
Singen statt stottern
Lieber MKSM, wann hast Du Dein Stottern erstmalig bemerkt und wie hat Dein Umfeld reagiert?
Mir wurde erzählt, dass das Stottern bei mir mit vier Jahren erstmals beobachtet wurde. Ich kann mich selbst natürlich nicht mehr erinnern. Meine ersten eigenen Erinnerungen an das Stottern sind mit dem Besuch einer Heilerin in meiner Heimat Ukraine verbunden. Zu einer Heilerin zu gehen, ist in Osteuropa recht üblich. Was wir da gemacht haben, weiß ich aber nicht mehr. Eine weitere wichtige Erinnerung ist die Probe für mein erstes Musikschulkonzert im Alter von sieben Jahren. Da weiß ich noch, dass ich meinen Einsatz in einem Stück verpasst habe und nochmal einsteigen wollte. Das konnte ich aber einfach nicht flüssig sagen. Daraufhin hat meine Korrepetitorin mein Stottern imitiert. Ich erinnere mich aber auch, dass meine Mutter ihr danach deutlich gesagt hat, dass sie so nicht reagieren kann. Das fand ich sehr cool. Gleichzeitig waren meine Eltern immer sehr bemüht, dass das Stottern verschwindet. Es wurde ihrerseits auch als Problem eingeordnet. Trotzdem hat sie mich beschützt. Ich habe das Stottern selbst aber erst im Teenager-Alter so richtig wahrgenommen. Mit etwa 13, 14 Jahren hatte ich sehr deutlich den Wunsch, dass mein Stottern verschwindet.
Wusstest Du Da schon, dass Du eine Karriere als Sänger anstrebst und wie hat das Stottern diese Entscheidung beeinflusst?
Im Teenie-Alter wusste ich schon, dass ich professionell singen möchte. Wenn ich singe, stottere ich aber nie. Dann ist alles flüssig. Auch daher kommt wohl meine frühe Liebe zur Musik und zum Gesang. Hier konnte ich mich immer ausdrücken, wie ich wollte – ohne Angst zu haben, stottern zu müssen. Dass es mit der Sprache ein Problem geben könnte, wurde mir erst später bewusst. So etwa als ich an die Musikhochschule ging. Je ernster und professioneller das Singen wurde, desto mehr wurde mir die Problematik bewusst. Immerhin muss ich auch mal auf der Bühne etwas sagen oder Interviews geben. Und die ersten Interviews waren wirklich der Horror. Ich hatte schlaflose Nächte davor und wirklich Panik. Eine Zeit lang war es für mich nicht vorstellbar, dass ich jemals frei spreche.

Wie hast Du das Stottern in den Griff bekommen?
Ich hatte bereits mit ca. 11 Jahren Logopädie-Erfahrung. Da waren wir etwa seit einem Jahr in Deutschland. Die Logopädin wollte mir u.a. vermitteln, dass ich gar nicht perfekt sprechen müsse, aber mein Umfeld verlangte genau das, also dass ich „geheilt“ werden müsse. Deswegen konnte ich die Therapie nicht als ‚erfolgreich’ empfinden. Danach habe ich noch weitere Logopädien probiert, besonders immer dann, wenn ich mich mal unsicher gefühlt habe, etwa zum Ende der Musikhochschulzeit. Da konnte ich teilweise bestimmte Wörter gar nicht sagen, zum Beispiel wenn die mit einem A - und irgendwann mit Vokalen allgemein - begonnen haben. Man muss sich mal vorstellen, wie es sich auf den Alltag auswirkt. Ich habe meine Sätze umformuliert, um vielen Wörtern aus dem Weg zu gehen. Es war mir unmöglich, beispielsweise ein Stück Apfelkuchen im Café zu bestellen. Dann habe ich Dinge bestellt, die ich eigentlich gar nicht wollte. Ich zog mich in diesen akuten Phasen mehr zurück, während gleichzeitig der Wunsch nach Bühne größer wurde, was natürlich nicht zusammenpasste. In der Phase habe ich zwei Intensivkurse versucht, die für mich aber nicht so gut funktioniert haben und mich noch mehr verunsichert haben. Wir haben dort an Sprech-Techniken gefeilt, haben dabei aber komplett den psychischen Aspekt missachtet. Letztendlich habe ich eine Psychotherapie gemacht, bis letztes Jahr dreimal pro Woche über mehrere Jahre sogar. Da muss man schon überzeugt sein, dass man das will. Stottern hat extrem viel mit der Psyche zu tun. Ich möchte nicht sagen, dass Psychotherapie für alle die beste Methode wäre, aber für mich war es das auf jeden Fall. Sie hat mein Leben verändert! Wichtig ist zu sagen: Ich bin nicht geheilt, aber ich habe den maximal besten Umgang damit. Wer Erwachsenen Heilung vom Stottern verspricht, lügt einfach. Aber durch die Therapie konnte ich das Stottern als Teil von mir akzeptieren.
