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Ausgabe 04 | 2021
Schwerpunkt

Wohnen ist Menschenrecht!

Wohnen ist die neue soziale Frage und spielt daher zurecht in diesem Bundestagswahlkampf eine wichtige Rolle. Strukturdefizite auf dem Wohnungsmarkt, fehlende wirksame Mietpreisbegrenzungen und ein Mangel an bezahlbarem Neubau und preiswerten Wohnungen führen dazu, dass Menschen vielerorts nicht mehr da wohnen können, wo sie möchten, dass sie in andere Gegenden verdrängt werden oder teilweise erst gar keine Wohnung finden. Auch soziale Träger mit ihren Angeboten sind von der angespannten Lage betroffen.

In der Sozialen Arbeit wird das Wohnraumproblem besonders deutlich, wenn Frauen länger als 1 Jahr mit ihren Kindern in Frauenhäusern verbleiben müssen, weil sie keine Wohnungen finden; wenn Menschen länger in psychiatrischen Einrichtungen verbleiben, weil es auch für sie keine Wohnungen gibt oder wenn Careleaver nach ihrem 18. Lebensjahr nicht wissen wohin und teils auf der Straße landen. (Nicht nur) im Bundestagswahlkampf geht es uns als Paritätischer darum – gemeinsam mit Partnern – für eine Wohnungspolitik zu streiten, die jedem passenden Wohnraum gewährt.

Für uns ist dabei die Einführung eines Wohnungssektors zentral, der nicht profitorientiert ist, um eben die Steuerungsfähigkeit für den Wohnungsmarkt wieder erlangen zu können.

Bei der Versorgung mit Wohnraum dürfen eben keine wirtschaftliche Gewinninteressen im Vordergrund stehen, sondern es geht darum, sicheren Wohnraum für jeden zu gewährleisten, weil es ein existenzielles Grundbedürfnis ist. Der Markt allein kann eine sozial verträgliche Wohnraumversorgung nicht gewährleisten. Das zeigt die Knappheit an preiswerten Wohnraum mehr als deutlich und deshalb treten wir als Paritätischer für die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit ein.

Eine Wohnungsgemeinnützigkeit gab es bereits in Deutschland und wurde in 90er Jahren abgeschafft. Bis dahin versorgte der gemeinnützige Wohnungssektor v.a. kleine und mittlere Einkommen mit Wohnraum. Die bis dahin 3-4 Mio. sozial gebundene Wohnungen wurden dem Markt überlassen und dort wurde es für die sozial verträglichen Wohnungen immer enger und heute fehlen sie mehr denn je. Das ist für uns ein zentrales Strukturmerkmal auf dem Wohnungsmarkt, welches eingeführt werden muss.

Ein weiteres wichtiges Thema ist der Mangel an Sozialwohnungen. Auf dem Wohngipfel der Bundesregierung wurde das Ziel ausgegeben, in dieser Legislatur 100.000 Sozialwohnungen zu errichten. Dieses Ziel reicht bei Weitem nicht aus. 2019 wurden lediglich 25.565 Sozialwohnungen gefördert und zugleich aber ca. 64.000 Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen. Um den Bedarf zu decken, müssen pro Jahr ca. 100.000 Sozialwohnungen (rund 6 Mrd. pro Jahr) geschaffen werden und die Sozialbindungen müssten dauerhaft bestehen. Sonst wird der Zugang von Menschen mit geringen Einkommen zum Wohnungsmarkt immer enger, wenn sich dieser Trend nicht ändern.

 

 

Betroffenen-Statement

"Von der künftigen Bundesregierung würde ich mir wünschen, dass sie zum einen das fortführt was die alte Regierung gut eingeleitet und umgesetzt hat, zum anderen, dass sie noch ein Stück mehr in die Details hinein blickt und auch mal Betroffene mit ins Boot holt, so wie es jetzt beispielsweise beim digitalen Aktionskongress der Fall war. Ich glaube, wenn wir unsere Kräfte bündeln, dass wir eine Chance haben die Armut in Deutschland zu besiegen."

