Aber ich denke, ich kann mich da ganz gut zurücknehmen und mit den Menschen mitfühlen, ohne mich davon überrollen zu lassen. So oder so wird es beim VEID aber auch nicht übel genommen, mal einen Fehler zu machen, solange der Wille da ist, zuzuhören und zu lernen. Die Menschen, die ich dort treffe und getroffen habe, sind ausnahmslos ganz wunderbare und sehr langmütige Menschen.

Welchen Bezug hast du denn zum Tod?

Zum einen bin ich durch das Versterben eines Kindes bei den engsten Freunden meiner Familie sehr früh mit dem Thema konfrontiert worden. Zum anderen komme ich aus der Szene, die heute Gothic-Szene heißt, bin also ein altes Goth-Girl (lacht). Bei „Mädchen“ ist das nicht zu hören, aber ich trug als kleiner Teenie tatsächlich nur schwarz, vergötterte Bands wie “The Cure” und “Die Einstürzenden Neubauten”, die ich immer als meine “musikalische Ursuppe” bezeichne. Nach einem kurzen Ausflug in Punk, Reggae und Pop bin ich schon Mitte Zwanzig wieder in die Szene zurück. Schon auf dem letzten Lucilectric-Album gab es tatsächlich Stücke, die auf Gothic-Samplern erschienen sind. In der Szene gibt es traditionell wenige bis keine Berührungsängste mit dem Thema Tod. Beim VEID, dessen Bundesgeschäftsstelle in Leipzig ist, machen wir mittlerweile  jedes Jahr beim Wave-Gotik-Treffen, dem dortigen großen Szenefestival, sogar eine Veranstaltung in den Vereinsräumen. Eine Art Mini-Festival im Festival, das offiziell vom WGT unterstützt wird. Auch andere Menschen aus der Szene unterstützen uns mittlerweile immer wieder mit Spenden und ich bin dafür unendlich dankbar. Das Tolle an der Gothic-Szene ist, dass sie ein ganz großes Herz für alle Menschen hat, die ausgegrenzt sind - und letzten Endes auch ein großes Herz für den Tod. Der ist schließlich der größte Ausgegrenzte.

Luci als Goth-Girl

Inwiefern bist du selbst vom Thema des VEID betroffen?

Ich selbst habe ein ungeborenes Kind im vierten Monat verloren. Aber das habe ich im VEID erst viel später erzählt. Obwohl  das Erlebnis für mich wahnsinnig schlimm war, hielt ich es für nicht gleichwertig damit, ein Kind zu verlieren, das schon gelebt hat. Was übrigens auch so ein Fehler war, den ich anfangs gemacht habe. Denn es gibt eben auch Eltern, für die der Verlust eines ungeborenen Kindes das Schlimmste ist. Ich habe mit den Jahren gelernt, dass Trauer etwas total Persönliches ist, das nur Betroffene werten können und sollten. Alle nehmen Trauer anders wahr. Heute kann ich sagen, dass für mich persönlich die Vorstellung viel beängstigender und schrecklicher wäre, meinen jetzt fast erwachsenen Sohn zu verlieren. Dass ich persönlich durch den Verlust meines ungeborenen Kindes aber vielleicht einen Anflug von dem Schrecken mitbekommen habe, mit dem betroffene Eltern im VEID konfrontiert sind.

Wie sieht deine konkrete Arbeit als Schirmfrau für den Verband aus?

Wir sind ja gerade dabei. (lacht) Ich versuche für den Verband zu trommeln, wo es nur geht und bekannt zu machen, wer wir sind und was wir machen. Damit möchte ich Betroffene überhaupt erst einmal darauf aufmerksam machen, dass es uns gibt. Viele wissen das gar nicht. Als ich damals im vierten Monat mein Kind verloren hatte, hatte ich gar keine Hilfe und das war unendlich schwer. Wie ich mit dem Verlust eines lebenden Kindes ohne Hilfe von außen hätte klarkommen sollen, will ich mir gar nicht vorstellen. Zum Glück ist es ja wenigstens so, dass heute Therapien nicht mehr so stigmatisiert sind wie früher. Aber nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch das Umfeld sollte von der Existenz des VEID wissen. Viele sind völlig hilflos, wenn im Freundes- oder Familienkreis ein Kind verstirbt - und ziehen sich dann zurück, weil sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen - was dazu führt, dass die Betroffenen in so einer Situation dann endgültig allein dastehen. Außerdem will ich natürlich dafür sorgen, dass der VEID auch Spenden bekommt. Das klingt hart, aber es ist einfach so: Für Kinder, die wieder gesund werden, spenden Menschen lieber. Und es finden sich auch leichter Sponsoren. Das bedeutet nicht, dass diese Kinder das Geld nicht auch sehr nötig haben. Auch die Kinderkrebshilfe braucht Spenden. Aber obwohl es jährlich Tausende von Kindern gibt, die versterben, obwohl der VEID ganz selbstverständlich gerufen wird, wenn spektakuläre Dinge wie Flugzeugabstürze oder Busunglücke passieren, bleibt das Geld trotzdem knapp. Dabei geht es natürlich auch bei uns um das Retten von Leben. Um das Leben der Mütter und Väter, die an dem, was passiert ist, ohne Hilfe oft zerbrechen würden - und ganz besonders auch um das Leben der Geschwister. Sie werden neben der eigenen Trauer um ihr Geschwister, mit Eltern im völligen Ausnahmezustand konfrontiert  und gehen an dieser Situation oft zugrunde. Die Suizidrate unter ihnen ist erschreckend hoch. Auch deswegen ist es wichtig, uns bekannt zu machen - und auch deswegen braucht der Verein dringend Geld für die weitere Arbeit.

Luci heute

Welche Erlebnisse teilst du mit dem VEID und den Menschen dort?

Ich finde es sehr wichtig zu sagen, dass beim VEID nicht nur geweint wird. Es ist auch möglich, fröhlich zu trauern. Und es ist auch möglich, einfach zu lachen und albern zu sein. Es geht ja genau darum, dass Menschen zurück ins Leben geholfen wird, die durch ihren Verlust aus der Bahn geworfen wurden. Manchmal ist es absurd. Wenn ein Tisch voller lachender Menschen abends beim Wein sitzt, glaubt ja niemand, dass dies verwaiste Eltern sind! Das passt für viele nicht zusammen, aber genau darum geht es: Dass Menschen sich wieder ehrlich freuen und ehrliche Freude am Leben haben können und trotzdem trauern. Diese beiden Dinge schließen sich nicht aus. Ein Leben ohne Freude ist ja kein Leben.

Nun eine Frage, die sich nicht auf den VEID bezieht.  Welches künstlerische Projekt steht bei dir als nächstes an?

Ich hatte am vergangenen Wochenende den ersten Liveauftritt meines neuen Soloprojekts Lucina Soteira in voller Bandbesetzung. Jetzt, mit 50 habe ich es mir mal gegönnt, alles bei einem Projekt selbst zu tun. Also, alle Songs selber schreiben, aufnehmen und produzieren. Das ist ein sehr dunkelpoppiges Projekt mit deutsch, englisch und lateinischen Texten, aber kein Mittelalterrock. Die Plattenfirma nennt es „Dark Ritual Pop“ und das trifft es ganz gut. Eingängig, aber tanzbar. Nicht zerstörerisch dunkel, sondern angenehm dunkel. Dieses Projekt - und die dazugehörigen Liveauftritte sind gerade mein absolutes Baby.

LUCINA SOTEIRA - "MEIN WILLE" [Official Video]
Inhaltsverzeichnis
zurück zum Seitenanfang