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Ausgabe 01 | 2025: Weiblichkeit*en
Schwerpunkt
Bild von 8photo und nensuria auf Freepik/Eigene Bearbeitung

Seit Jahrzehnten für die Mädchen da

Seit über 30 Jahren besteht das Mädchenhaus Bremen. Heike Ohlebusch ist von Anfang an dabei. Was als idealistische Idee einiger Frauen begann, ist inzwischen ein großes Netzwerk aus Einrichtungen und Angeboten mit 50 Vollzeitstellen. Wir haben uns die Geschichte mit allen Höhen und Tiefen erzählen lassen.

Als ich in den achtziger Jahren Sozialpädagogik studierte, waren Frauenhäuser als die „großen Schwestern“ der Mädchenhäuser bereits sehr präsent. Gewalt gegen Mädchen, insbesondere sexualisierte Gewalt, war ebenfalls schon ein Thema, aber es gab kaum Anlaufstellen für Betroffene. Nach dem Studium arbeitete ich in einer Freizeiteinrichtung, und bereits dort schufen wir die ersten Mädchenräume. Ich habe mich gemeinsam mit einer Kollegin schnell der Gewaltthematik zugewandt und einen Mädchennotruf eingerichtet. In einigen anderen Städten gab es bereits Einrichtungen mit einem ähnlichen Schwerpunkt, beispielsweise Wildwasser in Berlin. In Bremen gab es Ende der Achtziger jedoch noch kein passendes Angebot. Was es aber schon gab, war eine Mädchenhausbewegung. Frauen, die an dem Thema interessiert waren, schlossen sich zusammen und erarbeiteten ein Konzept zum Schutz von Mädchen. Dazu gehörten niedrigschwellige Beratung oder Freizeitangebote, aber auch Inobhutnahme bei Gefahr und Wohngruppenangebote. Das Konzept sollte immer ganzheitlich sein, was jedoch nicht alle Mädchenhäuser aus Ressourcengründen umsetzen konnten.

Wir in Bremen gründeten 1989 einen Verein und betrieben sofort viel politische und öffentlichkeitswirksame Arbeit. Zwei Jahre später erhielten wir dann den Zuschlag der Stadt Bremen für den Aufbau eines Mädchenhauses. Damals nutzten wir auch die Kommunalwahl, um öffentlich auf die Notwendigkeit eines Mädchenhauses aufmerksam zu machen. Und dann begann der Stress, als wir das, was wir konzipiert hatten, tatsächlich umsetzen sollten. Wie es oft der Fall ist, hatten wir als junge Leute eine Idee, aber nicht unbedingt die Erfahrung.

Heike Ohlebusch

Doch wir hatten das große Glück, dass eine Bremerin mit finanziellen Mitteln und eigener Gewalterfahrung unsere Geschichte verfolgte und uns unterstützte. Sie kaufte kurzerhand ein Haus für die Inobhutnahme und vermietete es im Januar 1992 an uns. So etwas wünscht sich natürlich jedes Projekt. Ohne diese - langjährige - Unterstützung würde es das Mädchenhaus wohl heute nicht mehr geben.

Skepsis bei den Behörden

Das Jugendamt stand uns anfangs sehr skeptisch gegenüber. Wir waren diese Feministinnen, die die Adresse der Inobhutnahme Einrichtung nicht nennen wollten – nicht einmal ihnen gegenüber. Sie verstanden auch nicht, warum wir uns nur um Mädchen und nicht um Jungen kümmerten. Das war sehr anstrengend. Trotzdem hielten wir durch, und einige Monate später konnten wir Ende 1992 im angemieteten Haus die erste Wohngruppe mit acht Plätzen für Mädchen ab 14 Jahren eröffnen. Hier sollen die Mädchen groß werden und möglichst ein Zuhause finden, was auch meist gelingt. Ein paar Monate später kam noch eine niedrigschwellige und von der Stadt finanzierte Anlauf- und Beratungsstelle hinzu.

