Zum Hauptinhalt springen
hier klicken um zum Inhalt zu springen
Ausgabe 03 | 2022: Digitalisierung und Wohlfahrt
Schwerpunkt
Corinne Laudan
Interview mit Corinne Laudan

Digitalisierung über Nacht: Mit Mut, Experimentierfreude und Pragmatismus

Der Paritätische Thüringen hat sich bereits vor der Pandemie intensiv mit dem Thema Digitalisierung und den damit verbundenen Herausforderungen und Möglichkeiten für die Arbeit sozialer Organisationen beschäftigt. Es gab Projekte zur Beratung von Mitgliedsorganisationen und eine abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe zum Thema. Doch mit dem Lockdown blieb keine Zeit mehr für längere beteiligungsorientierte Prozesse. Corinne Laudan, kaufmännische Leiterin, erzählt im Gespräch, wie es trotzdem gelang, alle Mitarbeiter*innen mitzunehmen.

Mit dem Lockdown im Frühjahr 2020 waren alle und überall gezwungen, quasi über Nacht Zusammenarbeit und Kommunikation digital zu organisieren. Wie gut war der Paritätische Thüringen darauf vorbereitet?

Wir waren auf jeden Fall sensibilisiert. Wir hatten vorher schon eine interne Arbeitsgruppe, die sich mit Potenzialen der Digitalisierung beschäftigt hat. Die Pandemie hat uns dann aber genau wie alle anderen mehr oder weniger überrollt. Es mussten schnell Entscheidungen getroffen werden. Es gab jedoch keine Anleitung, man konnte nirgends nachlesen, was macht man jetzt am besten? Welche Prozesse organisiert man um, welche müssen überhaupt digitalisiert werden? Ein großer Vorteil aber war, dass wir im Landesverband vorher schon sehr digital gearbeitet haben. Alle Mitarbeiter*innen sind mit Laptop ausgestattet und waren in der Lage, von überall zu arbeiten und überall erreichbar zu sein, egal wo.

Wie intensiv wurde die Möglichkeit des mobilen Arbeitens denn vor der Pandemie genutzt?

Das war sehr unterschiedlich. Wir haben schon immer die Regel gehabt, dass bei Außenterminen ein vorheriges oder nachfolgendes Arbeiten von zu Hause aus möglich war. Es gab aber natürlich auch Bereiche, wie die Finanz- oder Personalbuchhaltung, die das mobile Arbeiten vorher wirklich nur in Ausnahmefällen genutzt haben.

Mit der Pandemie wurde die Ausnahme zur Regel. Sie mussten also einiges ganz neu denken und organisieren…

Ja, sicher! Und wir haben gemerkt, es geht nicht, einfach alle Prozesse zu digitalisieren. Sie müssen die Leute mitnehmen und die Zeit dafür hatten wir in der Pandemie gar nicht. Man musste wirklich drüber nachdenken: Was bekommt man jetzt schnell und so einfach wie möglich umgestellt, so dass alle Mitarbeitenden nicht nur in der Lage sind, es gut zu verstehen und anzuwenden, sondern es auch wirklich mittragen. Zum Beispiel der Posteingang: Die Post landete immer noch ganz klassisch im Briefkasten an unserem Standort, aber die Mitarbeitenden waren zu der Pandemie- und Lockdown-Zeit im Homeoffice in Thüringen verteilt. Also haben wir von heute auf morgen den Posteingang auf ein digitales Dokumenten-Management umgestellt, so dass das Kollegium in digitale Postfächer ihre Post geschickt bekommen haben. 

Wie haben Sie es dabei denn geschafft, “über Nacht” alle Mitarbeiter*innen mitzunehmen?

Gute Frage! Wenn wir Prozesse digitalisieren, gucken wir als erstes: Welche Ausstattung ist verfügbar in der digitalen Welt und welche Programme, welche Systeme haben wir bereits im Einsatz, die wir nutzen können, um auch neue Prozesse digital abzubilden. Und hier war es so, dass wir im Finanz- und Controllingbereich eine Software im Einsatz hatten, ein klassisches Dokumenten-Managementsystem. Hier gucken alle Mitarbeitenden täglich hinein, um Rechnungen abzuzeichnen und für die Finanzbuchhaltung freizugeben. Da haben wir uns gesagt: Warum nutzen wir nicht dieses System, welches die Mitarbeiter kennen, um dort auch die Tagespost mit reinzubringen? Es war also eine Umstellung, aber nicht völlig neu. Dieser Ansatz, zu schauen, was hat man schon und wie kann man es erweitern, funktioniert ziemlich gut.

