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Ausgabe 03 | 2022: Digitalisierung und Wohlfahrt
Schwerpunkt
Expert*innengespräch

Wege in die sozialen Medien

Zusammen bringen Anika Falke, Thomas Neumann und Alix Veh mehr als drei Jahrzehnte Erfahrung in Paritätischer Öffentlichkeitsarbeit mit. Sie alle haben die Einführung von Social Media in ihren Landesverbänden begleitet und aktiv gestaltet. Mit dem Projekt #GleichImNetz hat sich der Paritätische Gesamtverband zum Ziel gesetzt, mehr soziale Organisationen ins Netz und mehr Soziales in die sozialen Medien zu bringen. Die drei Kolleg*innen aus Niedersachsen, Sachsen und Bayern waren von Beginn an als Online-Scouts mit dabei. Wir trafen uns (virtuell) zum Gespräch mit ihnen, um mehr über ihren Weg in die sozialen Medien, ihre Kommunikationsstrategien und ganz konkrete Tipps für die Praxis zu erfahren.

Pionier- und Überzeugungsarbeit

Niedersachsen war einer der Social-Media-Pioniere unter den Landesverbänden. Wie lange hat es gedauert, deine Chefin zu überzeugen, dass Ihr als Landesverband ein Facebookprofil anlegt, Anika?

Anika: (lacht) Das war tatsächlich schon Thema im Vorstellungsgespräch und wir haben es dann Ende 2010 auch relativ schnell umgesetzt. Ich hatte angesprochen, wie es denn aussehe mit Social Media. Und da sagte meine damalige Chefin: Nein, haben wir noch nicht, aber Facebook gern auf jeden Fall. Und sei es erstmal, um den Kanal zu sichern…

Thomas, und was ist in Sachsen los? Ihr seid bis heute nicht bei Facebook!

Thomas: Stimmt. Aber wir sind bei Twitter. Wir haben lange überlegt, was bringt es uns, welche sind unsere Zielgruppen, die wir erreichen wollen? Wir sind ein reiner Spitzenverband in Sachsen ohne eigene Einrichtungen und machen auch nicht so viel Kampagnenarbeit, sondern vor allem Lobbyarbeit. Wir adressieren vor allem Journalist*innen und Politik - und da war Twitter dann halt einfach der Kanal der Wahl.

Alix, der Paritätische Bayern ist 2020 als letzter Landesverband in den sozialen Medien angekommen. Wieso hat das bei euch so lange gedauert?

Alix: Ja, wir waren da wirklich lange in einer Art „Dornröschenschlaf“ bezüglich Social Media. Und der Einstieg in die sozialen Medien war dann einfach auch noch ein echtes Stück Arbeit. Intern gab es da viele berechtigte Fragen zu klären: Kann es überhaupt funktionieren, unsere komplexen, komplizierten Inhalte in diesen Kanälen zu transportieren? Ist diese Art der Kommunikation mit der Öffentlichkeit unsere Aufgabe als Verband? Wie sollen wir das von den Ressourcen her schaffen, zusätzlich zu all den Dingen, die wir bereits tun? Bezüglich der digitalen Kommunikation sind wir dann erstmal damit gestartet, unsere Webseiten zu modernisieren und neue eigene Kanäle aufzusetzen, zum Beispiel einen Newsletter für die allgemeine Öffentlichkeit.

Was war der entscheidende Punkt, dass ihr gesagt habt: Jetzt trauen wir uns?

