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Ausgabe 01 | 2022: GemEinsamkeit
Gastkommentar

Gastkommentar: Wie es war durfte es nicht bleiben. Aber ist die Ampel jetzt ökosozial?

Olaf Bandt und Antje van Brook vom BUND analysieren den Koalitionsvertrag mit Blick auf ökosoziale Themen.

Mit unserer Neun-Schritte-Zukunftsagenda haben wir als Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gemeinsam mit dem Paritätischen Gesamtverband Forderungen zur Bundestagswahl aufgestellt. Unser Ziel war es, die politische Debatte zu erweitern: Eine echte ökologisch-soziale Wende kann nur mit einem ökologisch konsequenten und gleichzeitig solidarischen Programm gelingen. Für halbherzige Kompromisse, soziale oder ökologische ist keine Zeit mehr. Im Superwahljahr haben wir uns gemeinsam für einen Wandel stark gemacht.

Neu an dieser Kooperation war, dass wir nicht nur unsere jeweiligen Verbandspositionen nebeneinander präsentiert haben. Wir haben abgewogen, wie sich das eine auf das andere auswirkt und wie sich unsere Forderungen gegenseitig verstärken. In diesem Sinne fordern wir auch einen Bruch mit dem alten Politikstil, den die vergangene Bundesregierung gepflegt hat und der in mancher Landesregierung nach wie vor herrscht. Statt Lobbygipfel und ideologisch geprägtem Schlagabtausch erhoffen wir uns eine ehrliche Suche nach neuen Wegen mit Fantasie und politischem Willen. Wir erwarten Politiker*innen, die das Notwendige klar benennen und sich dem öffentlichen Austausch über Zielkonflikte stellen. Wir wünschen uns eine Gesellschaft aktiver Bürger*innen, deren Gestaltungswille Raum bekommt.

Simone M. Neumann / Simone M.Neumann - www.simone-m-neumann.de
Antje von Broock

Druck machen auf verschiedenen Wegen

Dafür haben wir als Verbände gemeinsam zur Bundestagswahl Druck gemacht: In digitalen Konferenzen, über Pressearbeit in den Landesverbänden, mit einer Sichtbarkeit zu den Kanzlerkandidat*innen-Triellen auf Social Media und ganz klassisch bei gemeinsamen Gesprächen mit Politiker*innen. Für die Kraft und das Engagement des Paritätischen im gemeinsamen Wirken möchte ich mich an dieser Stelle im Namen des BUND ganz herzlich bedanken. Wir wissen Ihren und euren Einsatz für Natur, Klima und Umwelt sehr zu schätzen!

Aus dem Ergebnis der Bundestagswahl hat sich Anfang Dezember unter Führung der SPD eine Regierung mit Bündnis 90/Die Grünen und der FDP gebildet; die sogenannte Ampel. In den bisherigen öffentlichen Auftritten bricht die selbsternannte “Fortschrittskoalition” mit dem Politikstil der Großen Koalition. Doch ist dieses Bündnis der Aufbruch hin zu einer konsequenten Umweltpolitik und einer solidarischen Sozialpolitik? Wie viel Zukunftsagenda findet sich im Koalitionsvertrag? Wie viel im tatsächlichen ist neuer Stil im Regierungshandeln?

Das Bild, das die Analyse des Koalitionsvertrags hinterlässt, ist derzeit noch unklar. Es gibt Vereinbarungen, die zum dringend benötigten sozialen Fortschritt beitragen können und auch wichtige Impulse für Klimapolitik und Naturschutz finden sich im Koalitionsvertrag.

Wir dürfen nicht locker lassen

Etwa den Kohleausstieg 2030, den Ausbau der dezentralen Bürger*innenenergie, inklusive der Beteiligung von Städten und Kommunen im unmittelbaren Umfeld. Nun wird es nach Jahren der Blockade darum gehen, die Energiewende wiederzubeleben und naturverträglich umzusetzen. Oder die Möglichkeit, den Umbau der Landwirtschaft zu organisieren: Die Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union mit einer Anpassung der Tierbestände an die Fläche. Dies würde  eine deutliche Reduktion der Fleischproduktion zur Folge haben. Die Anhebung auf 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 ist ein wichtiger Schritt. Ebenso die Förderung alternativer Methoden zu chemisch-synthetischen Pestiziden und der Verzicht auf Glyphosat. Auch die lange Zeit überfällige Nachbesserung in der Finanzierung des Naturschutzes bewerten wir als positiv, sowie die angekündigten Schritte im Bereich Ressourcenschutz. Wir werden in dieser Legislatur Druck machen, um ein Ressourcenschutzgesetz, wie von BUND und Paritätischen vorgeschlagen, zu erstreiten.

Wir begrüßen auch ausdrücklich die überfällige Anhebung des Mindestlohns sowie den angekündigten Neustart in der Kindergrundsicherung. Wir erwarten von der Ampel-Regierung nun Tempo in der Umsetzung dieser Maßnahmen, ebenso wie bei der Entwicklung und Einführung des Klimageldes, für das BUND und der Paritätische sich eingesetzt haben. Die Einnahmen aus dem CO2-Preis müssen vollständig an die Bürger*innen zurückverteilt werden, damit die Zahlung als Klimageld sichtbar wird. Zudem braucht es eine Regelung zur Vermeidung sozialer Härten und es muss für existenzsichernde Leistungen anrechnungsfrei bleiben.