Christian (Die Initiative e.V.), war obdachlos

Darüber hinaus braucht es wirksamere Mietpreisbegrenzungen, um Menschen zu ermöglichen, dort wohnen zu bleiben, wo sie gerade leben und um ihnen die freie Wohnortwahl zu ermöglichen. Dieses Bauen, bauen, bauen, so wie es gerade vor allem im hochpreisigen Sektor passiert, reicht als Mittel für sinkende Mieten nicht aus. Es müssen die aktuellen Möglichkeiten zur Mieterhöhung bei bestehenden und neu abgeschlossenen Mietverhältnissen stärker als jetzt eingedämmt werden. Bspw. muss die Mietpreisbremse reformiert werden, um damit effektiv Mietreise eindämmen zu können. Dazu müssen u.a. Ausnahmetatbestände abgeschafft werden, die den Schutz der MPB vor zu hohen Mieten bisher verhindert. Es müssen kollektive Mieterrechte (Verbandsklagerecht) eingeführt werden und Verstöße gegen Mietpreisbremse müssen wirkungsvoller sanktioniert werden.

Wir sagen: es muss ein Ende haben mit diesen horrenden Mietpreissteigerungen in Leipzig (30%), Hamburg (19%), Stuttgart (32%), Berlin (30%); aber teils auch im Umland/ländlichen Regionen ist der Mietenanstieg angekommen. Wir setzen uns deshalb zusammen mit dem Deutschen Mieterbund, dem DGB und vielen weiteren stadt- und mietenpolitischen Vereinen und Initiativen, Sozialverbänden in einer Kampagne für einen bundesweiten und 6-jährigen Mietenstopp ein, um zu zeigen, dass es so nicht weitergehen kann mit den Preissteigerungen.

Von besonderer Bedeutung ist auch das Thema barrierefreier Wohnraum, da Barrierefreiheit eine Grundvoraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben ist. Der Bedarf an preisgünstigen barrierefreien Wohnungen wird auch demographisch bedingt zunehmen, da in den nächsten Jahren die Babyboomer-Generation (1946-1964) in Rente sein wird. Der Bestand liegt bei ca. 560.000 Wohnungen. Der Bedarf an barrierefreien Wohnraum liegt bis 2035 bei ca. 2,4 Mio. Deshalb treten wir für die Schaffung von mehr bezahlbaren barrierefreien Wohnraum ein.

Ein weiteres Thema, das uns bewegt, ist der Schutz von Gewerbemietern. Wir fordern einen besseren Schutz für Gewerbemieter*innen, um Jugendtreffs, Seniorencafés, Beratungsstellen und andere soziale und gesundheitliche Einrichtungen vor Verdrängung zu schützen.  Auch der kleine Lebensmittelladen, die Physiotherapeuten und der Buchladen von nebenan müssen durch einen besseren Schutz von Gewerbemietern vor Verdrängung geschützt werden. Denn es geht darum, die Daseinsvorsorge und wohnortnahe Versorgung mit Gütern des alltäglichen Bedarfs sicherzustellen.

Anders als im sozialen Wohnraummietrecht müssen Miethöhen, Vertragslaufzeiten und Kündigungsfristen u.a. bei der Gewerbemiete frei vereinbart werden. Aber dass Gewerbemieter*innen und –vermieter*innen auf gleicher Augenhöhe verhandeln, ist v.a. in angespannten Regionen mehr als fraglich. In solchen Gebieten kommt es zu Mietsteigerungen im Zeitraum von 2009 bis 2018 um bspw. 191% bis teilweise um 266%. Deshalb müssen Gewerbemieten in bestehenden und neu abgeschlossenen Mietverhältnissen begrenzt werden. Um Gewerbemieter vor Verdrängung zu schützen, ist zu prüfen, ob soziale Erhaltungssatzungen (sog. Milieuschutz) auf soziale Einrichtungen und andere angewendet werden können.

