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Ausgabe 01 | 2025: Weiblichkeit*en
Schwerpunkt
Frauen* auf der Flucht

Gewaltschutz zweiter Klasse

Frauen auf der Flucht stehen vor besonderen Herausforderungen und werden nicht ausreichend geschützt. Unsere Fachreferentin Susann Thiel klärt auf.

Die Hälfte aller Flüchtenden weltweit sind Frauen und Mädchen. Sie fliehen vor Krieg, Terror, Hunger, politischer oder religiöser Verfolgung. Frauen fliehen auch aus geschlechtsspezifischen Gründen. Sie fliehen vor sexualisierter und häuslicher Gewalt, Zwangsverheiratung, Menschenhandel, Angst vor Ehrenmord oder (drohender) Genitalverstümmelung und Beschneidung. In Deutschland angekommen erleben viele von ihnen (erneut) geschlechtsspezifische Gewalt: in Unterkünften, Familie und Partner*innenschaft.  

Deutschland ist durch verbindliche Abkommen wie die Istanbul-Konvention und die EU-Aufnahmerichtlinie verpflichtet, diese besonders schutzbedürftigen Personengruppen zu schützen. 

Doch in der Praxis erschweren rechtliche Vorgaben und weitere Hürden den umfassenden wirksamen Schutz. Zusätzlich sind Frauen besonders gefährdet.

In Aufnahmeeinrichtungen werden besondere Schutzbedarfe trotz EU-Aufnahmerichtlinie häufig nicht hinreichend berücksichtigt.

Besondere Schutzbedarfe werden trotz EU-Aufnahmerichtlinie häufig nicht hinreichend berücksichtigt. Aus Angst vor Abschiebung suchen diejenigen, deren Aufenthaltsstatus an eine Ehe mit einem gewalttätigen Partner*in gebunden ist, selten Hilfe. Nach der sog. „Ehebestandszeit“ kann ein vom Partner unabhängiger Aufenthaltstitel regelmäßig erst nach drei Jahren Ehe in Deutschland erteilt werden. Die Härtefallregelung für Opfer häuslicher Gewalt, schon vor Ablauf dieser drei Jahre einen sicheren eigenständigen Aufenthalt zu erlangen, ist mit hohen Hürden verbunden und in der Praxis kaum durchsetzbar. Sie und ihre Kinder verharren daher oft zu lang in der gefährlichen Situation. 

Beschränkungen bei der Wahl des Wohnsitzes können den Zugang zu einem schnellen und effektiven Schutz vor Gewalt erschweren, teilweise sogar verhindern. Wohnsitzauflagen führen trotz Härtefallregelung in der Praxis immer noch häufig dazu, dass Betroffenen der unbürokratische Zugang in ein Frauenhaus einer anderen Kommune oder eines anderen Bundeslandes verschlossen bleibt, obwohl es keine anderen Schutzmöglichkeiten gibt. Die Hürden sind durch das Nachweiserfordernis in den meisten Fällen zu hoch. 

Obwohl die geschlechtsspezifische Verfolgung seit 2005 als Asylgrund in Deutschland anerkannt ist und auch die Istanbul-Konvention zum Schutz verpflichtet, wird dies in Asylverfahren oft nicht ausreichend berücksichtigt. In vielen Fällen erhalten Betroffene nicht ausreichend rechtlichen Schutz oder ihnen wird nur ein Abschiebeverbot oder subsidiärer Schutz zuerkannt.

All diese Probleme sind hinlänglich aus der Praxis sowie in Politik und Forschung bekannt.

Ein Lichtblick wäre es gewesen, einige dieser Hürden mit dem jüngst verabschiedeten Gewalthilfegesetz abzubauen. Ohne Frage – das Gesetz ist ein Meilenstein und entscheidender Schritt im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Es sieht ab 2032 einen bundesweiten kostenfreien Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung für von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt Betroffene und ihre Kinder vor. Zudem wird sich der Bund an den Kosten für den dringend notwendigen Ausbau von Schutz- und Beratungseinrichtungen beteiligen. 

Doch gewaltbetroffene geflüchtete Frauen sowie weitere schutzbedürftige Personen u.a. mit prekärem Aufenthalt werden durch diese Maßnahmen nicht hinreichend geschützt. Für sie bleiben zentrale Schutzlücken und spezifische Zugangshürden ins Hilfesystem bestehen. Es bleibt ein Gewaltschutz zweiter Klasse. 

In folgenden Punkten sehen wir dringenden Handlungsbedarf:

  • Die Wohnverpflichtung in Erstaufnahmeeinrichtungen sollte für alle Asylsuchenden aufgehoben werden. Auch sollte die freie Wohnsitzwahl nach einer Anerkennung gesetzlich ermöglicht werden.
  • Solange Menschen verpflichtet oder mangels Zugangs zu privatem Wohnraum gezwungen sind, über einen längeren Zeitraum in großen Unterkünften zu wohnen, müssen dringend Unterbringungs- und Gewaltschutzstandards garantiert werden. 
  • Die Pflicht zur bundesweiten systematischen, flächendeckenden und frühzeitigen Identifizierung besonderer Schutzbedarfe ist rechtlich zu verankern. Darüber hinaus muss der volle diskriminierungsfreie Zugang zu den Leistungen des Sozialgesetzbuches für alle Geflüchteten geöffnet und garantiert werden.
  • Es braucht einen flächendeckenden Ausbau eines diskriminierungs- und kostenfreien Schutz-, Unterstützungs- und Beratungssystems für alle Betroffenen geschlechtsbezogener Gewalt. 
  • Es ist zwingend, zeitnah eine Verbesserung der aufenthaltsrechtlichen Regelungen für alle Betroffenen von Gewalt herbeizuführen, indem die Härtefallklausel und Ehebestandszeit angepasst und für Kinder eine entsprechende Härtefallklausel geschaffen wird. Mit Blick auf die Betroffenen von Menschenhandel muss es ein Aufenthaltsrecht für Betroffene unabhängig von ihrer Aussage im Strafverfahren geben.

Susann Thiel ist Referentin für Flüchtlingshilfe-/politik.

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Dieser Text ist eine gekürzte Fassung dieser ausführlichen Fachinformation.

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