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Ausgabe 01 | 2022: GemEinsamkeit
Schwerpunkt
Schwule Männer sind beim Altern besonders herausgefordert (Symbolbild)

Probleme und Chancen des schwulen Alterns

“Getting old ain't for sissies”, sagte einst die Schauspielerin Bette Davis. Neben dem zunehmenden körperlichen Verfall erhöht sich das Risiko der Einsamkeit im Alter deutlich. Wenn man zu einer marginalisierten Minderheit gehört, kann sich die Gefahr des Alleinseins sogar noch vergrößern.

Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie des DIW leiden Menschen, die lesbisch, schwul, bi- oder intersexuell, transident oder queer sind, doppelt so häufig an Einsamkeit wie heterosexuelle CIS-Menschen. 15 Prozent der Menschen aus der Community gaben gegenüber dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung an, sich häufig einsam zu fühlen. Bei transidenten Menschen waren es sogar jede*r Dritte. Zum Glück gibt es Angebote für einsame queere Menschen, die das Problem im Blick haben. Dazu zählt unter anderem “Altern unterm Regenbogen” in Düsseldorf, die sich um Menschen im LGBTIQ-Spektrum ab 55 kümmert. Viele von ihnen leiden auch unter Einsamkeit.

René Kirchhoff von der AIDS-Hilfe Düsseldorf ist Teil des Projektes. Der 39-jährige Sozialarbeiter erklärt, er sei unverhofft in das Projekt reingestolpert, sei aber “zufrieden und begeistert.” Gemeinsam mit Dr. Inka Wilhelm von der Frauenberatungsstelle Düsseldorf und Bernd Plöger von der AWO Düsseldorf bildet er das Team von Altern unterm Regenbogen in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt.

“Wir sind eine Netzwerk- und Koordinierungsstelle”, erklärt Kirchhoff. Der Fokus ist breit: Sie sensibilisieren Pflegekräfte für besondere Bedürfnisse älterer queerer Menschen und gestalten Freizeit mit verschiedenen Aktionen wie Kulturangebote, Stadtteilfeste, machen Info- und Diskussionsabende und bieten Selbsthilfe an.

René Kirchhoff

Viele Angebote könnten sich auch an einsame, heterosexuelle Menschen richten. Warum sind homsexuelle Männer hier so hervorgehoben? Was unterscheidet sie noch heute, wo rechtliche Gleichstellung herrscht? "Viele ältere Schwule sind traumatisiert durch die AIDS-Krise. Manche haben ihr komplettes soziales Umfeld verloren. Und viele fragen sich bis heute, warum sie quasi übrig geblieben sind”, weiß René Kirchhoff. Armut und Altersarmut ist überdurchschnittlich vertreten, viele sind Single und haben auch zur Herkunftsfamilie keinen Kontakt mehr.

Teil des Regenbogen-Projektes ist auch die Selbsthilfegruppe “POSITHIVHANDELN  NRW”, speziell aber nicht nur für ältere schwule Männer, die HIV-positiv sind. Denn in den wenigsten Fällen ist eine HIV-Diagnose heute noch ein Todesurteil. Wird die Infektion erkannt, kann man seit vielen Jahren Medikamente verabreichen, die vor dem Ausbruch von AIDS schützen und die Betroffenen alt werden lassen können. Zudem können sie das Virus dadurch nicht mehr übertragen.

Christian Hillen ist 60 Jahre alt, lebt in Neuss und ist in der Selbsthilfegruppe aktiv. Warum sind schwule Männer im Alter häufiger einsam? “Ein großes Problem sind nicht vorhandene familiäre Bindungen.” Wer ist zunächst als schwuler Mann oute und dann noch einmal als HIV-Positiver, riskiere ich in traditionellen Familienverbünden eine Menge. Hillen selbst ist Persona Non Grata nach einem öffentlichen Streit mit seiner eigenen Mutter auf einer Familienfeier, in dem es um sein Schwulsein ging. Er brach den Kontakt ab und wurde vor einigen Wochen von der Beerdigung seines eigenen Vaters ausgeladen.

Christian Hillen

Auch dies ist ein Grund, bei “Positiv älter werden” mitzumachen, so Hillen: “Mit der Selbsthilfe wollen wir Menschen, die Ähnliches erlebt haben, stärken und deutlich machen, dass es nicht nur die biologische Familie gibt. Es gibt ja auch die Herzfamilie, gute Freunde, die einen auch mit einer solchen Diagnose nicht ablehnen.”

“Es ist sehr deprimierend”, sagt Kirchhoff, wenn er an die Einsamkeit seiner Klienten denkt. “Jetzt kommt noch der Winter zur Corona-Situation dazu. Viele sitzen zu Hause und ihnen fällt die Decke auf den Kopf. Manche haben zumindest einen Hund und können spazieren gehen.” Für viele weckt Corona schlimme Erinnerungen an die AIDS-Epidemie, so Kirchhoff.

Christian Hillen weiß: “Gerade die, die zwischen 50 und 70 Jahre alt sind, haben ihr ganzes Leben mit der Bedrohung von HIV und AIDS gelebt. Viele haben es geschafft sich nicht zu infizieren. Verwurzelt sind alte Bilder, auch wenn Kopf und Verstand weiß, dass sich viel getan hat, bleibt die latente Angst.” Und insgesamt wird die Partnersuche nicht leichter, so Hillen weiter: “Mit zunehmendem Alter wird die Szene immer unbarmherziger. Dort geht es um Jugendlichkeit, Sportlichkeit und Schönheit. Das grenzt Ältere natürlich aus”

Ein Ding der Unmöglichkeit ist es hingegen nicht. Zum Schluss unseres Telefonates berichtet mir Christian Hillen noch von einem Freund, der in der Corona-Zeit trotz aller Widrigkeiten seinen Partner kennengelernt hat. Und auch René Kirchhoff hat eine schöne Geschichte: Bei ihm meldete sich der ehemalige Nachbar eines 80-jährigen schwulen Mannes, der nach seinem Umzug ins Altenheim sehr einsam sei. Der Nachbar bat ihn, ihm einen Brieffreund zu suchen. Kirchhoff machte einen Aufruf bei Facebook und “Bamm, innerhalb von einer Woche hatte ich den reichweitenstärksten Post bei Facebook der Fachstelle”, freut er sich. 2200 Leute wurden erreicht, der Herr im Heim hat wohl mehr als einen Brieffreund und darf sich außerdem über reichlich Weihnachtspost freuen.

Philipp Meinert

Vielen Dank an Markus Ulrich vom LSVD für die Recherche-Hilfe

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