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Ausgabe 04 | 2023: Gemeinnützig arbeiten
Schwerpunkt
Bildbeschreibung: Von hinten zu sehen ist ein kleines Kind, das an der Hand mit seiner Mutter an einem See spazieren geht.
Interview

Unterwegs in Sachen Alleinerziehende

Acht Millionen Familien mit minderjährigen Kindern leben in Deutschland. Jede fünfte Familie besteht dabei aus einem Elternteil plus Kind. Bei vielen Familienförderungen werden die Bedürfnisse alleinerziehender Eltern nicht immer berücksichtigt. In Brandenburg kümmern sich die SelbstHilfegruppen Alleinerziehender (SHIA) darum. Wir sprachen mit Geschäftsführerin Birgit Uhlworm.

Frau Uhlworm, zunächst würde ich gerne etwas zur Arbeit erfahren. Welche Form von Selbsthilfe brauchen Alleinerziehende und was bieten Sie bei SHIA an und wie arbeiten Sie?

Wir würden gerne noch mehr anbieten, wenn wir mehr Ressourcen hätten. Wir sind gestartet mit dem Ziel der Stärkung, Gleichstellung und Chancengleichheit der Alleinerziehenden und ihrer Kinder. Das ist ja auch etwas, bei dem Selbsthilfe einen wichtigen Beitrag leisten kann. Für Alleinerziehende ist Selbsthilfe eine wichtige Unterstützung zur Bewältigung ihres Alltags. Wir haben die klassischen Selbsthilfegruppen als Format, aber auch Treffs für Alleinerziehende. Uns gibt es bereits seit 1991 in Brandenburg, und schon in den Neunzigern hatten wir 15 Selbsthilfegruppen Alleinerziehender im Land. Die Gruppen wurden dann noch von ABM-Kräften in den verschiedenen Einrichtungen unterstützt, wie etwa Familientreffs. Gerade für Alleinerziehende ist es einfach wichtig, dass dieses Ehrenamt durch Hauptamt begleitet wird, so dass Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Alleinerziehende sind erstens die Familienform mit der größten Armutsquote und zweitens eine Personengruppe mit wenig Zeit. Viele Alleinerziehende schaffen es neben Berufstätigkeit, Haushalt und Kindererziehung nicht auch noch, ehrenamtlich aktiv zu sein.

Und ansonsten versuchen wir jetzt hier von der Geschäftsstelle aus Angebote zu machen, die so ein Gemisch aus hauptamtlichem Angebot, aber auch Selbsthilfe sind. Wir haben ein Format, das nennt sich „Familienbildungsurlaub für Einelternfamilien im Landkreis Dahme-Spreewald.“ Da fahren wir mit 8 bis 9 Alleinerziehenden und ihren Kindern einmal im Jahr in ein Ferienobjekt. Am Vormittag findet dort ein Elternseminar mit Themen, die Eltern betreffen, statt. In dieser Zeit gibt es eine Kinderbetreuung - und der Rest der Zeit ist Familienurlaub. Außerdem haben wir einen Wohnwagen am Helene See. Dort können Alleinerziehende Urlaub machen. Da höre ich dann immer wieder, dass nach den Treffen Teilnehmende gemeinsam in den Urlaub fahren oder sich gegenseitig bei der Kinderbetreuung unterstützen.

Wir bieten auch punktuell Kinderbetreuung an, wenn Alleinerziehende einen Termin haben. Unser Angebot ist ganz vielfältig und richtet sich immer nach der jeweiligen Situation der Alleinerziehenden. Ganz aktuell haben wir den Fall, dass eine Mutter nach dem Tod ihres Mannes alleinerziehend geworden ist und sie durch eine Vereinsmitglied, das selbst in dieser Situation war,  Unterstützung erhält.

Sie haben zu Beginn gesagt, Sie würden eigentlich noch viel mehr machen. Aber jetzt haben Sie eine ganze Menge aufgezählt. Was würden Sie gerne noch mehr machen?

Naja, wir würden unser Angebot gern überall in Brandenburg machen. Was wir machen, findet ja vorwiegend im Landkreis Dahme-Spreewald und in Königs Wusterhausen statt, weil wir dort die Geschäftsstelle haben. Aber Alleinerziehende wohnen ja auch in Ludwigsfelde, in Frankfurt an der Oder und in Potsdam. Und dort Angebote zu machen, wäre schon unser Wunsch. Wir sind dran. Zum Beispiel gibt es jetzt in Potsdam einen Treff Alleinerziehender.

Wir wollen eigentlich schon, so unsere Vision, dass es mindestens ein Angebot für Alleinerziehende in jeder öffentlich geförderten Einrichtung für Familien im Land gibt. Mehrgenerationenhäuser oder Familienzentren machen immer Angebote für alle Familien. Aber es muss ein spezifisches Angebot für Alleinerziehende geben, welches sie auf der einen Seite anspricht und wertschätzt und auf der anderen Seite ihren Bedürfnissen entspricht. Am besten am Wochenende, weil viele Alleinerziehende in der Woche kaum Zeit haben. Die Kinder haben vielfältige Freizeitaktivitäten und die Alleinerziehenden gehen arbeiten. Für die Alleinerziehenden ist oft das Wochenende einfach der Zeitraum, an dem sie mal Zeit für Austausch und Gemeinsamkeit haben.

Hauptstadtfotografen (Ronny Rose)
Birgit Uhlworm

Sie sind außerdem als Lobbyistinnen im Sinne der Einelternfamilie unterwegs. Welche Forderungen erheben Sie denn an die Politik?

