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Ausgabe 01 | 2022: GemEinsamkeit
Schwerpunkt
Ein Schloss einer Gefängnistür (Symbolbild)

Einsamkeit hinter Gittern

Unser Interviewpartner ist 59 Jahre alt und war ab Februar 2020 für 13 Monate in Haft. Er erzählt uns die Geschichte seiner Haft und wie er im Gefängnis Einsamkeit erlebt hat. Er möchte gern anonym bleiben.

Ich war vor meinem Gefängnisaufenthalt im Feinkostbereich selbstständig und bin wegen Warenbetrug und Steuerhinterziehung ins Gefängnis gekommen. Mein Vergehen war letztendlich, dass ich Waren bestellt habe, die ich nicht bezahlen konnte. Ich habe es in der Hoffnung getan, dass sich meine finanzielle Situation bald ändert. Dafür wurde ich zunächst zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. In dieser Zeit musste ich nach einem Vermieterwechsel mein Geschäft aufgeben und zog in ein neues Ladenlokal, welches zunächst keine Zulassung für den Verkauf von Lebensmitteln hatte. Nachdem auch noch private Probleme hinzu kamen (meine Mutter erkrankte), vergaß ich das Bezahlen einer Rechnung von 486 Euro für eine Weinlieferung, die ich sogar hätte zahlen können. Doch auch durch die Unfähigkeit meines Anwaltes musste ich in Haft. Meine Haftstrafe letztendlich war ein Resultat aus Unwissen und Überforderung.

Ab dem Zeitpunkt, wo ich wusste, dass ich ins Gefängnis musste, konnte ich nicht mehr normal schlafen. Die vorstehende Haft hing wie ein Damoklesschwert über mir. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal im Gefängnis landen würde.

Mit dem Mörder gut verstanden

Zunächst war ich mit vier Leuten in einer Zelle, die mir tatsächlich beim Ausfüllen von Formularen sehr geholfen haben. In der Haft muss man ja Anträge für alles Mögliche schreiben, in meinem Fall für die Verlegung in eine Nichtraucherzelle. Die bekam ich auch bewilligt. In dieser Zelle war ich aber mit einem Dreifachmörder, der aus meiner Gegend kam und dessen Geschichte ich auch kannte. Und auch wenn es komisch klingt: Wir haben uns ganz gut verstanden! Ich habe auch nie Gewalt erlebt. Viele der schlimmen Geschichten, die man draußen hört, kann ich nicht bestätigen.

Einsamkeit habe ich ambivalent erlebt. In der Vier-Mann-Zelle war ich nicht einsam, obwohl ich mit vielen meiner Zellengenossen außerhalb des Gefängnisses wohl nicht unbedingt was zu tun gehabt hätte. Dementsprechend spürte ich auch keine soziale Bindung zu denen. Einsam ist man, wenn man Briefe an Freunde und Verwandte schreibt. Briefe und Telefonate ersetzen natürlich auch keinen wirklichen menschlichen Kontakt. Trotzdem bauen sie natürlich auf. Ein langjähriger Freund von mir schrieb mir, dass ich immer auf ihn zählen kann, wenn ich rauskomme. Das macht natürlich Mut.

Vergebens auf den Familienbesuch warten

Einsam ist man, wenn man feststellt, dass man nicht mal eben die Menschen, die man seit Jahrzehnten kennt, anrufen oder treffen kann, wenn einem danach ist. Da muss erst ein Antrag gestellt werden und dann heißt es warten. Jeden Tag hatte ich die Hoffnung, dass irgendein Brief an mich kommt, der mich aufbaut. Einsam ist man, wenn man aus dem Fenster oder dem Toilettenfenster schaut in die Freiheit.

Ganz einsam habe ich mich besonders gefühlt, als ich von einem Gefängnis ins andere verlegt wurde. Eigentlich hätte ich anlässlich meines Geburtstages Besuch bekommen, aber weil ich verlegt wurde ohne dass mir das mitgeteilt wurde, fiel der Familienbesuch, auf den ich mich sehr gefreut habe, weg.

