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Ausgabe 03 | 2025: Ankommen und Willkommen
Schwerpunkt
Refugio München
Jürgen Soyer, Geschäftsführer bei Refugio München
Interview

Helfen ist auch immer politisch

Wer vor Krieg und Verfolgung fliehen musste, hat oft Schreckliches erlebt. Bei Refugio München können Geflüchtete Hilfe finden, um ihre Traumata zu verarbeiten. Darüber sprachen wir mir Geschäftsführer Jürgen Soyer.

Herr Soyer, können Sie sich bitte zunächst einmal ganz kurz vorstellen und sagen, wie Sie zu Refugio München gekommen sind?

Mein Name ist Jürgen Soyer und ich bin schon seit über 26 Jahren bei Refugio München. Zuvor habe ich meinen Zivildienst in einer Asylbewerberunterkunft abgeleistet. Dabei habe ich immer einen Geflüchteten zu Refugio München begleitet, der dort in Therapie war. Er war mental in einem ziemlich schlechten Zustand, aber innerhalb von einem halben Jahr hat er sein Leben in den Griff bekommen und eine Arbeit gefunden. Da dachte ich mir, wow, das machen die ja toll. Da will ich auch arbeiten. Ich habe dann Sozialpädagogik studiert und als ich fertig war, habe ich mich beworben und bin genommen worden.

Was ist dort Ihr Arbeitsschwerpunkt?

Inzwischen bin ich Geschäftsführer zusammen mit Annette Hartmann. Wir sind eine Facheinrichtung für Psychotherapie und psychosoziale Beratung für Geflüchtete, bieten aber auch noch andere pädagogische Angebote. Unsere Aufgabe als Geschäftsführung ist es, die Einrichtung zu leiten, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Das größte Thema ist natürlich die Finanzierung, aber die Personalführung und alles, was damit verbunden ist, gehört ebenso zu meinen Aufgaben. Wir verstehen uns auch als Menschenrechtsorganisation, die für die Belange unserer Klient*innen eintritt, und zwar immer unter dem Gesichtspunkt der psychischen Gesundheit von Geflüchteten. Und da gibt es natürlich einiges, was verbessert werden muss. Wir treten auch mit Politik und Behörden in Kontakt und weisen auf Bedarfe hin.

Mit welchen Themen kommen die Geflüchteten denn zu Ihnen? Und wie helfen Sie?

Der größte Bereich, den wir haben, ist die Psychotherapie. Die wird immer begleitet von sozialer Beratung. Das ist wichtig, weil wir nur Menschen, die noch im Asylverfahren sind, bei uns aufnehmen. Alle anderen verweisen wir auf die Regelversorgung, wenn sie schon Aufenthalt und damit eine Krankenversicherung haben. Unsere Klient*innen haben viel mit sozialen und asylrechtlichen Themen zu tun, die oft ebenso präsent sind wie die dramatischen Erlebnisse der Vergangenheit. Deswegen arbeiten immer ein*e Sozialpädagog*in und ein*e Therapeut*in zusammen. Begleitend haben wir noch sehr viele stabilisierende Gruppen, etwa Kunstprojekte, zum Beispiel für Kinder in den Asylbewerberunterkünften. Wir bieten auch ein Elterntraining an, das Eltern hilft, für ihre Kinder im neuen Kontext gut Erziehungsverantwortung zu übernehmen. Es gibt bei uns ein Früherkennungsprojekt für besonders vulnerable Asylsuchende in der Erstaufnahme und ein Fortbildungsprogramm, aber auch eine kleine wissenschaftliche Abteilung, die mit der LMU München zusammenarbeitet, um Konzepte der interkulturellen Therapie weiterzuentwickeln.

Sie sagten, Sie treten in Kontakt mit der Politik. Haben sie das Gefühl, dort Gehör zu finden?

Ich bin wie gesagt seit 26 Jahren dabei. Vor 20 Jahren haben wir mit Politik noch überhaupt nicht darüber gesprochen, dass Traumatisierung ein gravierender Einschnitt im Leben ist, der durchaus eine Krankheitsrelevanz hat. Es wurde damals noch nicht mal anerkannt, dass man sich darum kümmern muss. Das hat sich geändert, und dazu haben wir sicher etwas beigetragen. Ich habe den Eindruck, man hat inzwischen auch in der Politik verstanden, dass es ein Recht auf Gesundheit gibt. Die meisten der Menschen bleiben ja letztlich hier, weil sie eine Anerkennung und damit Aufenthalt bekommen. Wenn der Kopf so voll ist mit dramatischen Erinnerungen, dann ist es sehr schwierig, Deutsch zu lernen und einen Beruf zu ergreifen. Ich glaube, Politik hat verstanden, dass die Menschen ihre schlimmen Erlebnisse verarbeiten müssen und unsere Hilfe ein guter Weg ist, um sie in unsere Gesellschaft aufzunehmen. Jetzt gilt es noch, sie davon zu überzeugen, dass dafür auch Geld bereitgestellt werden muss. Davon haben wir die Politik zumindest in Bayern noch nicht so nachhaltig überzeugen können.

Die mangelhafte Finanzierung Psychosozialer Zentren ist ein großes Problem. Wie sieht's da derzeit bei Refugio München aus mit der Finanzierung?

Wir hatten schon immer eine komplexe Mischfinanzierung. Über 30 Zuschussgeber finanzieren uns, was natürlich auch eine große Herausforderung in der Finanzverwaltung darstellt. Zurzeit gibt es zumindest die Ankündigung, dass Kürzungen bevorstehen. Besonders Bundes- und EU-Gelder werden weniger. Und leider geht aktuell auch die Spendenbereitschaft zurück.

Ich habe einen Punkt auf Ihrer Homepage gefunden. „Helfen ist auch politisch“, steht da. Können Sie das ausführen, wie Sie das meinen?

Die Geflüchteten, mit denen wir zu tun haben, haben oft gravierende Menschenrechtsverletzungen erlebt und leiden deswegen. Wir erklären ihnen, dass das eine normale Reaktion auf schreckliche Erfahrungen ist, die sie durchgemacht haben. Wir sagen ihnen: Du bist nicht verrückt. Es ist das System, das verrückt ist. Ein System, das Menschenrechtsverletzungen ermöglicht. Deswegen muss auch immer anerkannt werden, dass unsere Klient*innen Unrecht erlebt haben. Es reicht nicht, nur medizinisch-psychologische Hilfe zu geben. Das, was sie erlebt haben, ist immer in einem politischen Kontext passiert, und der muss benannt und angeklagt werden. Das ist ein politischer Anteil an dieser Arbeit, den ich für sehr wichtig halte. Manchmal gibt es den Einwand, unsere Arbeit könnten doch auch Krankenhäuser machen. Aber die Menschenrechtsarbeit ist ebenso wichtig, und die können nur wir machen.

Das Interview führte Philipp Meinert

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