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Ausgabe 06 | 2022: Jugend partizipiert
Schwerpunkt

Interview mit Erasmus+-Programmreferentin Katharina Erbes

Wie bei der EU die Ambitionen junger Leute und Fördermechanismen zusammengedacht werden und was daraus alles Tolles entstehen kann, weiß Katharina Erbes. Sie ist Programmreferentin im Programm Erasmus+ bei JUGEND für Europa. Eigentlich berühmt für die “Erasmus-Semester” von Studierenden, fördert das Programm europaweit auch Jugendarbeit und Jugendpartizipation. JUGEND für Europa setzt den Jugendteil von Erasmus+ in Deutschland als Nationale Agentur um.

Erasmus+ fördert u.a. “Jugendpartizipationsprojekte” - ein Begriff, den noch nicht alle kennen sollten. Was für Projekte können sich unsere Leser*innen darunter im Kern vorstellen?

Das ist tatsächlich gar nicht so einfach zu beantworten, weil Jugendpartizipationsprojekte viele unterschiedliche Formen haben können. Es ist ein sehroffenes Format und es gibt sehr vielfältige Möglichkeiten, Dinge umzusetzen und fördern zu lassen. Im Kern sollten immer die Stimmen, die Interessen und Bedarfe junger Menschen stehen. Und es ist auch vorgesehen, dass junge Menschen in den Projekten eine aktive Rolle haben - von der Konzeption der Projekte über die Umsetzungsphase bis zur Nachbereitung.

Spannend. Und inwiefern geht es darum, dass Jugendliche mehr mitbestimmen? Oder geht es vor allem darum, dass sie mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben?

Beteiligung ist ein zentrales Ziel des Formats und meint sowohl Beteiligung am demokratischen Leben als auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene. Es kann also darum gehen, bei bestimmten Themen mitzureden und mitzuentscheiden, oder aber darum, wie ich mich in meinem Umfeld sozial einbringen und Dinge voranbringen kann.

An welchem Punkt in einem Projekt lohnt es sich überhaupt über Förderung nachzudenken?

Das kann man aus zwei Richtungen betrachten. Wenn wir über den Zeitpunkt reden, dann sollte man sich immer so früh wie möglich überlegen, ob man Förderung benötigt. Wenn wir über den finanziellen Aspekt sprechen, würde ich sagen, es gibt nicht den einen kritischen Betrag, ab dem man sich mit Förderung auseinandersetzen sollte. Sondern Förderung wird immer dann attraktiv, wenn man merkt, dass das Vorhaben nicht aus Eigenmitteln zu stemmen ist.

Ein weiterer Aspekt ist, dass eine Förderung über ein bekanntes Programm wie Erasmus+ auch ein Türöffner sein kann. Das kann dabei unterstützen, ein Projekt sichtbar zu machen und das Ganze auch in einen gesamteuropäischen Kontext zu stellen.

Welches Beispiel macht für Sie besonders greifbar, was aus dem Gedanken entstehen kann, junge Leute mit einzubeziehen?

Prinzipiell entsteht, glaube ich, immer etwas Spannendes, Neues, Tolles, wenn junge Menschen mitsprechen dürfen und einbezogen werden. Solange wir von realer Partizipation reden und nicht von irgendwelchen künstlich geschaffenen Strukturen, wo zwar Partizipation draufsteht, aber keine faktische Beteiligung stattfindet. Was wir gerne in Projekten sehen wollen, ist, dass junge Menschen gehört werden und dass sie mitgestalten können. Dass eben nicht Erwachsene oder andere Menschen für junge Menschen definieren, was sie zu wollen haben, sondern dass sie selbst schauen können, was ihnen wichtig ist und was sie bewegen wollen.

Haben Sie denn ein Paradebeispiel, das Sie gerne erzählen?

Sehr greifbar ist zum Beispiel ein Projekt aus dem kommunalpolitischen Bereich. Junge Menschen haben gemeinsam erarbeitet, was sich verändern soll, um die Kommune jugendgerechter zu machen. Das waren Punkte wie, dass die ÖPNV-Anbindung besser werden sollte, die Schaffung von Jugendräumen, Skateparks etc. Diese wurden dann mit Entscheidungsträger*innen diskutiert und einige Punkte wurden dann tatsächlich konkret umgesetzt.

Das ist natürlich ein Paradebeispiel, wenn es um Mitbestimmung geht und vielleicht nicht so stark europäisch ausgerichtet. Ich betone gerne, dass der Dialog mit Entscheidungsträger*innen kein obligatorisches Element ist. Es ist aber eines, das Projekte im Wirkungsgrad stark beeinflusst. Wenn ich diejenigen im Boot habe, die Einfluss und Entscheidungsmacht haben, dann habe ich höhere Chancen darauf, am Ende auch etwas Konkretes zu erreichen.

