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Ausgabe 03 | 2025: Ankommen und Willkommen
Schwerpunkt
Symbolbild

Zwischen Rassismus und Erfolgserlebnissen

KLIK – Rechte und Ressourcen für wohnungslose Menschen e.V. in Berlin-Mitte unterstützt wohnungs- und obdachlose Migrant*innen. Viele Ratsuchende sind mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt. Rassismus ist dabei nur ein Problem. Ein Ortsbesuch.

Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Berlin nimmt zu. Das bemerken auch viele Berliner*innen. Kaum ein Spaziergang durch die Hauptstadt, bei dem die zunehmende Anzahl von Zelten und Camps in Parks und unter Brücken nicht auffällt. Dieser Eindruck spiegelt sich auch in den offiziellen Zahlen wider: Über 50.000 Menschen ohne eigene Wohnung zählt die Statistik. Sie leben in Not- und Sammelunterkünften. Wie viele Personen auf einer fremden Couch oder tatsächlich auf der Straße übernachten, ist schwer zu erfassen. Bemerkenswert ist, dass 83 Prozent laut Statistik keine deutsche Staatsangehörigkeit haben. Für viele von ihnen ist KLIK eine wichtige Anlaufstelle.

An diesem letzten Freitag im August 2025 sind um die Mittagszeit noch einige Ratsuchende in der Beratungsstelle in der von Cafés, Bars und Restaurants dominierten Torstraße. Der größte Raum der Beratungsstelle ist der Warteraum, der auch über eine Spielecke verfügt. Sie macht sofort unmissverständlich klar, dass hier viele Eltern mit Kindern Hilfe suchen. Ein Drittel der Besucher*innen sind es, erfahre ich später.

Die heutige Beratungsstelle entstand aus dem ursprünglich spendenfinanzierten „Kontaktladen für Straßenjugendliche“. Mit dem Bestreben, die Unterstützung wohnungsloser Menschen mit komplexen Problemlagen dauerhaft zu sichern, gründete das Team 2012 den Verein "KLIK – Rechte und Ressourcen für wohnungslose Menschen e.V.". Heute wird die Beratungsstelle unter anderem vom Berliner Senat im Rahmen des Integrierten Sozialprogramms (ISP) gefördert.

Die Zahl der Hilfesuchenden bei KLIK wächst rasant. „Das liegt einerseits daran, dass tatsächlich immer mehr Berliner*innen auf der Straße leben, und andererseits daran, dass KLIK in der Szene und darüber hinaus sehr bekannt ist“, sagt Marcel Nouvernte, der seit 2020 Teil des Teams ist und die Beratungsstelle gemeinsam mit Alexandra Post leitet. Auch die Angebotsstruktur spielt eine Rolle, ergänzt Magdalena Rozycka, die seit 2018 dabei ist: „Wir setzen stark auf Beratungsprozesse. Die Menschen bringen neben Wohnungslosigkeit oft viele andere Probleme mit – Drogen, Gewalterfahrungen, das gehört für viele zum Alltag. Ein weiterer Grund für steigende Beratungszahlen ist die Weiterempfehlung durch frühere Klient*innen. Florin Căpîlnean, der bei KLIK schwerpunktmäßig auf Rumänisch berät, betont: „Viele Ratsuchende erfahren durch persönliche Empfehlungen von unserem Angebot. Besonders innerhalb der rumänischen Roma-Community ist es üblich, hilfreiche Informationen und Anlaufstellen weiterzugeben. Menschen unterstützen sich gegenseitig, informieren Familie und Freund*innen über unsere Beratung. Diese Netzwerke helfen dabei, dass viele überhaupt erst Zugang zu unseren Hilfen bekommen.“

Spezialisierte Organisationen wie KLIK sind deshalb so wichtig, weil viele wohnungslose Menschen mit Migrationshintergrund bei klassischen Beratungsstellen an Grenzen stoßen. Entscheidend ist, dass das Team mehrsprachig arbeitet, im Behördenalltag erfahren ist und weiß, wie Migrant*innen Zugang zu Hilfen bekommen können. Menschen, die an Bürokratie, Sprachbarrieren oder ungeschriebenen Regeln scheitern, finden hier Unterstützung, die bereits vor den großen Hürden ansetzt und auch in komplizierten Situationen durchträgt.

Gerade dann, wenn Menschen weder existenzsichernd arbeiten können noch familiäre oder finanzielle Rücklagen haben, durch Krankheit, Wohnungsverlust oder Arbeitslosigkeit in Not geraten, sind sie besonders oft von rassistischen und klassistischen Zuschreibungen betroffen. Für viele Ratsuchende verbinden sich die Erfahrung von Migration und sozialer Ausgrenzung zu einer doppelten Hürde im Hilfesystem.

Das Team bei KLIK. Stehend v.l.n.r.: Marcel Nouvernte, Krasimira Georgieva und Magdalena Rozycka. Sitzend: Florin Căpîlnean.