Zum Transport selbst saß ich zwei Tage allein in einer bis oben gekachelten Transportzelle. Kein Fernseher, kein Buch, nichts. Ich lief nur zwei Tage lang auf und ab und habe die Schritte gezählt. Ich wusste nicht, dass ich auch Handgepäck hätte mitnehmen und mich vorbereiten können. Das hat mir ja niemand erzählt. Das war die einsamste Zeit. Ich hatte auch keine Uhr und dementsprechend kein Zeitgefühl. Wenn ich aufgewacht bin wusste ich nicht, ob es drei Uhr oder acht Uhr morgens ist.

App-Info

Selbsthilfe als Weg aus der Einsamkeit

Was hilft, wenn Einsamkeit droht? Ein Weg kann Selbsthilfe sein. Sich mit anderen auszutauschen, andere Menschen kennenzulernen, sich nicht mehr so alleine zu fühlen.

Der Sektor der Selbsthilfeinitiativen ist sehr lebendig und bunt, oft regional und personenbezogen organisiert – eine Stärke, die zugleich erklärt, warum sich übergreifende Netzangebote erst allmählich durchsetzen. Eines dieser Vorzeigeprojekte kommt von KISS Hamburg, die mit ihrer App eine Internet-Infrastruktur für die gesamte Selbsthilfeszene in Hamburg geschaffen haben und so auch einsamen Menschen die Chance bieten, sich online zusammenzuschließen: https://www.kiss-hh.de/ueber-uns/projekt-neue-wege/kiss-app. Auch andere Regionen haben erste Schritte mit einem eigenen App-Angebot gestartet.

Doch es muss nicht gleich ein eigenes Programm sein. Eine aktuelle Liste über Online-Foren zu spezifischen Selbsthilfe-Anliegen findet sich auf https://www.nakos.de/adressen/gruen/selbsthilfe-internetforen/

Kay Schulze ist Referent beim Paritätischen Projekt #GleichImNetz. Das Projekt will unsere Mitglieder stark im Netz machen, unter anderem mit dem Webzeugkoffer.

Fragwürdige Arbeitsmethoden

Die Arbeitsbedingungen im Gefängnis prangere ich an. Zwangsarbeit ist dort laut Grundgesetz §12 (Abs.3) eines Paragraphen aus der Nazizeit offiziell erlaubt. Eine große Gartenfirma nutzt das aus und lässt für sehr wenig Lohn arbeiten. 1,70 Euro (brutto) pro Stunde erhält man nicht von der Gartengerätefirma, sondern von der JVA. Das ist nichts anderes als Ausbeutung. Und von Rumgammeln, wie viele draußen meinen, erst recht nicht.

Inzwischen wurde ich entlassen und blicke mit gemischten Gefühlen auf diese Zeit. Zum Glück habe ich ein wenig Arbeit gefunden und dadurch geht es mir gut. Zuvor habe ich verschiedene Absagen bekommen. Das hat mich schon runtergezogen. Ich hab auch als Küchenhilfe gearbeitet nach dem Gefängnis, schlicht um irgendetwas zu machen und ein paar Euro zu kriegen. Und über das Strafvollzugsarchiv bin ich an die Aktionstage Gefängnis gekommen. Die helfen Häftlingen, die Probleme haben, welche Rechte man hat und wie man sich wehren kann. Mir haben sie hin und wieder auch geholfen und als ich rausgekommen bin, wollte ich mich revangieren. Und so habe ich mich an den Aktionstagen beteiligt und an einer gut besuchten Podiumsdiskussion anlässlich der Aktionstage teilgenommen.

Die Worte des Richters bei meiner Verurteilung habe ich bis heute in den Ohren: “Nutzen Sie das als Neuanfang!” Ich antwortete: “Herr Richter, was soll ich mit Ende 50 denn nochmal neu anfangen?” Auch die Bewährungshelferin merkte in Richtung des Richters an, dass diese Bemerkung etwas kontraproduktiv gewesen sei. Jetzt, wo alles vorbei ist, kann ich doch wieder etwas positiver in meine Zukunft blicken.

Aufgeschrieben von Philipp Meinert

Weitere Infos

Die Aktionstage Gefängnis hatten 2021 das Motto "Kontakt | Einsamkeit | Isolation." Weitere Informationen unter www.aktionstage-gefaengnis.de

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