
Die Hürden bis zur eigenen Identität
Katrin, wie hast du den Moment, in dem dein Sohn sich als trans geoutet hat, in Erinnerung?
Es lief bei uns in Stufen ab. Das erste Coming Out kam, als er noch als Mädchen gelebt hat und sagte, er sei lesbisch. Da meine damalige Schwägerin mit einer Frau verheiratet ist, war das gar kein Thema bei uns. Ich habe eher so reagiert: Schau einfach, in wen du dich verliebst. Das kann sich in der Pubertät oder auch später noch mal ändern. Alles fein, alles schick. Aber dann kam irgendwann die Bemerkung, dass er glaube, er sei kein Mädchen, wüsste es aber noch nicht genau. Da habe ich zum ersten Mal das Wort „nichtbinär“ gehört. Eigentlich hat mich mein Kind darüber mit seinen 11 Jahren aufgeklärt. Die Jugendlichen sind heutzutage super informiert. Da wurde mir auch erst richtig bewusst, was Transidentität ist. Für mich waren das fälschlicherweise Menschen, die „ihr Geschlecht wechseln“. Erst da fing ich an, mich mit dem Thema „Trans*“ auseinanderzusetzen. Und ehrlich gesagt habe ich zu meinem Kind das gesagt, was meiner Erfahrung nach 99 Prozent der Eltern von trans* Kindern sagen: „Das ist bestimmt nur eine Phase. Das geht vorbei.“ Kurz gesagt: ich war durch das Coming Out meines Sohnes eher erstaunt und verwundert, aber ich war nicht geschockt. Ich habe es schon ernst genommen, aber auch gedacht: „Wie willst du das denn mit deinen 11 Jahren schon wissen?“
Du leitest inzwischen zwei Selbsthilfegruppen: Eine in Hamburg und eine in Geesthacht. wann kam der Impuls da eine Selbsthilfegruppe für Menschen, die trans* Personen in der Familie haben, zu gründen und wie bist du da vorangegangen?
Das war viel später. Mittlerweile ist mein Sohn schon 17 Jahre alt und das Coming Out war mit wie gesagt mit 11 Jahren kurz vor Corona. In der Coronazeit kam das dann raus, dass es eben nicht nur eine Homosexualität bzw. Nicht-Heterosexualität bei meinem Kind sein könnte, sondern dass es eben auch mit der geschlechtlichen Identität einherging. Zu dieser Zeit war es aufgrund der Kontaktbeschränkungen schwierig, an Kontaktstellen zu kommen. Wir waren hier in Hamburg an der Beratungsstelle des Magnus Hirschfeld-Zentrums angebunden, die eine bekannte Anlaufstelle für queere Menschen ist. Aber in der Coronazeit hat sich die dortige Angehörigengruppe nicht getroffen. Für Eltern gab es aus meiner Sicht quasi nichts. Ich musste mich aber um mein Kind kümmern, denn es hatte Schwierigkeiten, auch mit dieser Identitätsfindung. Ihm ging es insgesamt nicht gut. Ich habe mich in dieser Zeit sehr allein gefühlt.
Mein Sohn wurde nach vielen Monaten Wartezeit bei einer Transgender-Abteilung in einer großen Klinik für Gespräche aufgenommen. Dort haben wir aber nach weiteren Monaten mit vielen Gesprächen nicht das erreicht, was ihm geholfen hätte. Die Monate und die Jahre gingen ins Land, meinem Sohn ging es immer schlechter und in der Zeit hatte ich niemanden, der in einer ähnlichen Situation war und mit dem ich mich austauschen kann. Da kam bei mir erstmalig die Idee einer Gruppengründung auf. Dann habe ich durch Zufall eine andere Mutter, Jessica aus Geesthacht auf Facebook kennengelernt, der es mit ihrem Kind ähnlich ging und wir haben die Gruppengründung in die Wege geleitet.

Und wie sehen die Treffen so aus und was wird da besprochen?
Wir treffen uns einmal im Monat jeweils in Geesthacht und in Hamburg. In Hamburg können wir mittlerweile Hybridtreffen anbieten, da in den Räumlichkeiten WLAN Anbindung ist. Es können sich dadurch auch Menschen per Zoom zuschalten, die weiter entfernt wohnen und das wird tatsächlich auch gerne genutzt.
Wir sind zwar mehrheitlich, aber nicht alle Eltern von trans* Kindern. Es gibt bei uns auch einige Mitglieder, bei denen sich der Partner oder die Partnerin geoutet haben. Klar, die Themen sind unterschiedlich. Partner*innen sind in der Beziehungsebene auf Augenhöhe, es geht auch um Sexualität miteinander und gegebenenfalls um Trennung. Das sind Fragen, die sich für Eltern ja nicht stellen.