Darüber hinaus muss ein Verlängerungsanspruch bei befristeten Gewerbemietverhältnissen geschaffenwerden. Denn in der Praxis kommt es vielerorts zum Abschluss sehr kurzer Mietverhältnisse. Nach Ablauf der Mietzeit bekommen einige Gewerbemieter*innen das Mietverhältnis anschließend zu wesentlich höheren Mietpreisen erneut angeboten, was sie finanziell aber überfordert und sie nicht refinanziert bekommen. Und der Kündigungsschutz muss gestärkt werden, da bspw. unbefristet abgeschlossene Gewerbemietverhältnisse ohne besonderen Grund (ordentlich) fristgerecht gekündigt werden können.

Auf dem Wohnungsmarkt zeigt sich eine deutliche Schere in der Mietkostenbelastung: während die Mietkostenbelastung (Bruttowarm) bei den Haushalten in Großstädten im Mittel bei rund 30% (29,8; 2018) liegt, müssen die Armen in der Bevölkerung rd. 46 Prozent (2018) ihres Einkommens für Miete aufwenden. Diese Zahl zeigt einmal mehr, dass wir eine sozialere Gestaltung der Wohnungs- und Mietenpolitik brauchen und gemeinsam dafür eintreten müssen. Wohnen ist ein Menschenrecht.

Jennifer Puls ist Referentin für übergreifende Fachfragen

Das fordern wir!

Mietpreise eindämmen.
Wir fordern eine wirksame Eindämmung von Mietpreisen, damit Menschen nicht aus ihrem sozialen Umfeld verdrängt werden.

Neue Wohngemeinnützigkeit.
Wir fordern die Einführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit, weil das Grundrecht auf bezahlbares und gutes Wohnen nicht dem freien Markt überlassen werden darf.

Soziale Einrichtungen schützen.
Wir fordern die Begrenzung der zulässigen Gewerbemieten und die Stärkung des Kündigungsschutzes,
um soziale Einrichtungen und die wohnortnahe Versorgung zu schützen.

Wohnen für alle!

Paritätischer ruft am 11. September zu Demonstration gegen hohe Mieten und Verdrängung auf

Gemeinsam mit einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis ruft der Paritätische am 11. September 2021 zu einer Demonstration in Berlin auf. Das Bündnis fordert einen radikalen Kurswechsel in der Mieten- und Wohnungspolitik.

Ob Frankfurt, Dresden, München, Leipzig, Berlin, Hamburg oder Köln: die Mieten steigen weiter - und das nicht nur in den großen Städten. Überall sind Menschen von explodierenden Mieten betroffen, werden zwangsgeräumt oder finden keine Wohnung. Die Obdachlosigkeit wächst. Wohnungslose, Menschen mit geringem Einkommen, Alleinerziehende, Geflüchtete, von Rassismus und anderen Diskriminierungen betroffene Menschen, Rentner*innen, Menschen mit Beeinträchtigungen oder junge Erwachsene - viele trifft der alltägliche Mietenwahnsinn besonders hart.

Explodierende Mieten sind kein Naturgesetz, sondern Ergebnis einer verfehlten Wohnungspolitik, die Profitinteressen über das Recht aller Menschen auf angemessenen und bezahlbaren Wohnraum stellt.

Am 11. September 2021 gehen Mieter*inneninitiativen und -vereine, stadtpolitische Gruppen, Gewerkschaften und Sozial- und Wohlfahrtsverbände auf die Straße, um in bundesweiter Solidarität mit den Vielen einen radikalen Kurswechsel in der Mieten- und Wohnungspolitik von der zukünftigen Bundesregierung einzufordern. Das Motto: Wohnen für alle! Gemeinsam gegen hohe Mieten und Verdrängung.

Weitere Informationen auf http://mietendemo.org/

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