Nach der Flut: Der Kinderschutzbund OV Bad Münstereifel e.V. im Interview
Herr Haas, Sie sind Koordinator des Kinderschutzbundes Bad Münstereifel und seit 29 Jahren in der Organisation tätig. Mehrere Ihrer Einrichtungen waren von der Flutkatastrophe betroffen. Können Sie schildern was Ihnen genau passiert ist?
In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 ereignete sich hier in der Eifel der große Regen. Als Koordinator bin ich am nächsten Morgen zunächst unsere Einrichtungen abgelaufen.
„Die magische 12“, unsere integrative Kita, liegt direkt an der Erft, ca. 20 Meter vom Flussufer entfernt. Sie war wegen der Ferienzeit geschlossen. Das Kitagebäude war auf eineinhalb Meter durchflutet worden, wobei der Wasserspiegel innerhalb einer Stunde derartig schnell angestiegen ist, dass auch keine Chance mehr bestand einzugreifen. Die meisten Menschen in den Flutgebieten haben die Mengen an Wasser nicht kommen sehen und die Situation nicht einschätzen können. Unsere Kita war eine sehr großzügige und schön eingerichtete Einrichtung mit einem Anbau, der erst seit zwei Jahren in Betrieb war. Hier wurden die Gruppen- und Schlafräume erst kürzlich komplett neu eingerichtet. Es war ein Schock nach der Flut in das Gebäude zu gehen und zu sehen, dass die ganzen Dinge, die dort aufbewahrt wurden unbrauchbar geworden sind. Alles stapelte sich über- und untereinander, das Wasser ist nur so durchgerauscht.
Anschließend war ich in unserem Jugendtreff „Kick“, in dem ich vorher 28 Jahre gearbeitet habe. Dieser war ebenfalls wegen der Ferienzeit geschlossen und liegt auch an der Erft, im Untergeschoss eines städtischen Gebäudes. Die Räume sind bis zehn Zentimeter unter die Decke vollgelaufen. Das ganze Mobiliar wurde auf den Kopf gestellt. Als ich dort durchgelaufen bin war ich sehr beeindruckt von der Kraft des Wassers. Schwere Billardtische und Tischtennisplatten waren in die Ecken gequetscht worden, weil das Wasser wie ein Fluss durch die Einrichtung geschossen ist und alles zerstört hat. Es war ein bitterer Moment, weil mir klar wurde, dass in dieser Einrichtung nichts mehr brauchbar ist. Dinge, die angeschafft wurden und die wir benötigen, um vernünftige Jugendarbeit zu leisten und um Ferienfreizeiten durchführen zu können oder Materialien für Film- und Bauworkshops - alles war zerstört.
Auch der Weg durch die Stadt war schockierend, weil die Innenstadt mit der Fußgängerzone wie ein Flussbett aussah. Seit vielen Jahren laufe ich diese Straße entlang und habe immer wieder die Schönheit dieser Stadt bestaunt. Und jetzt ist da nichts mehr. An diesem ersten Tag war ich einfach fassungslos, gelähmt über die Situation und habe mich gefragt: „Was macht man denn jetzt? Und wer macht das jetzt überhaupt?“
Wie sind Sie und Ihre Kolleg*innen mit der Situation umgegangen?
Zusammen mit einigen Bekannten haben wir angefangen die Kita leerzuräumen, das schlammige Inventar herauszutragen und auf die Straße zu werfen. Am ersten Tag waren wir drei bis vier Helfende. Da waren Betreuer*innen aus dem gerade stattfindenden und nun abgebrochenen Ferienlager mit dabei, denn die Kitamitarbeiter*innen und ein Teil des Vorstands waren ja im Urlaub. Helfen konnten zunächst aber nur die Personen, die nicht selbst betroffen waren. Am zweiten Tag hatte sich dann schon herumgesprochen, dass unsere Einrichtungen stark betroffen sind und so kamen immer mehr Menschen dazu und die Ausräumaktion nahm Fahrt auf. Wir mussten alles herausräumen, an die Straße bringen, die Abholung des Abfalls organisieren, vieles in Container laden und den Schlamm herauszuschieben. Ein paar hochwertige Möbel, die noch zu retten waren wurden gereinigt. Später hat sich jedoch herausgestellt, dass wir nichts aufheben dürfen, weil unklar ist, inwieweit die Objekte kontaminiert sind.