Alix: Wenn man sich als Akteur der Zivilgesellschaft versteht, dann muss man sich auch öffentlich positionieren und an Debatten beteiligen. Das war auf jeden Fall ein Beweggrund. Ein anderer Grund war das Thema Fundraising, das mehr Relevanz bekam. Da gab es einfach die Notwendigkeit, online mehr Präsenz zu zeigen und Transparenz zu schaffen: Was macht der Verband eigentlich? Wo und wie kann man als Bürger*in unterstützen? Und schließlich natürlich die Beobachtung, dass politische Meinungsbildung verstärkt im öffentlichen Online-Raum stattfindet. Vor einigen Jahren mag das noch anders gewesen sein und als Verband konnte man sagen: Wir haben andere Orte, wo wir politisch Einfluss nehmen können. Aber das hat sich ganz stark geändert in den letzten Jahren…

Anika: Ja, und wie! Damals ging es für uns als Verband erstmal einfach darum, vielleicht potenzielle Mitarbeitende auch über solche Kanäle zu erreichen, Stichwort Fachkräftemangel. Inzwischen ist Social Media ein ganz normaler, selbstverständlicher Teil der Öffentlichkeitsarbeit. Das Thema wurde immer größer, darauf haben wir reagiert, Ressourcen neu sortiert und uns komplett neu und weitaus flexibler aufgestellt. 

CHRISTIAN BIERWAGEN / www.fotodesign-bierwagen.de
Anika Falke

Ressourcen und Prioritäten

Ich erinnere mich, Anika, als Du angefangen hast, lag das ganze Spektrum der Öffentlichkeitsarbeit in deinen Händen. Inzwischen seid ihr ein Team. Schreibst du noch Pressemeldungen? 

Anika: Nein, mein Schwerpunkt liegt mittlerweile auf der digitalen Kommunikation. Dazu gehört die komplette Redaktion und das Monitoring der Kanäle sowie der logistische Background: Zielgruppen, Content-Formate, Ideen, Kampagnen, Communitypflege, was können wir wie umsetzen? Die Kollegen, in dem Fall sind es tatsächlich nur Männer, liefern natürlich auch Inhalte zu. Gemeinsam überlegen wir, auf welchen Kanälen wir was ausspielen, ob wir den Content für eine Pressemitteilung, ein Posting oder beides nutzen und arbeiten das dann zielgruppengerecht auf.

Thomas, bei Dir ist Social Media nachwievor nur eine von vielen Aufgaben. Wie viel Zeit hast Du im Schnitt für die Betreuung des Twitter-Kanals?

Thomas: Das kann ich nicht so genau in Wochenstunden festmachen. Was aber - wie früher die Presseschau - täglich dazu gehört, ist, dass man guckt, was passiert auf Twitter: gibt es Thementage, welche Hashtags sind aktuell? Kann man sich da vielleicht mit einem passenden Beitrag platzieren? Und auch: Gibt es interessante Inhalte anderer Akteure, die für unsere Follower relevant sein könnten?

Nach welchen Kriterien wählst Du geeigneten Content aus?

Thomas: Ich möchte Mehrwert bieten. Es sind ja auch bei Twitter nicht mehr nur politische Entscheider*innen und Medienvertreter*innen unterwegs. Ich sehe, dass die Personen, die uns folgen, zunehmend einfach an sozialen Themen interessierte Menschen oder Beschäftigte aus unserer Branche sind. Und deshalb schau ich, dass unsere Tweets auf interessante Beiträge hinweisen oder einfach einen Impuls geben, neue Perspektiven zu entdecken. Da teile ich natürlich gerne auch mal was vom Gesamtverband. 

Und wie teilt ihr Eure Ressourcen ein, Alix?

Alix: Als wir gesagt haben, ja, wir machen Social Media, haben wir uns vorgenommen, innerhalb von drei Jahren in drei Kanäle einzusteigen: Jedes Jahr ein Kanal. Wir haben aber auch gesagt, es ist kein Zwang, sondern wir nehmen erst dann den nächsten Kanal dazu, wenn wir uns in dem, was wir tun, wohl fühlen und alles stressfrei funktioniert. Gestartet sind wir 2020 auf Facebook, weil es mit dem Netzwerk einfach die meisten Erfahrungen im Team gab. 2021 kam Twitter und dieses Jahr als letzter Kanal Instagram dazu. Wir arbeiten dabei mit einem tagesaktuellen, wöchentlichen und halbjährlichen Redaktionsplan. Dadurch ist die Zusammenarbeit bei uns im Team ein ganzes Stück intensiver, schneller aber auch strukturierter geworden. Momentan stecken wir mehr Ressourcen in Twitter und Instagram und fahren Facebook eher Low Level, weil wir uns auch die Frage stellen, wo sich das Netzwerk selbst konzeptionell hin bewegt. Und weil sich unsere Zielgruppen auf Twitter und Instagram einfach besser identifizieren und klarer adressieren lassen.

