Bremer Engel mit Suppenkellen
Herr Dr. Valting, Bremen gilt seit Jahren immer als Schlusslicht bei den Armutsquoten. Wie bemerken Sie in diese Entwicklung in ihrer täglichen Arbeit bei den Suppenengeln?
Wir sind inzwischen schon 26 Jahre dabei und die Zahl unserer Klient*innen, also Obdachlose und Bedürftige, hat in der letzten Zeit deutlich zugenommen. Wir gehen ja raus zu den Menschen in die Stadtteile vor Ort und verteilen Essen und da merken wir, dass es mehr Bedürftige gibt. Wir haben inzwischen 300 Klient*innen, die wir draußen versorgen.
Wie bewältigen Sie diese Zunahme? Schaffen Sie den Ansturm?
Naja, da wir ein gemeinnütziger Verein sind, schaffen wir das mit viel ehrenamtlichem Engagement. Das klappt auch sehr gut. Die Solidarität in Bremen und die Zahl der Menschen, die bei uns ehrenamtlich tätig sein wollen, ist nach wie vor hoch. Da habe ich keine Probleme. Es ist eher ein Luxusproblem, weil es so viele sind, die helfen wollen. Wir kochen überwiegend aus gespendeten Lebensmitteln und holen dafür jeden Tag etwa eine halbe Tonne Lebensmittel von den Supermärkten und Bäckern ab. Das klappt auch ganz gut. Außerdem haben wir noch ein Dutzend Langzeitförderstellen bei uns, so dass ich als Geschäftsführer auch ein bisschen Planungssicherheit habe.
Schön zu hören. Die Suppenengel gibt es ja bereits seit 1997. Gab es für Sie einen Kipppunkt, an dem Sie gemerkt haben, dass sich die Situation verschlechtert? Oder lief das kontinuierlich?
Auf der einen Seite lief das kontinuierlich ab, auf der anderen Seite haben wir gerade durch den Ukraine-Krieg gerade einen Einschnitt. Zuvor hatten wir durch Corona auch einen Einschnitt. Und die Menschen, die kamen, sind zum Teil geblieben. Und damit gehen wir jetzt um.
Welche Rolle spielt Gemeinnützigkeit in ihrer Arbeit?
Eine ungemein wichtige! Wir dürfen aufgrund unserer Gemeinnützigkeit vom Finanzamt anerkannte Spendenbescheinigungen ausstellen. Das ist für viele Spender sehr wichtig. Gerade, wenn die Spenden von Unternehmen sind. Und auf diese Weise können wir auch nach Außen treten und sagen: Wir haben einen sozialen Zweck, der vom Staat und von der Stadt genehmigt ist.
Dass diese Grundversorgung mit Lebensmitteln für viele Menschen gar nicht mehr möglich ist, wird von vielen ja auch als Kapitulation des Sozialstaates betrachtet. Wie sehen Sie das?
Die Frage wird oft gestellt: Wieso muss es euch eigentlich geben? Dafür müsste doch der Staat sorgen! Das ist ein zweischneidiges Schwert. Wir merken natürlich, dass das ehrenamtliche Engagement ja auch nachgefragt wird. Die Menschen wollen anderen Menschen helfen und vielleicht ist es ganz einfach möglich, im Rahmen einer gemeinnützigen Organisation, wie wir es auch sind, das besser zu realisieren und diese Möglichkeiten zu bieten. Vielleicht können wir das auch ein bisschen unbürokratischer handhaben.
Wie sehen Sie so etwas wie die neue Wohngemeinnützigkeit? Wäre das eine Möglichkeit, Obdachlosigkeit zu beseitigen?
Naja, jede Maßnahme hilft. Es muss aber ein Mix aus verschiedenen Instrumenten sein, wenngleich es auch nie gelingen wird, das Problem Obdachlosigkeit komplett zu lösen. Es gibt ja auch ein paar Menschen, die ganz bewusst draußen leben. Hier in Bremen wird gerade Housing First praktiziert. Meiner Meinung nach auch eine sehr gute Methode, um Menschen von der Straße zu holen. Ich denke, da werden verschiedenste Maßnahmen nötig sein. Aber wir sind nicht nur für die Obdach- oder Wohnungslosen da. Wir haben zunehmend Rentner*innen bei uns, bei denen zur Mitte des Monats das Geld aufgrund der gestiegenen Mieten einfach alle ist. Es wird immer eine Klientel geben, die einfach Not leidet und denen wir zumindest ein wenig helfen können.
Wie blicken Sie in die Zukunft? Wird es die Suppenengel in 26 Jahren auch noch geben?
Ja, da bin ich ziemlich sicher. Es gibt natürlich immer Schicksalsschläge. Kein Mensch soll glauben, dass er oder sie vor Obdachlosigkeit und ähnlichem gefeit ist. Dafür gibt es vielfältigste Gründe und die wird es auch in 30 Jahren noch geben. Da bin ich ziemlich sicher.
Das Interview führte Philipp Meinert
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