Krasimira Georgieva, Sozialarbeiterin bei KLIK, erklärt: „Unionsbürger*innen verfügen zwar grundsätzlich über ein Aufenthaltsrecht in Deutschland. In der Praxis ist ihre soziale Absicherung jedoch stark eingeschränkt – insbesondere, wenn sie nicht erwerbstätig sind oder sich noch kein Daueraufenthaltsrecht erarbeitet haben. Hinzu kommt, dass mehrfach wirkende Diskriminierungen – etwa aufgrund einer ethnischen Zuschreibung, des Geschlechts oder einer Behinderung – die Chancen auf Unterstützung weiter schmälern. Die Kombination aus rechtlichen Ausschlüssen und alltäglichen Vorurteilen erschwert die Durchsetzung von Rechten immens.“

Wer als wohnungslose Person ohne deutsche Staatsbürgerschaft im Hilfesystem ankommt, erlebt oft zusätzliche Hürden. Georgieva schildert das Beispiel einer Mutter mit zwei behinderten Kindern, deren Hilfegesuche seit Monaten zwischen verschiedenen Behörden hin- und hergeschoben werden: „Ich schreibe immer wieder E-Mails an die zuständigen Stellen – und bekomme darauf selten eine Antwort.“ Gerade für Zugewanderte werden Anliegen häufig nachrangig behandelt, Fristen sind knapp bemessen und Verständigungsschwierigkeiten werden nicht durch unterstützende Maßnahmen abgefedert.

Mit entscheidend für die gesamte Dynamik – und oftmals das größte Hindernis – ist jedoch der Berliner Wohnungsmarkt.

Magdalena Rozycka, Kollegin von Georgieva, beschreibt das Kernproblem: „Die Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt wird immer dramatischer. ASOG-Unterkünfte – eigentlich eine Übergangslösung – sind für die meisten Menschen nur für wenige Wochen sicher, manchmal auch kürzer. Die Behörden setzen dann voraus, dass die Betroffenen selbstständig und aktiv eine Wohnung suchen und dies schriftlich nachweisen. Aber für viele unserer Klient*innen sind solche Anforderungen kaum zu erfüllen.“ Sie nennt Gründe wie mangelnde Deutschkenntnisse, fehlende Informationen, Diskriminierung bei der Wohnungsvergabe und den akuten Mangel an bezahlbarem Wohnraum: „Das System wird für viele zur dauerhaften Belastungsprobe, nicht weil sie nicht suchen, sondern weil die Hindernisse schlicht zu hoch sind.“

Mitunter erleben Ratsuchende gezielte Schikanen. Auflagen und Mitwirkungspflichten werden oft nur stückweise mitgeteilt und nie vollständig beim ersten Beratungsgespräch offengelegt. Genehmigungsprozesse ziehen sich hinaus, manchmal werden sogar ungewöhnlich umfangreiche Unterlagen wie Nebenkostenabrechnungen der vergangenen fünf Jahre verlangt.

Es ist bekannt, in welchen Ämtern solche Barrieren besonders häufig auftreten, ergänzt Nouvernte: „Hier geht das längst über die gesetzlichen Regeln hinaus, das hat mittlerweile fast schon hausinterne Tradition.“ Teilweise existieren problematische Dienstanweisungen, die pauschal Migrant*innen auf angeblichen bandenmäßigen Leistungsbetrug prüfen lassen.

Selbst wenn Diskriminierung offensichtlich ist, bleibt sie häufig schwer nachweisbar. Manchmal äußern sich Mitarbeitende von Behörden sogar ganz offen. Nouvernte berichtet: „Eine Mitarbeiterin der Sozialen Wohnhilfe sagte mir, sie wisse ohnehin, dass die Roma-Familien schon irgendwo unterkämen – da müsse man nicht schnell helfen.“ Einer Mutter wurde vom Gesundheitsamt geraten, „nicht so viele Kinder zu bekommen.“

Diskriminierung erleben Ratsuchende aber nicht nur bei Behörden, sondern auch in Alltagskonflikten rund um Wohnungslosigkeit. Eine Frau, von Căpîlnean betreut, verlor ihren Wohnheimplatz wegen fehlender Deutschkenntnisse. „Es entstand ein Konflikt. Die Mitbewohnerin, die Deutsch sprach, war eigentlich die Aggressive – trotzdem musste meine Klientin gehen“, berichtet Căpîlnean.

Trotz solcher Erfahrungen arbeiten die Mitarbeitenden von KLIK gern: „Viele glauben, unsere Arbeit bringe nur Frust – aber das Gegenteil ist der Fall“, sagt Rozycka. „Viele Ratsuchende bringen Lebensfreude mit, und für uns zählt jeder kleine Erfolg.“ Die Mitarbeitenden schöpfen Kraft aus den Erfolgsmomenten. Immer wieder kommen Menschen zurück, denen eine Wohnung oder ein Arbeitsplatz vermittelt werden konnte, um stolz von ihrem neuen Leben zu berichten. „Das ist auch unser Erfolg.“

„Manchmal ist es für uns schon fast ein Problem, dass uns manche Ratsuchende unbedingt Geschenke machen wollen, um sich zu bedanken. Das dürfen wir aber natürlich nicht annehmen“, ergänzt Căpîlnean mit einem Lächeln. Solche Geschichten gibt es viele: Kinder, die in der Schule aufblühen, oder abgewehrte Räumungsklagen. Für Georgieva ist klar: „Gerade solche Erfahrungen ermutigen uns, weiterzumachen.“

Philipp Meinert

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