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Ausgabe 06 | 2022: Jugend partizipiert
Schwerpunkt
Multiplikator*innen für die Demokratie

Wie sich das schrille TikTok und Werte vertragen

Mit dem Projekt demo:create hat die Amadeu Antonio-Stiftung im Lauf des ersten Halbjahres 2022 eine Gruppe von 22 Jugendlichen als Multiplikator*innen für die Demokratie auf TikTok geschult. Den vielen diskriminierenden Inhalten und Falschinformationen werden in unterhaltsamen und belustigenden Clips positive Botschaften und Gegenrede entgegengesetzt. Wir kommen ins Gespräch mit Theresa Lehmann, der Referentin für politische Bildung der Stiftung.

Eine Gruppe junger Menschen tritt selbstbewusst vor eine Wand mit Graffitis. Im Hintergrund läuft ein ebenso komischer wie theatralischer Liedschnipsel. Wie hilfsbereite Helden verneigen sie sich vor dem Zuschauer. Alles ganz nach einem aktuellen TikTok-Trend zum Disney-Lied “You’re Welcome”. Mit dabei ist die Referentin für politische Bildung, Theresa Lehmann. Geht es in dem Trend aber sonst vor allem um Essen oder Aussehen, geht es den Jugendlichen im Projekt “demo:create” der Amadeu Antonio-Stiftung darum, lautstark zu zeigen: “Wir treten auf TikTok für eure demokratischen Werte ein!”

Bildungsreferentin Lehmann berichtet uns, für die Amadeu Antonio Stiftung sei es nach der aufreibenden Pandemie an der Zeit gewesen, “ein positives Momentum zu schaffen und den Gedanken der digitalen Wissensvermittlung als demokratisches Mittel und zivilgesellschaftliche Aufgabe, an die Lebenswelt der Jugendlichen angepasst, wieder aufblühen zu lassen”. Die Lebenswelt der jungen Menschen heißt heute zum Teil: TikTok.

TikTok, das ist die wohl angesagteste Social Media-App für junge Zielgruppen. Zwei Drittel aller Jugendlichen nutzen sie mittlerweile, wie die aktuelle Jugend-Digitalstudie der Postbank herausfand. Allein auf Apples iPhone soll es in Deutschland pro Tag drei Millionen aktive Nutzer*innen der App geben. Das Prinzip ist simpel wie genial. Nutzer*innen können zu denselben “Sounds” ganz unterschiedliche Videos machen, dabei viel mit anderen interagieren und schneiden: Alles in einer App.

Unter den Top 10 Accounts von Politiker*innen auf TikTok nach Followern sind gleich drei Accounts von der AfD, darunter auch der größte. Bei aller Verspieltheit auf der Plattform haben rechte Kräfte einen Vorsprung. In der App taucht durchaus, wie immer bei Social Media, die Vielfalt der Gesellschaft auf. Aber Organisationen, Parteien, politische Akteure im Allgemeinen sind auf der Plattform noch recht selten anzutreffen oder haben sich schon wieder zurückgezogen.

Die Amadeu Antonio-Stiftung hat auf der Plattform somit eine wichtige Lücke erkannt: Mehr Inhalte, die demokratische Werte verbreiten. Im Lauf des ersten Halbjahres 2022 hat Theresa Lehmann eine Gruppe von 22 Jugendlichen als Multiplikator*innen geschult. In unterhaltsamen und belustigenden Clips verbreiten sie positive Botschaften und Gegenrede und machen damit Falschinformationen und den Platz streitig. Allzu große Sorge brauche man gegenüber der Plattform auch jetzt schon nicht zu haben, meint Lehmann. “Alle sozialen Bewegungen sind da, jedes politische Thema wird auch auf TikTok diskutiert. Von Klimakrise bis LGBTIQ*-Rechte.”

Auf die Frage hin, wie sich die Komik von TikTok mit Themen wie Rassismus verbinden lässt, merkt Lehmann an, dass dies nicht immer leicht sei. “Der Ton macht die Musik, beziehungsweise sollte man die eigene Perspektive da schon reflektieren”. Blackfacing oder auf Kosten von Betroffenen zu witzeln, das gehe auch auf TikTok gar nicht. Die Töne der Plattform und Infos vertrügen sich aber gut. “Beliebt sind Sketche, in denen eine Figur etwas dazulernt über Diskriminierung oder zeigt, wie man mit Betroffenen auf Augenhöhe kommuniziert”, berichtet Lehmann.

TikToks Algorithmus ist leider - stärker noch als andere - dafür bekannt, seinen Nutzer*innen das anzuzeigen, was sie bereits mögen und denken. Lehmann berichtet vom Fall der Journalistin Abbie Richards, die aufdeckte, dass Menschen, die transfeindliche Inhalte konsumieren, von TikTok in Folge auch andere feindliche Inhalte ausgespielt bekommen. Dennoch sieht Lehmann auch diese Leute noch als erreichbar, “der Algorithmus unterscheidet nicht unbedingt, wie man zu einem Thema steht. Das ist eine Chance, auch Unentschlossene zu erreichen, aufzuklären und sich gegen menschenfeindliche Ansichten auch auf der Plattform zu positionieren”.

#WasZuSagen

Was bewegt Jugendliche, was ärgert sie, was freut sie? Wir fragen nach: Auf TikTok, auf Veranstaltungen und in unseren Mitgliedsorganisationen. Weitere Infos.

Für die Amadeu Antonio Stiftung war das Projekt ein erfolgreicher Test-Ballon, mit “Visualising Democracy” geht die Idee auf allen Plattformen und mit der Bundeszentrale für politische Bildung als Partnerin in eine zweite Runde. “demo:create” wurde bereits von TikTok selbst gefördert. Den Austausch mit der Plattform beschreibt die Bildungsreferentin als positiv, man spiegele TikTok seine negativen Seiten, habe aber ein “gemeinsames Ziel, Nachwuchscreator*innen zu empowern und gegen Hate Speech auf der Plattform vorzugehen”. 

Auf die Frage hin, ob es solch ein Multiplikator*innenprojekt, mitten in der Lebenswelt junger Menschen, auch für soziale Themen wie steigende Mieten oder zu niedrige staatliche Leistungen geben sollte, antwortet Lehmann: “Warum nicht? Das Interesse an politischen Themen ist da und durch solche Multiplikator*innenprojekte kommen unterschiedlichste junge Menschen zusammen, um mit- und voneinander zu lernen”.

Ob die diversen Teilnehmer*innen zwischen 16 und 26 Jahren in Zukunft eigenständig weiterproduzieren werden, wird sich zeigen. In jedem Fall ist mit dem TikTok-Kanal “demo:create” und den zugehörigen Seminaren der Stiftung eines erreicht: Die jungen Leute konnten “anfangen, die Welt mitzugestalten und zu verbessern”, wie Theresa Lehmann uns ihr Verständnis von Jugendpartizipation freundlich zusammenfasst.

von Marvin-Berfo Günyel

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