Nachdem die Kita nach einigen Tagen mit Hilfe von Kita-Eltern und den aus dem Urlaub zurückgekehrten Erzieherinnen leergeräumt war, musste die Jugendeinrichtung ausgeräumt werden. An diesem Morgen wussten wir noch nicht, wie wir das alles schaffen würden. Glücklicherweise waren in den Tagen nach der Flut viele Helfende in die Stadt gekommen. Im Laufe des Tages kamen zwischen 30 und 50 Menschen, die mit uns zusammen die ganzen Sachen aus dem Untergeschoss herausgewuchtet haben. Am Abend war der Treff dann leer und wir sehr berührt von der Tatsache, dass HelferInnen aus ganz Deutschland, Belgien und Holland den ganzen Tag geschuftet haben, um uns zu unterstützen! Die Akten mit sensiblen Daten haben wir zunächst aufgehoben und später auf dem Entsorgungshof geschreddert.
Wenn man solche Überflutungskatastrophen - 2002 ist in Sachsen etwas ähnlich Schlimmes passiert - im Fernsehen sieht, ist das schrecklich. Aber wenn man es selbst erlebt, mittendrin im Chaos steht, ist es unbeschreiblich schockierend und auch traumatisierend.
Wie sieht die aktuelle Situation aus?
Zusammengefasst würde ich sagen, wir haben beide Einrichtungen verloren. Das Jugendzentrum ist komplett zerstört und die Kita zu 80 Prozent. Es handelt sich in beiden Fällen um städtische Gebäude, die jetzt von der Stadt saniert werden und wir müssen jetzt mit den Ausweichmöglichkeiten jonglieren. Wir haben als Kinderschutzbund und Träger von zwei Einrichtungen viel Unterstützung von Seiten der Kommune, von Firmen und privaten Spender*innen erfahren, was sehr berührend ist. Es ist eine Situation, in der Licht und Schatten ganz nah beieinander liegen. Es gibt diese Katastrophe und es gibt Menschen, die die Katastrophe nutzen um sich zu bereichern. Aber es gibt auch diese wahnsinnige Hilfsbereitschaft, dieses Engagement aus dem ganzen Bundesgebiet, die ganz gezielt soziale Einrichtungen unterstützen möchten. Das alles liegt sehr nah beieinander und ist emotional sehr beeindruckend. Wir sind zum einen entsetzt über das, was geschehen ist und zum anderen stark berührt von den helfenden Menschen. Das ist schon der Hammer. Da stehen zwei gegensätzliche Gefühlslagen gleichzeitig nebeneinander.
Die Kita hat Ersatzräumlichkeiten in der katholischen Einrichtung „Josefshaus“ bekommen. In dem großen Gebäude können wir drei Räume und einen großen Saal für die vier Gruppen sowie ein kleines Stück vom Hof als Außenfläche nutzen. Von der katholischen Kita und anderen Spendern haben wir außerdem Stühle, Tische und Sachspenden erhalten. Der Kitabetrieb konnte so nach den Sommerferien wieder starten, auch wenn alles sehr eng und improvisiert ist. Es ist gut, dass es diese Räumlichkeiten jetzt gibt, es ist aber auch klar, dass dem Team und der Leitung des Kinderschutzbundes sehr viel abverlangt wird um unter diesen Umständen zu arbeiten. Teilweise befinden sich zwei Gruppen in einem Raum, was eine ganz andere Geräuschkulisse mit sich bringt. Die Organisation der U3-Gruppe, in der die Kinder noch schlafen, gewickelt und gewaschen werden müssen ist unter diesen Bedingungen für das Team herausfordernd und auch belastend. Der Krankenstand unter den teils selbst von der Flut betroffenen Mitarbeiterinnen ist hoch, die Stimmung angespannt. Auch für die Kinder ist es eine belastende Situation. Da kommen viele Sachen zusammen. Der Verlust der Materialien, der Arbeitsumgebung und die Belastung durch diese improvisierte Situation.