Warum ist es Dir so wichtig, mit dem Thema in die Öffentlichkeit zu gehen?
Ganz einfach: Weil ich mir als Kind und Teenie jemanden gewünscht hätte, der in der Öffentlichkeit ist, mir ähnlich ist und mit dem Thema Stottern offen umgeht, damit diese Person mir als Vorbild oder zumindest als Orientierung taugt. Aber das ist allgemein meine Herangehensweise: Ich möchte der Künstler sein, den ich mir als Kind gewünscht hätte.

Du hattest auch Auftritte beim Kongress Stottern & Selbsthilfe gehabt. Wie kamen diese zustande?
Ich war schon einmal 2013 auf dem Kongress. Dort wurde auch ein Theaterstück aufgeführt, bei dem natürlich gestottert wurde, was das Zeug hält. Das hat mir in meiner damaligen Verfasstheit aber gar nicht gefallen. Es war mir fremd, stotternde und gleichzeitig so selbstbewusste Menschen auf der Bühne zu sehen. Ab 2022 hatte ich wieder verstärkt Kontakt zu den Organisator*innen und 2023 trat ich dort im größeren Rahmen auf. Für mich hat das eine immens wichtige Bedeutung, dort zu spielen. Nicht nur wegen des Konzertes, sondern auch, weil ich zum ersten Mal fast nur vor stotternden Menschen aufgetreten bin. Und ich war vor kaum einem Auftritt so aufgeregt und emotional. Einerseits war ich Teil dieser Gemeinschaft, aber irgendwie auch nicht als dazugebuchter Künstler. Das war für mich ein ganz besonderes Gefühl. Seit diesem Jahr bin ich auch Botschafter für die Bundesvereinigung und habe mit denen noch sehr viel vor.
Welche Rolle hat die Selbsthilfe für Dich gespielt?
Ich hätte mir gewünscht, dass ich die Arbeit der Selbsthilfe früher schon entdeckt hätte, vielleicht sogar schon im Teenie-Alter. Ich finde, die Arbeit der Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe ist so wichtig, weil sie natürlich über Therapieformen und Hilfen aufklären, aber auch dafür sorgen, dass man durch unterschiedliche Formen der Aktivitäten lernt, sich selbst zu akzeptieren. Ich behaupte mal, jeder der sagt, er wünsche sich sein Stottern nicht weg, lügt. Gleichzeitig ist diese Selbstliebe und die Akzeptanz des eigenen Zustandes so wichtig.
Was sind Deine anstehenden Projekte?
Es steht eine meine bisher größte Pride-Tour an, ich spiele u.a. in Basel und auf dem CSD in Berlin, was ich mir schon so lange gewünscht habe. Ich trete auch auf dem Evangelischen Kirchentag in Hannover auf. Ich habe mit der Kirche nicht so viel zu tun, freue mich aber, wenn die Kirche queere Themen unterstützt.
Und nachdem ich zuvor zwei englischsprachige EPs veröffentlicht habe, werde ich bald meine ersten Songs auf Deutsch rausbringen. Ich will meine Geschichte als queerer Spätaussiedler unmissverständlich erzählen und das geht bei meinem Publikum natürlich am besten auf Deutsch. Ich bin in Russland geboren und in der Ukraine aufgewachsen, habe zwischendurch in England gelebt und bin schon lange hier in Deutschland. Da stehen viele Sprachen zur Auswahl - Deutsch ist aber die Sprache, in der ich mich am besten und vor allem am ehrlichsten ausdrücken kann!
Das Interview führte Philipp Meinert