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Ausgabe 04 | 2023: Gemeinnützig arbeiten
Schwerpunkt
Interview

Gemeinnützig für einzigartige Menschen

Die Kaspar Hauser Stiftung bietet Menschen mit Behinderung Ausbildung, Beschäftigung und Betätigung. Das schafft sie auch wegen ihrer Gemeinnützigkeit. Wir haben Vorständin Birgit Monteiro dazu befragt.
Darstellung von Kaspar Hauser von 1828 von Johann Georg Laminit.

Frau Monteiro, Stiftungen werden ja meistens nach Firmengründer*innen oder Politiker*innen bekannt. Sie haben sich nach einem jungen Mann benannt, der mutmaßlich eine geistige Beeinträchtigung hatte und vor 200 Jahren lebte. Können Sie die Namenswahl erklären?

Kaspar Hauser steht stellvertretend dafür, dass jeder Mensch einzigartig ist und diese Einzigartigkeit Unterstützung verdient. Menschen mit Beeinträchtigung verfügen über ungeahnte Fähigkeiten. Und das erleben wir jeden Tag. Die Fähigkeiten und Stärken wollen wir herausfinden, unterstützen und deshalb ist der Name auch sehr passend für uns.

Es gab bei uns eine Vorgänger-GmbH, die bereits den Namen von Kasper Hauser trug. Als es dann zur Stiftungsgründung kam, gab es eine Befragung der Mitarbeiter*innen. Die hat ergeben, dass der Name große Akzeptanz findet, deshalb haben wir den Namen Kaspar Hauser ganz bewusst behalten und uns noch einmal intensiv mit seinem historischen Schicksal künstlerisch beschäftigt.

Was sind das für Fähigkeiten, die sie da abrufen möchten?

Oftmals sind es kreative Fähigkeiten. Ein besonderes Rhythmusgefühl etwa, wenn jemand an einer Musiktherapie teilnimmt. Ein Beschäftigter, der bei den Hausmeistern tätig ist, kennt sich ganz besonders mit Himmelskörpern, Sternen und Fotographie aus. Er macht hier Fotoausstellungen und kennt auch alle Fachbegriffe. Dagegen bin ich eine Laiin. Und so ist es hier bei vielen. So haben wir viele Talente, die wir hier erleben können. Das ist etwas, was für alle den Arbeitsalltag sehr interessant und sehr schön macht.

Sie sind ja eine gemeinnützige Stiftung. Das heben sie auch sie auch hervor. Was bedeutet das?

Wir sagen zu, dass hier keine Gewinne irgendwohin abgeführt werden, etwa an irgendwelche Personen, ans Kuratorium oder so. Alle Mittel werden dem gemeinnützigen Zweck zur Verfügung gestellt. Das ist für uns auch schon ein Qualitätsmerkmal. Der Staat unterstützt das ja und wenn man eben zusagt, die Mittel so einzusetzen, dann ist man von der Körperschaftssteuer befreit. Und das sind immerhin schon 15 Prozent, also nicht wenig Geld. Das kommt dann auch wieder den Menschen mit Assistenzbedarf zugute, weil es unser Stiftungszweck ist. Und für Kooperationspartner ist das natürlich dann nochmal ein wichtiger Nachweis, wenn das staatlich geprüft wird. Das ist, glaube ich für viele auch ein wichtiges Kriterium, um mit uns zusammen zu arbeiten. Und wir können dadurch natürlich auch um Spenden werben. Diese Akzeptanz, die spüren wir auch. Die Gemeinnützigkeit nehmen wir auch sehr wörtlich, also selbstlos tätig zu sein im Sinne des Allgemeinwohls. Also das ist für uns nichts, was man irgendwie hinschreiben muss, damit es schön aussieht, sondern wir wollen Gemeinnützigkeit auch wirklich leben.

Was planen Sie für die Zukunft?

Eine Einrichtung der Eingliederungshilfe, die bewegt sich ja auch in Zeit und Raum und da sehen wir auch für uns Weiterentwicklungsbedarfe. Wir haben vor, nicht nur die Mittel bestmöglich einzusetzen, sondern ein inklusives Unternehmen zu werden. Der Begriff Inklusion wird ja sehr unterschiedlich genutzt. Manche sagen, vielleicht in der Eingliederungshilfe, wir sind schon lange inklusiv. Wir sagen, wir haben da noch ein Stück Weg vor uns. Wir wollen eigentlich das erreichen, was sonst ausgelagerte Inklusionsunternehmen leisten, also dass 30 Prozent der Mitarbeiter*innen Menschen mit Behinderung sind. Das hat Einfluss auf alle Unternehmensentscheidungen. Zum Beispiel auf Baulichkeiten. Wir bauen gerade viel. Wir wollen die Aufenthaltsqualität in den Gebäuden verbessern und da gehört für uns zur Barrierefreiheit nicht nur, dass jeder Raum mit einem Aufzug erreichbar ist, sondern unser Standard sind zwei Aufzüge. Jeder kann Geschichten erzählen, wie oft auch neue Aufzüge ausfallen. Da kommen wir natürlich an Probleme, wenn bestimmte Fördermittelgeber sagen, ein zweiter Aufzug sei nicht förderfähig, wäre also Überstandard. Da müssen wir eben auch Eigenmittel einsetzen, um diesem Anspruch selbst zu genügen. Und so gibt es ganz viele Kriterien, auch in der Beteiligung von Menschen mit Assistenzbedarf und Mitarbeiter*innen, die zeigen, was das bedeutet, wenn man tatsächlich inklusiv werden möchte.