Der Grundstamm unserer Arbeit war viele Jahre lang: Inobhutnahme, Wohngruppe, Beratungsstelle. Inzwischen betreuen wir auch Mädchen oder junge Frauen in eigenen Wohnungen. Oft sind das Mädchen, die aus unserer Wohngruppe ausziehen, aber noch Hilfe brauchen, wenn sie alleine wohnen. Außerdem betreiben wir ein Freizeitangebot in einem  Stadtteil hier in Bremen, in Gröpelingen. Das Amt für Soziale Dienste hatte beobachtet, dass Mädchen im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren aus dem Stadtbild verschwinden, und wollte deshalb eine Mädcheneinrichtung schaffen. Das fällt eigentlich nicht unter Gewaltschutz und ist damit nicht der Kern unserer Arbeit, aber wir haben uns beworben und betreiben diese Einrichtung jetzt.

Innenansicht aus einer Wohngruppe

Wir bieten Mädchen eine niedrigschwellige Beratung an, in der sie nicht einmal ihren Namen nennen müssen. Die Themen, zu denen wir beraten, sind dabei nicht eingegrenzt – auch nicht auf sexualisierte Gewalt. Wir haben auch Mädchen hier, die sich darüber beschweren, dass sie immer abwaschen müssen, ihr Bruder aber nicht. Manchmal reichen ein bis zwei Gespräche, aber viele kommen öfter , und erst im Laufe der Beratung wird klar, dass es um Gewalterfahrungen geht. Oft wird durch die Beratung eine Inobhutnahme oder die Einschaltung des Jugendamtes verhindert.

Zusätzlich betreiben wir eine Notaufnahme. Wir haben acht Notfallplätze, und Mädchen ab zwölf Jahren können sofort aufgenommen werden, wenn ein Platz frei ist. Dort versorgen wir sie und versuchen in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt herauszufinden, was los ist, was wir tun können und welche Hilfe notwendig ist. Glücklicherweise können etwa 70 Prozent der Mädchen wieder nach Hause gehen, weil auch die Eltern Hilfe annehmen. Wer nicht nach Hause kann, wird an eine Pflegefamilie oder eine Wohneinrichtung vermittelt.

Der Fall Kevin führte zum Umdenken

Über all die Jahre hinweg haben wir viel öffentliche Unterstützung aus der Bevölkerung erfahren. Wir erhalten immer wieder Spenden. Doch es gibt auch Phasen, in denen im Haushalt gespart wird. In den Jahren 2005 und 2006 wurde die Jugendhilfe hier drastisch gekürzt. Dann gab es aber den Fall Kevin. Kevin starb im Kleinkindalter durch seinen Stiefvater, obwohl das Jugendamt die Vormundschaft für ihn hatte. Ein Jahr später gab es in Hamburg einen ähnlichen Fall. Da wurde klar, dass es so nicht weitergehen kann und die Jugendhilfe besser finanziert werden muss. Das Jugendamt stellte sich weitgehend neu auf und ist seitdem rund um die Uhr erreichbar. Als dies 2008 eingeführt wurde, wurden wir zusammen mit dem Kinderschutzbund gefragt, ob wir unterstützen könnten, da wir bereits einen Mädchennotruf anboten und Erfahrung hatten. Wir sagten zu, da die Zusammenarbeit nur zur Verbesserung führen konnte, und setzten gemeinsam mit dem Jugendamt den Kinder- und Jugendnotdienst um.

Vieles in unserer Arbeit ist noch so wie vor dreißig Jahren. Die Gewalt in Familien gegen Mädchen hat sich nicht geändert. Sie geht weiterhin meist von Vätern aus, aber auch von Brüdern oder Müttern. Doch einiges hat sich auch fundamental gewandelt, insbesondere durch die Digitalisierung. Die Mädchen sind heute stark von sozialen Medien geprägt, einige auch abhängig. Einerseits können sie sich gut vernetzen und informieren, andererseits erleben sie digitale Gewalt. Wir müssen Strategien entwickeln, ohne zu strafen, denn wir nehmen die Handys nicht weg.  Auch durch die Zeit der Pandemie hat sich viel im Verhalten der Jugendlichen verändert, sie sind psychisch sehr belastet.

Heike Ohlebusch

Aufgeschrieben von Philipp Meinert

Weitere Infos

Homepage des Mädchenhaus Bremen

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