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Ausgabe 01 | 2022: GemEinsamkeit

Der Koalitionsvertrag aus Paritätischer Sicht

Jonas Pieper, Referent für übergreifende Fachfragen, analysiert den Koalitionsvertrag der Ampel.

„Mehr Fortschritt wagen“ hat sich die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP auf ihre rot-grün-gelbe Fahne geschrieben und einen politischen Aufbruch in Stil und Inhalt angekündigt. Doch was genau steckt im Koalitionsvertrag? Aus Paritätischer Sicht lassen sich die Pläne der Koalitionsparteien entlang dreier Bereiche ordnen.

Sozialpolitik

Die Bundesregierung hat sich eine Reihe sozialpolitischer Reformen vorgenommen, die bei erfolgreicher Umsetzung die materielle Lage vieler Menschen in diesem Land verbessern dürften. Hierzu zählen neben der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro auch Verbesserungen bei Ewerbsminderungsrenten, dem Wohngeld und dem BAFöG. Die angekündigte Einführung einer Kindergrundsicherung wäre zudem ein erheblicher Fortschritt, der vom Paritätischen seit vielen Jahren gefordert wurde. Der sozial- und armutspolitische Erfolg hängt hier ganz entscheidend von der geplanten Neudefinition des soziokulturellen Existenzminimums ab. In der Pflege sind die angekündigten Verbesserungen für Pflegekräfte und die Unterstützung für pflegende Angehörige positiv hervorzuheben. Und auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft sind mit der Barrierefreiheit oder bei der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben begrüßenswerte Maßnahmen verabredet.

Ausgesprochen enttäuschend ist dagegen, dass es zu den Regelsätzen in Hartz IV und in der Altersgrundsicherung keine Einigung der Koalitionsparteien gibt. Unter Fachleuten – und auch in der Mehrheit der Bevölkerung – ist es unstrittig, dass die aktuellen Regelsätze nicht ausreichen, um anständig über den Monat zu kommen, eine ausgewogene und gesunde Ernährung zu finanzieren und gesellschaftliche Teilhabe zu garantieren. Zu einer wirkungsvollen und umfassenden Armutspolitik gehört es daher, die Regelsätze auf mindestens 600 Euro zu erhöhen

Fortschritt

Einen großen Schwerpunkt legt der Koalitionsvertrag auf die gesellschaftspolitische Modernisierung. Um nur einige Vorhaben zu nennen: Das Informationsverbot für Abtreibungen soll gestrichen und das Transsexuellengesetz abgeschafft werden. Homosexuelle sollen besseren Schutz vor Hasskriminalität und soziale Eltern mehr Rechte erhalten. Cannabis soll legalisiert und das Wahlalter bei Bundestagswahlen auf 16 Jahre abgesenkt werden. Erleichterungen bei der Einbürgerung, beim Familiennachzug und bessere Aufenthaltsperspektiven sollen anerkennen, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland geworden ist.

#ökosozial

Die Ampel-Parteien haben Maßnahmen für die ökologische Transformation vereinbart, die zumindest im Vergleich zu den Vorgänger-Regierungen als ambitioniert bezeichnet werden können. Angesichts der ökologischen Herausforderungen bleiben sie jedoch hinter dem Notwendigen zurück (siehe Kommentar von Olaf Bandt und Antje von Broock vom BUND). Für die Gestaltung einer sozial-ökologischen Zukunft sind Reformschritte angekündigt, die aus Paritätischer Sicht zu begrüßen sind. So soll zur Entlastung höherer Energiepreise ein Klimageld als Pro-Kopf-Pauschale kommen. Im Wohngeld ist eine Klimakomponente geplant und kurzfristig ein erhöhter Heizkostenzuschuss. Und der CO2-Preis aufs Heizen soll zukünftig nicht mehr vollständig auf die Mieter*innen umgelegt werden dürfen.

Finanzierung fraglich

Ein großes und grundlegendes Manko der neuen Koalition ist bei allem Lob für die Vorhaben jedoch der Verzicht auf Steuererhöhungen. Die Ampel-Parteien konnten sich trotz des enormen Finanzierungs- und Investitionsbedarfs nicht auf die stärkere Heranziehung sehr hoher Vermögen, Erbschaften oder Einkommen einigen. Mit dieser falschen Weichenstellung droht die neue Bundesregierung sehr bald auf die Frage zuzusteuern, welche vereinbarten Maßnahmen an der Finanzierung scheitern oder ob der sehr große Reichtum in diesem Land nicht doch einen größeren Beitrag zum Gemeinwesen leisten sollte.

Jonas Pieper

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