Julia Meumann
Vorständin Birgit Monteiro

Welchen Unterschied macht es für Menschen mit einer Behinderung in einer gemeinnützigen Einrichtung zu arbeiten anstatt in kommerziellen?

Ich glaube, dass sie hier besonders als Mensch gesehen werden. Nicht irgendwelche Verwertungslogiken und Leistungen stehen im Mittelpunkt, sondern tatsächlich die Individualität. Und da sind wir noch besonders, weil wir tatsächlich auf jeden einzelnen Menschen schauen. Manche stöhnen bei uns, weil es zu jeder Regel auch viele Ausnahmen gibt, aber die Menschen passen nun einmal nicht in Schubladen. Deshalb ist es uns auch wichtig, da genau hinzuschauen. Und sowohl Menschen mit Assistenzbedarf als auch Mitarbeiter*innen ist es wichtig, dass sie etwas Sinnvolles leisten. Arbeitszeit ist Lebenszeit. Das hören wir oft, dass jemand seine Lebenszeit sinnvoll verbringen möchte, also auch mit einer Idee verbunden. Wir wollen ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen sein, aber es geht hier nicht um Gewinnmaximierung, sondern um den bestmöglichen Einsatz der Kostensätze für die Menschen, für die sie da sind, da wollen wir möglichst gute Bedingungen schaffen.

Und was kann eine gemeinnützige Stiftung als Arbeitgeberin im Vergleich zur Industrie für ihre Arbeitnehmer leisten?

Da sind wir im harten Wettbewerb. Ich glaube, auch in der Wirtschaft muss man sich inzwischen mehr einfallen lassen, um Leute zu bekommen. Wir bezahlen nach AVR-Tarif des Paritätischen und schauen natürlich, wie wir über Betriebsvereinbarungen noch attraktiver werden können. Wir haben ein betriebliches Gesundheitsmanagement und führen regelmäßig über die AOK Umfragen zu Störfaktoren für die gesundheitliche Entwicklung durch. Wir geben Zuschüsse zu Job-Bikes oder Job-Tickets. Da haben die Mitarbeiter*innen ein Wahlrecht. Wir versuchen jetzt auch das erste Mal, Bedingungen für das Gewähren von Sabbatzeiten zu definieren, damit das für alle möglich wird. Und ich glaube, wir sind Weltmeister in Teilzeitmodellen. Wir gehen individuell auf die konkrete Situation der Arbeiter*innen ein. Das ist als Arbeitgeber sehr aufwändig, also auch „unterjährig“ Arbeitszeiten anzupassen und flexibel zu reagieren. Aber dadurch gelingt es uns, dass Mitarbeiter*innen auch in Familienzeit oder die Pflege von Angehörigen gut vereinbaren können. Allen, die bei uns arbeiten, ist die Gemeinschaft sehr wichtig. Und da gab es unter Corona natürlich erschwerte Bedingungen und da haben wir jetzt einiges nachzuholen, aber da ist auch ganz viel lebendig geblieben, was jetzt ganz unkompliziert wiederbelebt werden kann, was so an Gemeinschaftsfesten oder Traditionen die Menschen durch das Leben trägt.

Sie haben ja auch einen ganz toll sortierten Onlineshop, der von Keramik über Kerzen bis hin zu Filztieren so alles führt. Welches ist ihr Lieblingsprodukt und warum?

Meine Lieblingsprodukte sind die Blumenkübel, die wir anbieten. Davon stehen auch mehrere in meinem Garten. Die haben besonders schöne Dekore und sind echt ein Hingucker. Ästhetik ist für uns kein Luxus, sondern etwas, was im Alltag wichtig ist. Und deshalb sind die künstlerisch-kreativen Eigenprodukte in hoher handwerklicher Qualität besonders wichtig. Wir merken auch, dass die Beschäftigten da besonders gern in diesen Gruppen arbeiten. Es ist nicht so ganz leicht, sowas wirtschaftlich zu produzieren. Deshalb haben fast alle Gruppen, die Eigenprodukte herstellen auch immer noch andere Kunden, die dann auch für einen guten wirtschaftlichen Ausgleich mit anderen Aufträgen sorgen. Wir finden die steigenden Entgelte für Menschen mit Assistenzbedarf gut und wichtig, dann muss man aber auch immer auf die Wirtschaftlichkeit achten.

Das Interview führte Philipp Meinert

Weitere Infos

Homepage der Kaspar Hauser Stiftung

Die Kaspar Hauser Stiftung bei Facebook und Instagram

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