Für den Jugendbereich ist es der Stadt bisher nicht gelungen, uns Ersatzräumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Jugendliche brauchen passende Bedingungen, um den Anreiz zu haben irgendwo hin zu gehen. Während Corona haben sie sich durch Schließungszeiten und Hygieneregeln schon stark vom Jugendzentrum ferngehalten, haben sich zu Hause, meist vor dem Bildschirm, „eingerichtet“. Vor den Sommerferien ist alles gerade wieder angelaufen, weil die Regelungen gelockert wurden. Da war der Jugendtreff richtig gut besucht.
Aktuell erreichen wir die Jugendlichen aber sehr schlecht, weil wir keine guten Ausweichräumlichkeiten haben. Der Leiter des Jugendtreffs sitzt nun an drei Tagen in der Woche in einem Raum im Bahnhofsgebäude der Stadt, um dort eine Anlaufstelle für Jugendliche zu bieten. Aber die Kids sind es gewohnt Sofas, Tische, Tischtennis, Billard und gemeinsames Kochen zu haben. Jetzt kann, außer einem Gespräch, das ein paar Minuten dauert, kein gemeinsames Erlebnis geschaffen werden. Also fahren sie nach Hause, treffen sich vielleicht mit ein paar Gleichgesinnten im Internet, um online zu spielen oder tingeln durch die sozialen Medien.
Aber da tut sich was! Wir haben nämlich einen Sponsor gefunden, der uns Container sponsert, die wir wahrscheinlich bis Ende November beziehen können. Der Platz ist zentrumsnah, neben der Real- und Hauptschule. Da kommen viele Kids vorbei und wir haben die Hoffnung, dass sie die Räumlichkeiten annehmen und als ihren Bereich nutzen werden.
Wir konnten außerdem die Ferienbetreuung auf die gesamten Sommerferien ausbauen, da das Lager die Flut unberührt überstanden hat. So konnten wir es den Kids ermöglichen wenigstens tagsüber dort hin zu kommen, weit weg von zerstörten oder improvisierten Umgebungen. Das gleiche planen wir für die Herbstferien.
Was sind die Konsequenzen für die Kinder- und Jugendhilfe nach so einer Krisensituation?
Gerade jetzt werden Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit sehr stark benötigt, um die Kinder und Jugendlichen darin zu unterstützen ihre Flut-Erfahrungen und die Tatsache einer Corona-Pandemie zu verarbeiten.
Klar ist, dass der Bedarf an psychosozialer Betreuung und gemeinsamer Freizeitgestaltung in unserer Region gewachsen ist und es wird angestrebt, dass die Einrichtungen, so schnell es geht, wieder für diesen Zweck genutzt werden können. Wir wollen in den Behelfsräumlichkeiten verstärkt Angebote schaffen, um den Prozess der Verarbeitung der Ereignisse mitzutragen und möchten unsere Kids dabei unterstützen die Katastrophe psychosozial zu verarbeiten.
Wie kann die psychosoziale Hilfe nach der Krise aussehen? Welche sonstigen Herausforderungen gibt es in der aktuellen Situation?
Die psychosoziale Beratung wird bereits von kirchlichen Einrichtungen der Stadt angeboten. Dabei ist es wichtig auch die Eltern mit einzubeziehen, denn viele Kinder haben die Emotionen um den Verlust des Eigentums mitbekommen und sahen, wie hilflos ihre Eltern plötzlich waren.
Wir vom Kinderschutzbund Ortsverband Bad Münstereifel e.V. müssen jetzt vorrangig für eine Begleitung und den Schutz unserer Fachkräfte - und den uns anvertrauten Kindern sorgen. Erzieher*innen, der Vorstand, die Geschäftsstellenleitung, die Jugendarbeiter*innen müssen lernen, auf sich selbst zu achten und ihre Energie-Ressourcen im Auge behalten.
Gerade jetzt, wo nach Wochen der außergewöhnlichen Belastungen die Energie nachlässt, die Erfahrungen und Erlebnisse der Flutkatastrophe sich auf die Stimmung und das Körpergefühl auswirken und es immer weiter sehr viel zu tun gibt.
Wir müssen uns in Geduld üben. Wir bleiben optimistisch. Wir wollen den Verein auf solide, professionell gemanagte Füße stellen. Auf dass der Kinderschutzbund Bad Münstereifel noch viele Jahre für Betreuung, Freizeitgestaltung und Kinderkulturarbeit sorgt.
Das Interview führte Lilly Oesterreich
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