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Ausgabe 02 | 2022: Vorfahrt für Gemeinnützigkeit
Schwerpunkt
Andrea Piacquadio/Pexels.com
Ohne Gemeinnützigkeit läuft nichts in der Altenpflege

Interview mit Alexander Künzel (Bremer Heimstiftung)

Nach 35 Jahren an der Spitze der Bremer Heimstiftung ist Alexander Künzel Ende 2021 in den Ruhestand gegangen. Sein Lebensthema war und ist die Integration älterer Menschen in die Mitte der Gesellschaft und in Bremen in dieser Funktion sehr bekannt. Künzel ist ein Verfechter der Gemeinnützigkeit, sieht aber auch einiges kritisch.

Herr Künzel, anlässlich Ihres Ruhestandes hat der Weser-Kurier Sie Ende letzten Jahres zum „Mister Heimstiftung“ ernannt. Wie erhält man so einen Titel?

Indem man Jahrzehnte lang eine Linie hat, die gar nicht so spektakulär ist, die man aber konsequent verfolgt. Diese heißt: Auch alte Leute dürfen nicht in Institutionen abgesperrt werden. Wir brauchen Quartierszentren auch für Pflege statt isolierte Renditepflegeheime. Das habe ich 35 Jahre durchgehalten. Wobei es mich immer noch wundert, dass diese Linie so eine Beachtung findet, weil sie in der Behindertenhilfe und der Psychiatrie eigentlich Standard ist.

Welche Rolle hat das Thema Gemeinnützigkeit in ihrer Arbeit in den letzten 35 Jahren gespielt?

Schon eine große Rolle. Aber durchaus auch immer wieder verbunden mit einer Unzufriedenheit über uns als Wohlfahrt an dieser Stelle. Wenn wir Gemeinnützigkeit wirklich auf die Goldwaage legen, dann müssen wir uns die auch verdienen. Ich habe uns, als dieser Pflegemarkt – furchtbares Wort – kommerzialisiert wurde, dabei erlebt, wie auch wir in der Wohlfahrt den phantasielosen Betriebsrenditekonzepten der Privatwirtschaft hinterhergerannt sind. Man hätte stattdessen schon damals einen Gegenpunkt setzen und sagen müssen, dass die Vermarktlichung von Gesundheits- und Pflegediensten nicht sein darf. Wir mit unseren Traditionen und unserer Non-Profit-Orientierung stehen ja gerade für das Gegenmodell und haben doch häufig nur eine schlecht gemachte Kopie der Privatwirtschaft geliefert. Deswegen bin ich mit den Jahren immer schärfer geworden und habe gesagt: Gemeinnützigkeit muss davon abhängen, dass wir jenseits der staatlichen Finanzierung auch von uns heraus Beiträge leisten zu einer lebendigen Zivilgesellschaft und Pflege- und Bildungsleistungen bieten, die eben nicht dieser Renditelogik unterliegen. Da sind wir viel zu hasenfüßig und angepasst gewesen über all die Jahre. Das ist meine sehr selbstkritische Analyse an der Stelle.

“Hasenfüßig und angepasst”? Das klingt schon hart… ?

Mag sein, aber ich sehe es wirklich so, dass es mehr Mut braucht. Die Pflegeversicherung wurde 1995 eingeführt, hat eine Art Teufelspakt geschaffen und wollte alles vermarktlichen. Wir waren als Szene sehr selbstgerecht und haben gesagt: Nur weil wir in der Organisationsform keinem Renditeträger unterliegen, ist das, was wir tun schon gut. Aber dem ist natürlich nicht so. Wir müssen uns selbstkritisch mit dem Paradox auseinandersetzen, dass es gewerbliche Betreiber geben kann, die gut sind genauso wie Gemeinnützige, die grottenschlecht sind. Und so lange wir an diesen Widerspruch nicht mutig herangehen, wird der uns lähmen und auch in unserem Ruf immer wieder neu diskreditieren.

