
Die Selbsthilfe im Verbandsrat repräsentieren
Herr Stärk, Sie sitzen ja für die Deutsche Diabetes Föderation im Verbandsrat des Paritätischen Gesamtverbandes. Was haben Sie davor gemacht?
Bis vor zwei Jahren war ich Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes. Nach meinem Ausscheiden habe ich mich für neue Aufgaben geöffnet. Eine war der Vorstandsvorsitz der Deutschen Diabetes Föderation, kurz DDF. Und da ich selbst als Diabetiker Typ 2 an der Krankheit leide, wurde ich gefragt, ob ich diese Aufgabe übernehmen möchte und habe sofort zugesagt. Im vorzeitigen Ruhestand muss man etwas Sinnvolles tun. Und das Sinnvolle habe ich in der Selbsthilfe für die Menschen mit Diabetes gefunden.
Warum wollten Sie in den Verbandsrat?
Die DDF ist seit ihrer Gründung Mitglied des Paritätischen als sogenannte ÜMO, also als überregionale Mitgliedsorganisation. Das Bayerische Rote Kreuz war früher schon Mitglied der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, in dem auch die bayerischen Vertreter*innen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes saßen. Unsere Zusammenarbeit war immer hervorragend. Als ich die Paritätische Vorständin Margit Berndl zufällig bei einer politischen Veranstaltung traf, begrüßte sie mich mit den Worten: Ach, du bist jetzt ein ÜMO. Ich wusste bis dahin gar nicht, wofür das steht. Ich bin in der Funktion dann öfter mal in Berlin gewesen bei Veranstaltungen des Gesamtverbandes, zum Beispiel bei der Jubiläumsveranstaltung und bei der Verabschiedung von Ulrich Schneider. Da fragte ich mich, warum ich nicht auch im Verbandsrat mitarbeiten sollte? Die Selbsthilfe ist ja ein wesentlicher Teil der Paritätischen Bewegung. Mehr noch. Sie war von Anfang an Paritätisch. Nachdem ich mit Anne Linneweber und Dr. Joachim Rock im Kontakt war und mich wohl gefühlt habe, nutze ich meine freien Kapazitäten nach meinem Ausscheiden beim Roten Kreuz jetzt im Verbandsrat.
Welche Rolle hat denn die Selbsthilfe bisher so in ihrem Leben gespielt?
Lange Zeit keine, bis ich selbst als Betroffener auf die Selbsthilfe gestoßen bin. Ich habe während meiner aktiven Berufslaufbahn die Erkrankung mit Diabetes nicht öffentlich thematisiert. Vielleicht habe ich sie sogar verschwiegen. Ich wollte nicht als chronisch Kranker gelten und angreifbar sein als jemand, der nicht durchsetzungsstark ist. Denn das wird sofort mit Diabetes assoziiert. Es wird hinterfragt, ob jemand mit der Krankheit noch genug Power hat, um was zu erreichen. Ich glaube aber, dass wir chronisch Erkrankte offen dazu stehen und müssen, auch um unsere Interessen zu vertreten.
Wieso?
Wir müssen sehr klar sagen, was wir vom Gesundheitssystem, den Krankenkassen und der Politik erwarten. Ich bin selbst kein Mitglied einer Selbsthilfegruppe hier bei uns in der Region, aber ich weiß natürlich, dass die Gruppen wirklich eine ganz große Bedeutung haben für die Erkrankten. Man tauscht sich aus, man kriegt Hinweise und Tipps. Denn man kann nicht mit jedem Wehwehchen und mit jeder Frage zum Arzt gehen. Die ärztliche Versorgung für Menschen mit Diabetes ist in Deutschland nach wie vor mangelhaft. Schwerpunktpraxen für Diabetes gibt es nur ganz selten. Viele Hausärzte und Krankenhausärzte haben von der Krankheit wenig Ahnung, bestenfalls etwas angelesenes Wissen. Da haben wir eine ganze Menge Nachholbedarf.

Warum ist das Wissen zu Diabetes bei Ärztinnen und Ärzten in der alltäglichen Praxis so wenig vorhanden?