Digi-Dienstag – die Digitalisierungs-Veranstaltungsreihe

Von Paritäter*innen für Paritäter*innen: Jeden dritten Dienstag im Monat (außer im Mai, da ist ja das Digital-Festival) treffen wir uns zum kollegialen Austausch über Digitalisierungserfahrungen. Auf welche innovative Idee ist der Verein X gekommen? Für welche Aufgaben eignet sich das Tool Y – und welche Bedienkniffe kann ich besonders empfehlen? Wie gehe ich am besten mit Social Media um? Kommen Sie ins Gespräch mit Kolleg*innen, die ihre alltägliche Arbeit bereits erfolgreich digitalisiert haben. Auf unserer Digi-Dienstag-Webseite finden Sie außerdem ein Archiv zu vielen spannenden Themen seit Anfang 2021.

Und gab es auch Prozesse, wo Sie ganz neue Wege gehen mussten?

Ja, das gab es natürlich auch. Seien wir ehrlich, der ganze Bereich der virtuellen Kommunikation beispielsweise, das war etwas, das kannte im Sozialen kaum einer, das wollte auch keiner, das war anders als in großen internationalen Firmen doch vorher überhaupt kein Thema. Für uns war es immer wichtig, sich präsent zu begegnen, miteinander reden zu können, zu sehen wie ein Gegenüber reagiert. Dieses Wegbrechen der sozialen Begegnungen war wirklich eine Herausforderung. Plötzlich lief alles nur noch digital über Videokonferenzen. Die Erfahrungen in digitalen Meetings: Ja, es kann jederzeit die Technik zusammenbrechen. Oder: Nein, ich kann kein digitales Meeting über drei Stunden machen, denn dann klappen mir die Menschen vor dem Bildschirm zusammen - das mussten wir uns wie alle anderen erarbeiten. Gelernt wurde am praktischen Beispiel, Schulungen fanden digital live im System statt und die Dokumentation dieser Schulungen wurden direkt zum Üben bereitgestellt. Das hat sehr gut funktioniert. 

Würden Sie sagen, es war vor allem besonders belastend, besonders mutig oder besonders experimentierfreudig, wie Sie als Geschäftsleitungsteam diesen Digitalisierungsprozess gestaltet haben?

Es war wahrscheinlich alles in Kombination. Es war besonders belastend vor allem für einige Arbeitsbereiche, die die Umsetzung organisieren mussten. Gerade die IT kam gar nicht zur Ruhe. Sie mussten recherchieren, dokumentieren, Leute einweisen, Lizenzen kaufen. Es war mutig, weil wir all diese Schritte gewagt haben in dem Wissen, wir können auf dem Weg auch scheitern. Sie können Digitalisierungsmaßnahmen, die andere vielleicht schon erfolgreich einsetzen, nicht eins zu eins adaptieren. Das ist unternehmensabhängig, abhängig von den Menschen, der Hardware, den Rahmenbedingungen. Und ich denke, ja, da muss man als Geschäftsleitung auch mal ein Experiment wagen, von dem man zu Beginn eben noch nicht weiß wie es ausgeht. Ziel ist immer, dass ein Prozess am Ende besser wird. Und wir haben tolle Mitarbeiter, die da auch mit ziehen.

Was können Sie anderen als Tipp mitgeben, worauf es ankommt, wenn man Digitalisierungsprozesse in der eigenen Organisation voranbringen möchte?

Ich finde ganz wichtig ist, dass Digitalisierung nicht mit dem Fallbeil eingeführt wird. In der Pandemie war es alternativlos. Das wussten auch die Kolleginnen und Kollegen und waren daher sehr offen, das hat die Umsetzung beschleunigt. Man muss Digitalisierung aber auf jeden Fall mit den Mitarbeitenden gestalten und nicht gegen oder ohne sie. Weil es mir auch einfach nicht hilft, wenn ich Prozesse digitalisiere und die Mitarbeitenden, die es anwenden sollen, sie nicht annehmen. Von daher sollte man genau gucken, was ist realistisch in der Prozessgestaltung und was klingt zwar vielleicht sehr schön, ist aber praktisch nicht umsetzbar. Der zweite Tipp ist: Mut zum Scheitern. Man sollte etwas probieren und man darf auch scheitern. Man muss nur einfach wieder aufstehen und gucken, welcher neue Weg führt mich an ein Ziel. Und dann geht’s weiter…

Was steht als Nächstes auf Ihrer Digitalisierungsagenda?

Wir wollen jetzt erst mal Ruhe in die Prozesse bringen und allen Raum geben, sich weiter mit dem vertraut zu machen, was wir nun alles neu haben. Zukünftig werden wir sicher eine Mischform des Arbeitens finden, einfach, weil wir auch alle gemerkt haben, welche Vorteile die virtuelle Kommunikation hat, durch die sich ja wirklich auch Zeit und Ressourcen sparen lassen. Kurz: Wir sind gewiss nicht müde von der Digitalisierung, freuen uns aber jetzt ganz ehrlich auch alle erst mal auf ein Wiedersehen im nicht-virtuellen Leben!

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Gwendolyn Stilling.
Twitter: @gstilling

Weiterlesen

Homepage des Paritätischen Thüringen

Inhaltsverzeichnis
zurück zum Seitenanfang