
Für alle Eltern kranker Kinder
„Als wir bei einer der Herzoperationen waren, kam eine Frau vom lokalen Selbsthilfeverein für herzkranke Kinder auf mich zu“, erinnert sich Gail McCutcheon knapp 20 Jahre später an ihren ersten Kontakt mit Selbsthilfe. Medizinisch fühlte sie sich in der Gruppe gut aufgehoben und sie war dankbar für das Angebot, aber nicht vollends zufrieden. „Im normalen Alltagsleben fühlte ich mich allein“, so McCutcheon. Die Angebote, die es gab, waren der jungen Mutter zu gering: „Es gab ein paar Treffen im Jahr, aber dazwischen keinen Kontakt zwischen den Eltern.“ Die digitale Selbsthilfe war da noch in den Kinderschuhen.
Kurz darauf machte sie jedoch eine Bekanntschaft, die schließlich zur Gründung von Mein Herz lacht führen sollte. Während ihrer zweiten Schwangerschaft lernte sie eine Frau mit einem krebskranken Kind kennen, zu der sie durch ihr gemeinsames Schicksal sofort eine Verbindung spürte. „Sie ist eine ganz normale Freundin, aber mit dem Extra, dass sie auch ein krankes Kind hat“, erklärt McCutcheon. Aus dieser Verbindung wuchs die Idee, eine Elternselbsthilfegruppe zu gründen, die krankheitsübergreifend arbeitet.
Gail McCuthcheon zu diesem innovativen Konzept: „Klassische Selbsthilfe ist nach Krankheit aufgeteilt und nach den unmittelbar Betroffenen.“ Mein Herz lacht dreht den Spieß rum: Die Angebote richten sich nur an die Eltern der kranken Kinder, deren Art der Erkrankung zweitrangig ist. Die Idee ist simpel: Dadurch, dass sich das Angebot nicht auf eine Krankheit beschränkt, erweitert man ihre Zielgruppe und Ansprechpartner*innen im Umkreis. Erfahrungswerte zeigen tatsächlich, dass die Probleme oft die gleichen sind – ganz gleich, ob das Kind nun eine Behinderung, eine Krebserkrankung oder sonst etwas hat. „Die Themen und Sorgen der Eltern sind zu 95 Prozent unabhängig von der Krankheit ihrer Kinder“, so die Gründerin. Aber keine Regel ohne Ausnahme: Eine Spezialisierung gäbe es nur bei Autismus und ADHS, weil dieses Thema eine besonders große Nachfrage erfahre. Zusammenführungen je nach individueller Lebenssituation sind auch möglich.
Noch etwas anderes begünstigte die Gründung von Mein Herz lacht. Neben ihrem aufreibenden Familienleben musste Gail McCutcheon weiterhin arbeiten und tat dies in einer IT-Agentur. Dadurch hatte sie sich technische Fähigkeiten angeeignet, aber zufrieden war sie mit ihrer Arbeit nicht. „Es war aber eine Teilzeitstelle und ich war halbherzig dabei“, erklärte die studierte BWLerin. „Mein Traumjob wäre Marketingdirektorin in einer NGO gewesen.“ Ihr Vater gab ihr den Rat, diesem Wunsch nachzugeben und so bewarb sie sich auf ein Social Entrepreneur-Stipendium und gründete ein Jahr später Mein Herz lacht. Inzwischen hat der Verein 15 Angestellte, die alle Eltern kranker Kinder sind, aber auch alle ausgebildet auf ihren jeweiligen Arbeitsgebieten.

Aus einer Selbsthilfegruppe im Umkreis Stuttgart wurden dann schnell viele. Heute sind es 50 Gruppen in ganz Deutschland mit steigender Tendenz, die sich sowohl in Präsenz als auch digital treffen. Diese Zweigleisigkeit, die auch aus dem beruflichen Hintergrund der Gründerin herrührt, sollte sich während Corona noch auszahlen. Während die meisten Gruppen sich erst digital aufstellen mussten und Wissen zu Videokonferenzen aneignen mussten, war bei Mein Herz lacht schon vieles an technischem Knowhow vorhanden.
Die Themen in den lokalen Gruppen sind unterschiedlich und breit gefächert. Ergänzend zu den Stammtisch-Treffen und kleinen selbstorganisierten Auszeiten gibt es noch eine WhatsApp-Gruppe für die kurzfristigen Fragen, die oft sehr schnell beantwortet werden können. Vom Umgang mit nicht genehmigten Anträgen bei Krankenkassen über die Frage nach Ärzten, die gut mit behinderten Kindern umgehen können bis hin zu sozialrechtlichen Unsicherheiten kann dort vieles schnell und unkompliziert geklärt werden. Dieses Wissen wird auch in eine Datenbank übertragen und strukturiert.
Das Angebot des Vereins ist breiter aufgestellt als bei klassischen Selbsthilfegruppen. Angeboten werden bei Mein Herz lacht auch Seminare. Dabei wird allerdings kein Frontalunterricht gegeben, sondern die betroffenen Eltern und Fachdozent*innen arbeiten zusammen. „Es ist sehr interaktiv und es gibt Erfahrungswissen und Fachwissen in einem“, erklärt Gail McCutcheon das Konzept. Im letzten Jahr wurden um die 40 Seminare angeboten. Hinzu kommt viel Öffentlichkeitsarbeit, wie Blogs oder Podcasts. „Unsere Podcast-Episoden sind eine Mischung aus Expertenstimmen, in denen die Eltern etwas lernen können und auch das, was ich Mutmachgeschichten nennen würde“, meint die Gründerin, die auch Geschäftsführerin und Vorständin ist. Es können ganz normale Geschichten aus dem Leben der Betroffenen sein, etwa wie die einer Mutter, die das Töpfern für sich entdeckt hat, um ihren Alltag besser bewältigen zu können.
Noch mehr aus dem Rahmen fällt das Yoga-Angebot „Das ist ein wenig mein eigener Hintergrund“, erläutert McCutcheon. Yoga hat sie als Selbstvorsorge entdeckt: „Wenn es dir nicht gut geht als Elternteil, kannst du dich auch nicht richtig um dein Kind kümmern.“ Selbstvorsorge sei in der Selbsthilfe sehr wichtig. Auch weitere Achtsamkeitsseminare und Pilates werden angeboten.
Gail McCutcheons Sohn ist übrigens inzwischen 19 und gerade mitten im Abitur. Auch sicherlich keine leichte Lebensphase, aber nichts im Vergleich zu dem, was er als Kind durchmachen musste. Heute führt er ein ganz normales Leben, während seine Mutter anderen Eltern weiter dabei hilft, ihres auch so normal wie möglich zu machen.