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Ausgabe 02 | 2025: Selbsthilfe25
Schwerpunkt
Interview mit Erik Zürn

Das Leben nach Covid

Erik Zürn aus Berlin leidet unter dem Long- oder auch Post Covid Syndrom. Er hat oft keine Kraft für gar nichts. Im Interview erzählt er, mit welchen Hürden und Vorurteilen er immer noch zu kämpfen hat und warum er eine Selbsthilfegruppe gegründet hat.

Herr Zürn, sie sind Long oder auch Post Covid-Patient. Wie geht es Ihnen derzeit und wie sieht ihr Alltag aus? 

Momentan geht es mir nicht so gut. Am letzten Wochenende hat es mich wieder umgehauen. Kürzlich habe ich es mal wieder auf den Markt am Boxhagener Platz geschafft, aber danach war ich auch wieder sehr erschöpft. Mein Alltag ist bestimmt durch Arztbesuche, Physiotherapie und ansonsten im Bett liegen, bevorzugt im ruhigen, dunklen Zimmer. Das nenne ich immer „dunkelstill“. An guten Tagen schaffe ich es, mal ein Hörbuch zu hören. Dieses Gespräch, das wir gerade führen, wird auch Energie kosten. Ich habe mir den ganzen Tag morgen freigehalten. 

Wie kann die Selbsthilfe bei Post Covid helfen? 

Die Selbsthilfe hat verschiedene Aspekte.  Für viele Betroffene, die am Anfang dieser Reise stehen, ist es vor allem der Zugang zu Informationen, der für sie wichtig ist. Wo kann ich eine Diagnose bekommen und welche Therapieansätze gibt es? Das sind die Fragen. Der informative Anteil steht zu Beginn im Vordergrund. Parallel und mit fortgeschrittener Zeit ist es vor allem das Miteinander und die gegenseitige soziopsychologische Unterstützung und die Gruppe von Gleichgesinnten, in der man ist. Der Satz, der immer fällt: Hier verstehen mich alle. Ich muss nichts erklären und werde hier auch nicht als psychisch krank dargestellt. Das ist ein Aspekt, der auch sehr wichtig ist. 

Gibt es noch viele Vorurteile über Post Covid? 

Ja, es reicht von freundlich gemeinten Hinweisen, dass man ja nur müde sei, hin zum Rat, doch mal wieder zu trainieren und joggen zu gehen. Das hat mir kürzlich noch ein Nachbar empfohlen, der es auch gut meinte. Viele verstehen aber diese Belastungsintoleranz nicht. Sie haben das Leistungsprinzip internalisiert, was in unserer Gesellschaft sehr verbreitet ist. Das geht durch die Bank vom privaten Umfeld bis zum medizinischen Personal. 

Was war der Impuls, selbst eine Gruppe zu gründen? 

Ich habe ein halbes Jahr nach der COVID-Erkrankung gemerkt, dass es bei mir einfach nicht besser wird und sich hinzieht. Gleichzeitig war ich aber mit ME/CFS im Familienkreis schon vertraut. Vorher hatte ich auch bereits Erfahrungen mit psychischen Belastungsproblemen und wusste einfach, dass Gruppen von Gleichgesinnten helfen können. Mein Impuls war ganz klar, dass ich Hilfe und Leute brauche, mit denen ich quatschen kann. Ich bin sehr extrovertiert und mir war klar, dass ich es allein nur begrenzt schaffe. Damals gab es gerade keine Gruppen online oder bei mir im Kiez. Bei SEKIS konnte man dann über die Seite eine Gruppe gründen. Das ging recht flüssig und ich hatte auch keine Hemmschwelle, Moderation und Organisation zu schaffen.

Erik Zürn

Wie sieht eine typische Gruppensitzung aus? 

Ich habe ein Konzept entwickelt, das auf einem Standard für Selbsthilfegruppen basiert. Ich biete den Teilnehmer*innen an, dass man mit einem Blitzlicht startet. Jeder äußert kurz, wie es einem geht. Da kann man dann auch ein Thema, dass man ausführlicher besprechen will oder wozu man Fragen hat, bereits anmelden. Gerade bei neuen Gruppen schlage ich vor, dass man Themen vorab auch in einer Chatgruppe abspricht und Thementage macht. Zum Abschluss gibt es noch ein Schlusslicht, wo alle nochmal sagen können, wie sie es fanden, was sie mitnehmen oder was ihnen vielleicht auch gefehlt hat. Das ist der grobe Rahmen einer neuen Gruppe. Viele organisieren sich aber auch selbst. 

Post Covid ist ja eine sehr junge Krankheit. Macht dies die Organisation leichter oder schwerer? 

Ich habe keine Vergleiche, aber ich würde schon sagen, dass ein höherer Bedarf besteht, weil die Versorgungsstrukturen so noch nicht vorhanden sind. Das macht denke ich schon einen Unterschied zu etablierteren Gruppen für länger bestehende Krankheiten, die auch nicht so stark mit Stigmatisierungen kämpfen müssen, etwa Krebs. 

Was würden Sie sich vom Gesundheitssystem konkret für Betroffene von Post Covid wünschen? 

Das ist schwer zu beantworten. Mehr Corona-Ambulanzen, in denen nicht wie in den jetzigen Ambulanzen eine ein- oder zweimalige Vorstellung erfolgt und man dann mit einem Zettel zurück zur Hausärztin geschickt wird, sind notwendig. Wir Betroffenen brauchen eine interdisziplinäre Betreuung, also psychosozial, körperlich und medikamentös. Aktuell muss man sich das noch zusammensuchen. Auch Ärzt*innen müssten besser informiert werden, um Post Covid-Erkrankte nicht wie so oft als psychisch krank zu deklarieren. Viele Hausärzte sind noch überfordert mit der Krankheit. Da braucht es leider noch eine massive Aufklärung. Ich sehe es auch bei meiner Hausärztin. Sie fragt mich immer verständnisvoll, wie es mir geht, aber wenn ich nicht meinen naturwissenschaftlichen Hintergrund hätte und auch mitreden könnte, bekäme ich höchstens Ibuprofen gegen die Schmerzen. Da gibt es einen großen Bedarf. Wir fangen in den Selbsthilfegruppen auch viel auf, aber nicht alle schaffen es in diese Gruppe oder wissen davon. Und die Unterversorgung des Gesundheitssystems können wir sowieso nicht komplett kompensieren.

Das Interview führte Philipp Meinert

Weitere Infos

Erik Zürns Homepage Stimmen aus dem Off mit zahlreichen Informationen zur Selbsthilfe.

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