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Ausgabe 03 | 2025: Ankommen und Willkommen
Schwerpunkt
Ein queeres Paar (Symbolbild)
Queer2Peer in Bremen

Etwas, das bleibt – Tandem-Projekt für queere Geflüchtete

In Bremen bringt ein Projekt queere Menschen mit und ohne Fluchterfahrung zusammen. Ehrenamtliche begleiten junge queere Personen mit Fluchtgeschichte in der Freizeit und unterstützen bei Alltagsherausforderungen.

Niemand sollte dafür in Gefahr geraten, wer er*sie ist oder wen er*sie liebt. Dennoch werden Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität staatlich verfolgt. Den Menschen, die nach Deutschland flüchten, will das Projekt Queer2Peer in Bremen das Ankommen erleichtern, indem es ihnen eine queere Person zur Seite stellt. Entsprechend ihrer Interessen werden Tandems gebildet, die sich dann eigenständig verabreden. Eines davon sind der 28-jährige Ivo aus Bremen und Ahmed* aus Syrien. Ivo arbeitet als Sozialpädagoge in einer Eltern-Kind-Einrichtung und wollte sich schon länger ehrenamtlich engagieren. „Als dann der Flyer in meinem Briefkasten lag, dachte ich: Okay, es wird Zeit.“

Nach einem Matching-Prozess durch den Verein Fluchtraum Bremen verabredeten sich Ivo und Ahmed im Frühjahr 2025 zum ersten Mal. Nun treffen sie sich nahezu wöchentlich und erkunden gemeinsam Bremen. „Ahmed wohnt in einer Unterkunft für Geflüchtete, daher versuche ich ihm verschiedene Ecken von Bremen zu zeigen und zugleich Orte zu finden, an denen wir in Ruhe einen Kaffee oder Tee trinken und quatschen können“, erzählt Ivo.

Ahmed floh aus der syrischen Hauptstadt Damaskus, wo er aufgrund seiner sexuellen Identität polizeilich verfolgt wurde. Auf einem beschlagnahmten Handy hatte die Polizei Ahmeds Kontakt gefunden und ihn verhaftet. Sein Vater kaufte ihn aus dem Gefängnis frei, noch am selben Tag machte sich Ahmed zu Fuß auf den Weg in den Libanon, wo er wieder in Gefangenschaft geriet. Über Umwege kam er nach Libyen und bezahlte von seinem letzten Geld einen Schlepper nach Lampedusa, mit dem er über Italien schließlich nach Deutschland gelangte. Ahmed hat Flucht, Verfolgung, Menschenhandel und Folter am eigenen Leibe erlebt. „Und obwohl man das alles aus Medienberichten kennt, gehen diese Schilderungen aus erster Hand unter die Haut“, sagt Ivo. Sein Tandempartner habe ihm Fotos aus dem Gefängnis gezeigt. Das sei manchmal schwer auszuhalten, aber auch Teil der Verbindung: „Es ist sehr nah, sehr politisch, und man muss eigene Erwartungshaltungen ändern.“

Symbolbild

Zwischen Stadtspaziergängen und langen Gesprächen entstehen Vertrauen und Nähe. „Vor seiner Asylanhörung hat mich Ahmed gefragt, ob er mich als Freund benennen kann. Das war ein starkes Zeichen“, sagt Ivo. Da habe er zum ersten Mal bewusst gespürt, was ihm dieses Ehrenamt bedeutet.

Aus den Unterhaltungen erfährt Ivo, dass sich die Situation für queere Menschen in Syrien nach dem Sturz Assads sogar verschlimmert hat. Sein Tandempartner habe dafür sehr drastische Worte: „Assad hat gefoltert, jetzt wird getötet“. Ahmeds Angst vor Abschiebung ist daher sehr groß. „In unserer gegenwärtigen politischen Lage ist die Angst leider auch nicht ganz unberechtigt. Ich kann sie ihm nicht nehmen, aber ich kann versuchen, ihm hier und jetzt eine Perspektive zu geben“, sagt Ivo. Seine langfristige Vision: „Ich möchte ihn in meine Familie und meinen Freundeskreis einbinden, damit er hier wirklich ankommt.“

Ivo ging nach der Schule vor etwa zehn Jahren für einen Freiwilligendienst nach Indien. Aus eigener Erfahrung weiß er, was es bedeutet, als queere Person in eine fremde Umgebung zu kommen. „Man muss erstmal herausfinden, wie offen man sein kann und wie die Community so tickt“, erinnert sich Ivo. Als queere Person kann er schneller Vertrauen aufbauen und seinem Tandem nahebringen, wie Menschen in Deutschland mit ihrer Identität umgehen. Und obwohl die Zahl von queeren Menschen unter Geflüchteten recht hoch ist – Schätzungen gehen von 20 Prozent aus – outen sich nur wenige der Angekommenen öffentlich. Die Traumata durch politische oder religiöse Verfolgung im Heimatland oder Ausgrenzung durch Familie und Freunde sitzen tief.

„Einige wünschen sich explizit eine Person, die nicht queer gelesen wird, um bei den Treffen im öffentlichen Raum nicht aufzufallen“, berichtet Jakob Kottmeyer vom Verein Fluchtraum Bremen. Jakob begleitet Queer2Peer von Anfang an, organisiert Supervisionen und Austauschtreffen für die Ehrenamtlichen und ihre Tandems. Die Hoffnung: eine langfristige Finanzierung für das Projekt und Schutzräume für queere Geflüchtete in Unterkünften.

Queer2Peer ist eine wahrhaft Paritätische Symbiose, denn beide Kooperationspartner – Fluchtraum Bremen e. V. und Rat&Tat – Zentrum für queeres Leben e. V.  – sind Mitglieder des Paritätischen Bremen. „Die Zusammenarbeit funktioniert wirklich gut, seit Projektstart im Herbst 2024 haben sich acht solcher Tandems gefunden, die sich regelmäßig treffen“, berichtet Jakob.

Für Ivo ist sein Ehrenamt ein Gegenpol zu Angst und Isolation. „Ich wurde wegen meiner sexuellen Identität noch nie angefeindet und konnte in Indien als weißer Ausländer sogar arbeiten. Andersherum ist das für viele in Deutschland unmöglich. Hier kann ich zumindest ein Stück Gleichgewicht schaffen.“ Mit den Menschen, die ihn in Indien wie ein Familienmitglied aufgenommen haben, steht er noch immer in engem Kontakt. Auch für Ahmed wünscht er sich etwas Nachhaltiges. „Dass wir etwas schaffen, das über alle Umstände hinaus Bestand hat – wie eine zweite Familie.“

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* Name von der Redaktion geändert

Lisa Schwarzien, Paritätischer Bremen

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