Simone M. Neumann / Simone M.Neumann - www.simone-m-neumann.de
Olaf Bandt

Einiges fehlt und vieles nicht durchgerechnet

Neben all diesen positiven Aspekten gibt es auch deutliche umwelt- und sozialpolitische Leerstellen. Und es zeichnen sich leider auch Fehlentwicklungen ab. Der Koalitionsvertrag ist nicht auf einem 1,5 Grad Pfad. Die angestrebte Klimaneutralität bis 2045 ist dafür zu spät. Die Treiber des Artensterbens (Flächenfraß und -zersiedelung sowie ein hoher Pestizideinsatz) werden national und international nicht entschlossen genug angegangen. Die Ampel bricht nicht mit der Wachstumslogik von „schneller, höher, weiter“ und vermeidet so die dringend notwendige Debatte um systemische Energieeinsparung in allen Sektoren. Nötig gewesen wären ambitionierte Ziele um Effizienzpotentiale zu heben, aber auch um energieintensive Produktion zu senken. Allein zwischen 1990 und 2019 wurden knapp drei Viertel der Effizienzgewinne im Bereich Energie durch Wachstumseffekte (BIP) „aufgefressen“.

Bei vielen umweltpolitischen Projekten bleibt die Finanzierung unklar. Mit dem Verzicht auf Substanzsteuern stehen die ökologischen Projekte auf finanzpolitisch wackeligen Beinen. Auch wegen der hohen Corona-Ausgaben, wäre ein Umdenken bei der Einnahmepolitik notwendig gewesen. Aber die neue Regierung verzichtet auf eine stärkere Heranziehung des privaten Reichtums setzen zur Finanzierung eher auf haushaltsneutrale Umschichtungen und Wirtschaftswachstums. Und so bleibt die Ampel-Koalition folgerichtig den Ausstieg aus fossilem Gas schuldig. Es drohen sogar neue Gaskraftwerke, damit Investitionen und Festlegungen auf eine Technologie von gestern und eine Verschärfung der Klimakrise. Die angestrebten Ausbaupfade der Erneuerbaren Energien im Offshore-Bereich sind beunruhigend. Sie liegen bereits 2030 doppelt so hoch, wie es naturverträglich gestaltbar wäre. Mit Blick auf den Zustand unserer Meere halten wir diese Planung für unverantwortlich. Denn wir alle wissen um den kritischen Zustand unserer Meeresnatur. Wir wissen um die Belastung durch Schifffahrt und Fischerei. Statt horrenden Offshore-Zahlen muss die Ampel ihre politische Verantwortung wahrnehmen und einen dezentralen Ausbau der Windenergie auf 2% Landesfläche naturverträglich vorantreiben. Sie muss zudem bislang nicht adressierte Energieeffizienz und -einsparpotentiale heben, etwa im Bereich der Mobilität. Der Koalitionsvertrag hat an dieser Stelle deutlich zu wenig Ambitionen. Statt einer echten Mobilitätswende mit weniger, kleineren und leichteren Autos steht im Fokus allein der Antriebswechsel – ein klares Versäumnis! Nicht einmal das von uns gefordertes 365 Euro Ticket für den ÖPNV findet im Koalitionsvertrag Erwähnung. Es wäre ein klares politisches Signal an die Bevölkerung gewesen und als Reaktion auf die aktuelle Debatte zu „Fahren ohne Fahrschein“ ein folgerichtiger erster Schritt. Ist dieser Gedanke dann doch zu fortschrittlich für die Ampel-Regierung?

"Eine Zukunftsagenda für die Vielen" Eine gemeinsame Publikation des Paritätischen und des BUND

Wie ist der Koalitionsvertrag nun zu bewerten? Ein zaghafter Aufbruch in die richtige Richtung? Bemüht, aber doch nicht ausreichend? Die Bewertung fällt nicht leicht. Einerseits, weil nach einer langen Blockadehaltung die großen Reparatur-Ambitionen der Koalition deutlich anzumerken sind. Es wäre schlicht unfair, die im Koalitionsvertrag festgehaltenen gesellschaftlichen Verbesserungen im Klima- und Naturschutz und mit Blick auf soziale Gerechtigkeit zu ignorieren. Andererseits reicht der Koalitionsvertrag nicht aus, um den ökologischen Krisen zu begegnen – und uns fehlt schlicht die Zeit, um auf die nächste Regierung zu warten. Es wird viel auf das Regierungshandeln der Koalitionäre ankommen. Wird es einen „lernenden Staat“ geben? Wird es der Ampel-Regierung gelingen, die große Transformation als ein partizipatives Regierungsprojekt umzusetzen? Wir werden die nächsten vier Jahre kritisch prüfen, wie viel am Ende tatsächlich Fortschritt und wie viel Inszenierung ist. Als BUND wären wir froh, wüssten wir den Paritätischen Gesamtverband in den kommenden Jahren weiter an unserer Seite.

Olaf Bandt ist Vorsitzender des BUND

Antje van Brook ist Bundesgeschäftsführerin Politik und Kommunikation beim BUND

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