Wir fordern schon seit langem, dass die Infrastruktur für Kinder und Jugendliche kostenfrei sein muss, damit die Kinder unabhängig von der Familienform und auch vom Bildungsstand der Eltern eine gleichberechtigte kulturelle oder künstlerische Teilhabe erleben können. Es ist ja leider so, dass der Schulerfolg abhängig ist vom Bildungsstand, oftmals von dem der Mutter. Kinder aus Familien mit gutem Einkommen können z. B. das College in Neuseeland oder in den Staaten besuchen. Das können in der Regel Kinder von Alleinerziehenden nicht. Sie machen auch seltener Abitur als Kinder aus Paarfamilien. Da sieht man ganz klar, dass die Entwicklung und die Teilhabechancen des Kindes einfach von der Familienform abhängig sind.

Die Gesundheit oder das gesundheitliche Wohlergehen ist ebenfalls vom Bildungsstand der Mutter abhängig. Das belegen Untersuchungen. Kinder können ja nichts dafür, in welche Familienform sie hineingeboren werden. Das kann man nur durchbrechen, indem die Angebote für alle Kinder und Jugendlichen kostenfrei sind.

Und das ist unsere Forderung, dass dieses Ungleichgewicht beendet werden muss. Und das geht aus unserer Sicht nur, wenn diese Angebote kostenfrei sind.

Da haben wir schon eine kleine Überleitung. Warum arbeiten Sie gemeinnützig und oder warum ist es der Selbsthilfe wichtig, gemeinnützig zu arbeiten und nicht als kommerzielles Angebot, als GmbH oder so?

Als wir uns 1991 gegründet haben, gab es gar keine andere Form für uns als die Gemeinnützigkeit. Damals gab es ein Bundesprogramm. Das nannte sich „Aufbau und Förderung von Frauenverbänden, Frauengruppen und -initiativen  in den neuen Bundesländern.“ Das waren öffentliche Gelder, die man nur bekam, wenn man gemeinnützig war. Also daraufhin haben wir dann die Form der Gemeinnützigkeit gewählt. Dadurch sind wir auf der einen Seite natürlich abhängig von öffentlichen Zuwendungen. Auf der anderen Seite haben wir aber damit die Möglichkeit, auch Spenden für unsere Arbeit einzuwerben, was als GmbH nicht ginge. Und als GmbH wäre man auch diesem Markt mit Angebot und Nachfrage ausgeliefert, was wir als gemeinnütziger Verein nicht sind. Insofern ist es gerade für die Alleinerziehenden und die Arbeit für und mit Alleinerziehenden aus unserer Sicht wichtig, dass es eine gemeinnützige Arbeit ist.

Jetzt ist es aber auch auf der anderen Seite so, dass wir gerade viele Kürzungen im öffentlichen Bereich erleben. Das bedroht auch viele öffentliche Einrichtungen. 

Natürlich. Im Prinzip kämpfen wir, seitdem es uns gibt, regelmäßig um unseren Erhalt und die Erweiterung der staatlichen Gelder. Das ist sozusagen unser alltäglicher Begleiter.  Wir haben in Potsdam vor dem Landtag demonstriert, als die Landesregierung mal die gesamte Förderung der Frauen- und Familienverbandsarbeit streichen wollte.

Das ist unser tägliches Brot: Das Bestehende verteidigen zu müssen und auch immer um zusätzliche Gelder zu kämpfen. Wir haben es als Landesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände (LAGF), in der wir Mitglied sind, seit 1993 geschafft, dass es immer zusätzliche Mittel für diese Arbeit gibt. Daraus finanzieren wir zum Beispiel eine LAGF-Bürokraft, die ihren Arbeitsplatz in unserer Geschäftsstelle hat.

Das ist auch nur gerecht. Alleinerziehende zahlen Steuern, und wir finden, die sollten dann auch Alleinerziehenden wieder zugute kommen.  Und die Alleinerziehenden haben es verdient, dass mit öffentlichen Geldern auch Angebote speziell für sie als Zielgruppe gemacht werden.  Steuergelder sollen nicht in Rüstung und in totes Material gesteckt werden, sondern vor allem in die Menschen.

Aber, wie gesagt, die Alleinerziehenden gehören aufgrund der strukturellen Benachteiligungen seit langem zu den von Armut am meisten betroffenen Familien.

Und deswegen ist es wichtig, dass die staatlichen Gelder genau dieser Zielgruppen auch wieder zugute kommen. Und dazu gehört natürlich auch, dass es wichtig ist, diese Förderungen auch in eine Regelförderung zu überführen. Andere Bundesländer sind da schon weiter. Berlin hat jetzt zum Beispiel ein Familienfördergesetz und spezielle Netzwerk- und Anlaufstellen für Alleinerziehende. Thüringen hat ein Familienförderungsgesetz verabschiedet, durch das zumindest eine Grundstruktur mit einer Regelförderung für Alleinerziehende möglich ist. Hier in Brandenburg fordern wir das noch. Aber auch hier haben Politikerinnen und Politiker verstanden, dass es ein Gesetz wie das Kinder- und Jugendstärkegesetz braucht, in dem bestimmte grundlegende Förderungen für Kinder und Jugendliche festgeschrieben sind, auf die es einen Rechtsanspruch gibt. Das entlastet auch Alleinerziehende.

Das Interview führte Philipp Meinert

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