Die Treffen dauern anderthalb bis zwei Stunden. Der Ablauf ist dann so: Wir beginnen mit einem sogenannten „Blitzlicht“. Das heißt, jeder erzählt, wie es ihm gerade geht und welches Thema aktuell beschäftigt, was zuletzt gut und was vielleicht nicht so gut lief. Wenn ein Elternteil ein bestimmtes Thema direkt einbringen will, bringen sie es da auch ein und wir tauschen unsere Gedanken dazu aus. Meistens vergeht die Zeit unglaublich schnell. Am Ende gibt es eine Abschlussrunde. In der Regel nehmen alle Teilnehmenden irgendwas mit, und wenn es das Gefühl ist, dass mir endlich mal jemand zuhört und weiß, wie ich mich fühle. Es ist einfach ein Unterschied, mit Menschen zu sprechen, die selbst in dieser Situation sind.
Wir sind eine Gruppe, die sich ohne ihre trans* Kinder/Angehörige treffen. Dadurch können wir freier reden. In Gegenwart meines Kindes würde ich zum Beispiel nicht sagen, wenn ich wütend, unsicher und traurig bin oder einfach Angst davor habe, dass mein Kind diesen Weg geht. Oder auch die Befürchtung, eine falsche Entscheidung für das Kind zu treffen und die Angst davor, wenn mein Kind mir später dazu Vorwürfe macht. Wenn man Kindern das erzählt, geraten sie häufig in eine Schutzhaltung, ziehen sich zurück und erzählen gar nichts mehr. Die Gruppe ist ein Raum, in dem die Gedanken und Gefühle der Eltern und Angehörigen Platz haben sollen, die sie nicht mit den trans* Personen besprechen können.

Gibt es Anliegen, bei dem dir die Gruppe besonders geholfen hat und das du nur da lösen konntest?
In der Gruppe erlebe ich Zusammengehörigkeitsgefühl und Austauschauf Basis unserer individuellen und meist ähnlichenErfahrungen.Wir haben nicht für alles eine Lösung in der Gruppe, aber wir versuchen uns gegenseitig vor allem emotional zu unterstützen. Für mich ist es in erster Linie das Gefühl wichtig, dass es auch anderen Eltern so geht und wir quasi„alle im gleichen Boot sitzen“. Von Außenstehenden (Freundeskreis, Kolleg*innen etc.) höre ich oft, wie „großartig“ich damit umgehe. Ja, das sieht von außen vielleicht so aus, aber sie sehen mich nicht, wenn ich überfordert, wütend odersauer war, weil Dinge nicht geklappt haben. Davon gibt es viele Situationen. Zum Beispiel, wenn meinem Kind von der Behörde oder der Schule Steine in den Weg gelegt wurden zusätzlich zu den psychischen Schwierigkeiten, die er auch noch zu bewältigen hatte. Oder die vielen Entscheidungen, die ich treffen musste, nicht nurzur Transition. Es stellten sich zum Beispiel Fragen, ob er auf der Schule bleibt, ob man das mit dem Mobbingin der Schule geklärt bekommt, obich die Lehrkräfte ausreichend bewegen kann, damit die sich für mein Kind einsetzen oder ob wir einen Schulwechsel anstrebenmüssen und so weiter.Es gab im Schulumfeld queerfeindlichen Schmierereien oder Beschimpfungen in Richtung meines Sohnes, die ich bei der Polizei angezeigt habe, weil die Schule nicht gehandelt hat. Das sind dann die Momente, in denen ich ganz viel Unterstützung auf der emotionalen Ebene aus der Gruppe bekomme.
Die Situation für trans*Personen in Deutschland ist ja ambivalent. Hasskriminalität on- und offline ist stark präsent und steigt weiter an, aber es gibt auch auf gesetzlicher Ebene seit letztem Jahr das Selbstbestimmungsgesetz. Wie erlebst du gerade die Situation als jemand, die sehr nah dran ist?
Ich kann es emotional als auch kognitiv einschätzen.Emotional habe ich Angstum mein Kind.Als endlich das Selbstbestimmungsgesetz kam, warenwirsuperhappy. Wir haben lange darauf gewartet und es war ein Segen für uns. Den Weg über das damalige und sehr diskriminierende Transsexuellengesetz wären wir sicherlich auch irgendwann gegangen, aber das wäre natürlich eine viel höhere Hürde gewesen. Im Wahlprogramm der CDU standallerdings, dass das Selbstbestimmungsgesetz wieder abgeschafft werden solle. Da überlegt man dann schon, was man macht, wenn das wirklich passiert.Was ist, wenn sich die Situation in Deutschland auch in diesem Punkt insgesamt verschärft? Wir haben durchaus schon Gedankenspiele gehabt, ob wir dann vielleicht Deutschland verlassenmüssen. Es gibt keine konkreten Pläne, wegschieben können wir es aber auch nicht.Wenn es sich wie in den USAentwickelt, wird mein Sohn nicht in Deutschland bleiben können. Und kognitiv denke ich mir, dass wir eigentlich hier eine starkegesellschaftliche Unterstützung haben, die sich gegen weitere Diskriminierungen wehren wird. Ich bin seit dem Coming Out meines Sohnes deutlich politischer geworden.Wir können nicht vorhersehen, wie es sich entwickeln wird. Gerade derzeit brauchen wireine hohe Ambiguitätstoleranz und ein Bewusstsein, sich für marginalisierte Gruppen einzusetzen. Es hängen ja auch immer Familien und nahestehende Menschen dran, die davon auch mitbetroffen sind.