Bremer Heimstiftung
Alexander Künzel

Ihr Hauptaugenmerk lag immer auf älteren Menschen in ihrer Arbeit. Warum ist das eine Gruppe, für die Gemeinnützigkeit besonders wichtig ist?

Weil die Gruppe so groß und so verletzlich und letztendlich auch auf Assistenz angewiesen ist. Umso mehr haben alte Menschen den Anspruch uns gegenüber, dass wir Konzepte liefern, die eben nicht nur massenhaft sich am sogenannten Marktgeschehen ausrichten, sondern die zeigen: Wir sind die Träger, die sich an Teilhabe und Normalität, Selbstbestimmung, der Integration im Stadtteil orientieren - und zwar auch, wenn es ökonomisch nicht naheliegend ist. Und wir lassen davon auch nicht ab, nur weil irgendein Investor uns 150 Plätze in Kasernen veranschlagt. Das finde ich wirklich wichtig. Wir müssen im Interesse der Menschen, den vielen phantasielosen und letztendlich nicht menschenfreundlichen Lösungen, gute Konzepte und Angebote entgegen halten. 

Können Sie dafür mal ein konkretes Beispiel für diejenigen nennen, die mit Ihrer Arbeit in Bremen nicht so vertraut sind?

Ja, die Alternative ist Quartier oder Bürgerhaus anstatt grüner Wiese. Wir haben es bei uns so formuliert, dass wir sagen: Keine Altenpflege, wo nicht auch ein Kindergarten, ein Kulturangebot oder ein Stadtteiltreff ist. Das, was wir massenhaft erleben, sind kaum unterscheidbare Ansätze von Großinstitutionen. Ob da nun ein Privatlabel dran oder die Wohlfahrt der Pächter ist, der dann dem Privatinvestor das Ding noch vergoldet: Wir haben es bisher in der Fläche vermisst, mit einem gewissen Stolz und Würde das Gegenmodell zu propagieren. Will sagen: Man kann ja nicht nur staatliches Handeln kritisieren, wir sind auch in der Pflicht, mit Positivbeispielen dagegen zu halten. Und da ist noch Luft nach oben.

Nun haben wir das ein wenig aus der Perspektive der Klient*innen gesehen. Wie sieht es denn auf der Seite der Angestellten aus, die in der Betreuung arbeiten.  Sorgt Gemeinnützigkeit per se für gute Arbeitsbedingungen?

Wenn ich sehe, wie wir unter dem Druck gerade in den Nullerjahren von Pflegekassen und Politik am Lohndumping mitgemacht haben, da bin ich heute froh, dass sich hier aktuell viel bewegt. Wohlfahrt und Gemeinnützigkeit muss Tariftreue und teilhabeorientierte Konzepte auch für die Pflege haben. Das sind die Bruchlinien zu Renditemarkt. Und da hilft nicht nur jammern, sondern auch tun. Glaubwürdig tun.

Sie scheinen ja immer noch ziemlich viel Feuer zu haben. Wie planen Sie denn jetzt ihre Rentenzeit zu verbringen?

Nicht die Fortsetzung des bisherigen mit anderem Etikett, sondern ich bin noch auf der Suche. Ich stolpere jetzt nicht von einem Ehrenamt ins Nächste. Ich habe ein Lieblingsprojekt, bei dem ich noch weiter mitmachen kann. Das ist der Ellener Hof in Bremen. Das ist eine große, sozialökologische Siedlung, die nicht für harte Ökonomie steht, sondern für eine Vielfalt von Nutzung statt für Monokulturen. Jung und Alt in einer starken Zivilgesellschaft und das Ganze übrigens im Holzbau. Das zeigt, auch Ökologie und Soziales können sich  vertragen, wenn sie nicht  einer gnadenlosen Maximierung unterworfen  sind. Das Spektrum geht übrigens vom Hindutempel bis zum Studierendenwohnheim und dazwischen noch ein paar Alte (lacht). So möchte ich vielleicht auch mal selber alt werden.

Das Interview führte Philipp Meinert

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