Anika: Das finde ich total spannend. Wir suchen den digitalen Kontakt zu unseren immerhin fast 900 Mitgliedsorganisationen und natürlich unseren 3500 Mitarbeitenden in unseren Einrichtungen und Diensten. Und die erreichen wir bisher vor allem über Facebook genau wie Menschen, die vielleicht unsere Dienste in Anspruch nehmen wollen, vom Kitaplatz bis zur ambulanten Pflege. Auch unsere Mitglieder sind wirklich stark auf Facebook vertreten. Daher haben wir auch eigene Formate wie bspw. unseren #MitgliederMittwoch entwickelt und das läuft wirklich immer gut und macht auch richtig viel Spaß. 

Thomas:Ja, Spaß ist auch ein wichtiger Faktor bei unseren Freiwilligendiensten, die einen eigenen Instagram Kanal haben und auch auf Facebook mit eigener Seite vertreten sind. Beide betreut eine jüngere Kollegin, die unsere Zielgruppe gut kennt. Sie hat die Kanäle, die vorher so ein bisschen nebenbei liefen, mit Erfolg umgestaltet. Sie bindet vor allem die Freiwilligen selbst mit ein und versucht auch die Kolleg*innen mit zu aktivieren. Das ist denke ich ein wichtiger Tipp gerade für Mitgliedsorganisationen, wo Ressourcen für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit leider oft noch rar sind: Schauen, wen kann man wie einbinden, wer hat schon Erfahrung und auch Lust, sich einzubringen.

Alix Veh

Qualität und Mut zur Lücke!

Welchen Tipp könnt Ihr noch geben?

Thomas: Vor allen Dingen: Mut zur Lücke! Also sich wirklich genau überlegen, wen spreche ich an, wen will ich erreichen, welchen Kanal nutze ich? Man muss nicht alles bespielen. 

Alix: Klar, Zielgruppe ist immer wichtig. In der digitalen Kommunikation ist das aber oft auch eine echte Herausforderung. Weil es viele verschiedene Kanäle für spezielle Interessen und verschiedene Zielgruppen gibt. Mit einer klassischen Pressemeldung will ich Journalist*innen erreichen und denen schicke ich die Meldung dann auch zu. In den sozialen Medien braucht es dagegen fast schon eine multiple Persönlichkeit, um sich immer wieder in verschiedene Zielgruppen und Perspektiven rein zu denken. Ich bin deshalb zum Beispiel froh, dass wir für den Einstieg in Instagram eine Agentur an unserer Seite hatten. Wir haben viel Arbeit in die Konzeption gesteckt: Die Agentur hat uns immer wieder „getriezt“, die Zielgruppe zu schärfen und ihre Erwartungen auf dem Kanal zu berücksichtigen - an Optik, Gestaltung, Kreativität, Originalität. Wenn man keine Qualität liefert, kann man die besten Inhalte haben - und kommt trotzdem nicht damit an, wird nicht wahrgenommen. Deshalb bin ich da ganz bei Thomas: Ja, Mut zur Lücke. Lieber ein, zwei Kanäle gut bespielen, als zu viel unterwegs sein und nichts erreichen.