Katharina Erbes

Von was für einer Art Projekt aus der Jugend-Teilhabe im sozialen Bereich würden Sie gerne noch mehr sehen?

Prinzipiell ist das Format noch sehr jung. Es existiert erst seit Mitte 2021. Wir sehen sehr vielfältige Projekte und finden das auch sehr spannend. Es gibt also nicht das[KE1]  Wunschprojekt, sondern unser Wunsch ist, dass junge Menschen real beteiligt werden und dass nicht Organisationen für junge Menschen Dinge definieren und bestimmen.

Wir begrüßen es, wenn überlegt wird, wie lokale Projekte zur Situation in Gesamteuropa passen. Die europäischen Jugendziele bieten hier z.B.  sehr gute Anknüpfungspunkte für Projekte.

Das heißt, Sie würden sagen, dass das Feld noch ziemlich offen ist und prinzipiell braucht es noch von allem mehr?

Ja! Wir haben am Anfang gesehen, dass das Antragsverhalten noch ein bisschen zögerlich war. Wir freuen uns, wenn wir mehr Anträge mit guten Ideen bekommen.

Teil des Erasmus+ Förderungskonzept ist, dass die geförderten Projekte von Jugendlichen für Jugendliche sein sollen, die sich aus einer Organisation heraus bewerben. Förderung werden viele junge Leute aber nicht auf dem Schirm haben. Wie begeistert man junge Leute dafür, Ihr Projekt fördern zu lassen?

Erstmal muss Begeisterung für das Projekt an sich da sein. Dann könnte ich mir vorstellen, dass die Möglichkeit sich länderübergreifend auszutauschen sehr motivierend sein kann. Jugendpartizipationsprojekte können sowohl auf lokaler, regionaler, nationaler oder aber auch internationaler Ebene durchgeführt werden. Viele wissen natürlich, wie es bei ihnen vor der Haustür aussieht, interessieren sich aber vielleicht auch dafür, wie es eigentlich in Frankreich, in Polen, in Tschechien, in Rumänien usw. ist und wie man Dinge gemeinsam voranbringen kann.

Auch eröffnet die Förderung neue Optionen. Nehmen wir ein Beispiel zur Veranschaulichung: Wenn eine Gruppe z.B. ein Urban Gardening-Projekt machen möchte, eine kleine Kunstaktion oder ein Videoprojekt zu einem bestimmten Thema o.ä., dann kann man das auch lokal mit eher wenig Ressourcen umsetzen. Wenn die Gruppe nun aber hingeht und das in einen größeren (europäischen) Gesamtkontext stellt und vielleicht zwei, drei größere Veranstaltungen dazu organisiert, dann braucht sie vielleicht doch ein bisschen Unterstützung und die kann sie mit der Förderung bekommen.

Was tut Erasmus+, um junge Ambitionen schnell etwas auf die Beine zu stellen, mit langwieriger Bürokratie zu vereinen?

Realistisch betrachtet kommt man um die Bürokratie leider nicht herum. Das ist definitiv etwas, das ein bisschen im Widerspruch steht zur anfänglichen Begeisterung und dem Drang, direkt morgen anfangen zu wollen.

Wir als Nationale Agentur können hauptsächlich an der Stellschraube Beratung und Unterstützung von Interessent*innen drehen. Wir machen sehr regelmäßig Informationsveranstaltungen zum Format. Wir haben auch schon Projektwerkstätten angeboten und wir bieten jederzeit Einzelberatung an.

Wie lange braucht bei Ihnen denn eine typische Bearbeitung?

Übliche Bearbeitungsprozesse brauchen rund drei Monate - von der Antragsstellung bis zur Förderentscheidung.

Sollten Projekte, die die Stimmen Jugendlicher in den Mittelpunkt stellen, diese dann auch an finanziellen Entscheidungen teilhaben lassen?

Prinzipiell ist meine Antwort ein "Natürlich!" mit Ausrufezeichen. Also, ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Wenn die Forderung lautet, dass junge Menschen vollumfänglich an Projekten, die von ihren Interessen getragen sind, beteiligt werden, dann auch an den finanziellen Entscheidungen. Nichtsdestotrotz ist es in diesem Förderformat aber so, dass es auch relativ viele Vorgaben gibt, wofür die Fördergelder eingesetzt werden können. Aber ein paar Budgetposten, die flexibler einsetzbar sind, gibt es auch und in der gemeinsamen Planung kann dann überlegt werden, wie diese zielführend und bedarfsgerecht genutzt werden sollen.

Frau Erbes, vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Marvin-Berfo Günyel.

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