Das hat verschiedene Ursachen. Eine ist, dass die Hausärzte für die Behandlung der chronischen Erkrankung Diabetes nur in ganz eingeschränktem Umfang auch eine Vergütung erhalten. Ich will nicht behaupten, dass Ärzte nur tätig werden, wenn sie Geld sehen. Ich kenne eine ganze Menge gute Ärzte, die wirklich mehr als ihre Pflicht leisten. Durch die geplante und nicht vollendete Reform des hausärztlichen Vergütungssystems der letzten Bundesregierung hätten die Hausarztpraxen für die Behandlung chronisch Kranker eine Pauschalvergütung und die diabetologischen Schwerpunktpraxen deutlich weniger Geld bekommen. Das hätte die Versorgung noch weiter verschlechtert.
Ich habe auch eine persönliche Erfahrung. Vor einem Jahr hatte ich eine orthopädische OP. Vorher musste ich meine Diabetes-Medikamente absetzen. In der Klinik konnte das Personal mir nicht sagen, wann und in welcher Dosis ich diese wieder nehmen darf. An dem Beispiel sieht man sehr gut, dass die Akutversorgung bei Diabetes OK ist, aber es schwierig wird, wenn zum Diabetes weitere Erkrankungen hinzukommen. Lange Rede, kurzer Sinn: Die Regelversorgung in unserem Gesundheitssystem ist nicht auf chronisch erkrankte Diabetiker*innen ausgerichtet. Aber die machen in Deutschland immerhin acht bis neun Millionen Menschen aus. Deshalb haben wir uns als Bundesverband die Aufgaben gesetzt, hier eine hohe Sensibilität zu schaffen und bei den politischen Entscheidern dafür einzutreten, dass die Situation sich verbessert.
Mit welchen Wünschen oder Bedürfnissen wenden sich Diabetiker*innen an die Selbsthilfe?
Die Menschen wenden sich an die an die Gruppen vor Ort, die von Apotheken, Ärztinnen und Ärzten oder einfach von Betroffenen initiiert werden, weil sie den Austausch mit anderen Betroffenen suchen. Es geht bei Menschen gerade mit Diabetes Typ 1 oft um Verhaltensweisen in bestimmten Krankheitsphasen, zum Beispiel um das Thema Insulingaben, Verträglichkeiten, Überwachung des Zuckerspiegels mit Sensoren und vieles mehr. Bei Menschen mit Typ 2-Diabetes geht es oft um Bewegung und Ernährung. Wir dürfen natürlich keine Behandlungsempfehlungen oder Diagnosen abgeben. Wir stellen in der Selbsthilfe auch keine Rezepte aus und die Selbsthilfegruppe ersetzt natürlich nicht den Arztbesuch. Aber für den täglichen Umgang mit der Erkrankung, besonders in Belastungs- und Notsituationen, kann eine Selbsthilfegruppe eine ganze Menge Sicherheit bieten.
Die Selbsthilfe ist im Paritätischen Gesamtverband bereits relativ stark vertreten. Wie möchten sie ihr Thema noch stärker einbringen?
Ich bin im April* zum ersten Mal bei einer Verbandsratssitzung, nachdem ich ganz frisch am 6. Dezember letzten Jahres dazugekommen bin. Im Verbandsrat würde ich gern mit den anderen Kolleginnen und Kollegen. Auf die neue Bundesregierung und ihre Aktivitäten im Gesundheitswesen schauen und darauf drängen, dass sich Verbesserungen für die Versorgung chronisch Kranker ergeben. Mit Hilfe des Paritätischen möchte ich auch die Vertretung der Selbsthilfe im Gemeinsamen Bundesausschuss als dem zentralen Organ der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen stärken. Da haben wir als Patientenvertreter zwar einen Sitz, aber keine Stimme. Wir sind geduldet, aber wir vertreten letztlich acht Millionen Menschen mit Diabetes. Deshalb brauchen wir eine wirkungsvollere Interessenvertretung der Betroffenen.
Das Interview führte Philipp Meinert
*Anm.: Das Interview wurde Anfang April 2025 geführt. Hier wird auf die Sitzung vom 25. April Bezug genommen, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits stattgefunden hat.