Anika: Das sehe ich auch so. Dass es Flexibilität in den sozialen Medien braucht, ist bekannt und eigentlich auch nicht das Problem, denn das kennen ja alle aus ihrem privaten Umfeld. Viele sagen dann, Facebook, Instagram, das mache ich dann halt noch für meine Organisation mit. Aber die Qualität ist die Herausforderung. Es ist halt etwas anderes, ob ich privat meiner Freundin zeige, wo ich im Urlaub war oder ob ich Öffentlichkeitsarbeit für einen Verband oder eine Organisation mache. Da sollte man dann schon wirklich konzentriert ran gehen und das gut aufbauen. Und das braucht dann eben auch Ressourcen - wie andere Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit auch.

Franziska Neumann / Franziska Neumann
Thomas Neumann

Themen und Paritätische Community

Bei welchen Themen seht ihr für Paritätische Mitgliedsorganisationen besonderes Potenzial in der SocialMedia-Arbeit und digitaler Öffentlichkeitsarbeit allgemein?

Thomas:Arbeitgeber-Marketing! Nicht alle Träger, gerade die kleinen und mittleren, haben unbedingt ein politisches Sendungsbewusstsein. Aber das Thema Fachkräftemangel, Arbeitgeber-Marketing ist ein Thema, das eigentlich für alle Organisationen in der sozialen Arbeit interessant ist und dazu kann man soziale Medien nutzen, indem man lebendig die Arbeit in den Einrichtungen darstellt, vielleicht auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbindet, die eine gewisse Affinität zu Social Media haben. 

Alix: Unsere Mitgliedsorganisationen sind da sehr unterschiedlich aufgestellt. Manche kommunizieren sehr politisch und themenbezogen, beispielsweise zu Fragen aus dem Bereich Flucht und Migration, Queer, Frauen oder Geschlechterpolitik. Hier sehe ich wirklich auch noch sehr großes Potenzial für die verbandliche Kommunikation: Welche politischen Themen können wir auf welchem Kanal gemeinsam mit Mitgliedern bewegen? Wo können wir eben auch die Reichweite unserer Paritätischen Community nutzen, um Themen voranzutreiben? Natürlich haben nicht alle Mitglieder, wie Thomas es sagte, ein “politisches Sendungsbewusstsein”. Was ich manchmal aber auch sehr bedaure. Denn letztlich geht es ja bei den Themen, die wir sozialpolitisch bewegen, immer auch um die Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit vor Ort, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Wahrung von Menschenrechten. Hier versuchen wir als Landesverband mit unseren Social Media-Auftritten auch eine Plattform zu schaffen für Vernetzung und Mitglieder zu motivieren, selbst stärker in der Öffentlichkeitsarbeit tätig zu werden. 

Anika: Ich würde das gar nicht in der Frage so trennen, also soziale Medien und Online vs. “klassische” Medien, sondern ich würde sagen: Entweder mache ich Öffentlichkeitsarbeit oder nicht. Und wenn ich Öffentlichkeitsarbeit mache, dann muss ich mir überlegen, was ist meine Botschaft, wen will ich ansprechen und über welches Medium schaff ich das. Und da gehören dann soziale Medien mit den verschiedenen Kanälen heute einfach dazu.

Thomas: Ja, am Ende ist es wie bei der Reiseplanung: Man sagt sich, okay, ich will irgendwo hinfahren, zum Beispiel zum Supermarkt. Dann nehme ich nicht meinen Helikopter, sondern ein Fahrrad. Und wenn ich nach München fahre, dann überlege ich, ob ich es mit dem Auto, dem Flugzeug oder der Bahn mache, das Fahrrad aber lasse ich bestimmt stehen. So funktioniert’s in der Öffentlichkeitsarbeit auch: Was ist mein Ziel, mein Thema, wo will ich hin? Und dann das geeignete Instrument aussuchen. 

Das ist doch ein prima Schlusswort! Es war ein Vergnügen, danke für das Gespräch!

Das Gespräch führte Gwendolyn Stilling.
Twitter: @gstilling

 

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