Zum Hauptinhalt springen

Bundessozialgericht: 1. Befristung von Eingliederungshilfeleistungen ist unzulässig. 2. Rückwirkender Zahlungsanspruch bei zu niedrig bemessenem Persönlichen Budget

Das Bundessozialgerichts (BSG) hat in seinem Urteil vom 28.01.2021 (Az.: B 8 SO 9/19 R) zwei Dinge klargestellt: Zum einen können wiederkehrende Eingliederungshilfeleistungen grundsätzlich nicht befristet werden, auch dann nicht, wenn sie in der Leistungsform des Persönlichen Budgets (PB) erbracht werden. Zum anderen kann ein rückwirkender Anspruch auf Auszahlung eines höheren PB bestehen, wenn dies zu niedrig bewilligt wurde, ohne dass hier ein Nachweis für selbstbeschaffte Leistungen beigebracht werden muss.

Konkret führt das BSG wie folgt aus:

Befristung als Nebenbestimmung des Bewilligungsbescheides

Eine Befristung ist eine Nebenbestimmung des Bewilligungsbescheides iSd § 32 Abs 1 SGB X. Die hiernach erforderlichen Voraussetzungen für eine Befristung des PB oder der zugrundeliegenden budgetfähigen Eingliederungshilfeleistungen liegen regelmäßig nicht vor. (Vg. BSG, aaO, Rn 34.)

Zum einen fehlt es an einer Rechtsvorschrift iSv § 32 Abs 1 Alt 1 SGB X, die eine Befristung dieser Leistungen gestattet. Lediglich in Fällen, in denen die Eingliederungshilfeleistung ihrerseits nur für eine bestimmte Zeit erbracht wird (etwa für die Dauer der Ausbildung), ist eine Befristung denkbar. Grundsätzlich besteht der Anspruch auf Eingliederungshilfe jedoch solange bis das Teilhabeziel erreicht ist bzw. solange Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Der Anspruch wird weder durch die Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen unterbrochen noch aufgrund der Tatsache, dass der Leistungsberechtigte eine unzulässig vorgenommene Befristung nicht (rechtzeitig) angegriffen hat. (Vgl. BSG, aaO, Rn. 25, 35.)

Die Befristung der genannten Leistungen ist auch nicht nach § 32 Abs 1 Alt 2 SGB X zulässig. Hierfür müsste die Befristung der Absicherung der gesetzlichen Voraussetzungen dienen. Das BSG stellt jedoch klar, dass Eingliederungshilfeleistungen auch in Form des PB als Dauerverwaltungsakt unbefristet zu erteilen sind, wenn die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen – wie im Streitfall – zum Erlasszeitpunkt vorliegen. Geht der Leistungsträger davon ausgeht, dass die Anspruchsvoraussetzungen in der Zukunft wegfallen könnten, kann er diese nicht durch die Befristung absichern. Vielmehr ist er gehalten, den Fortbestand der Anspruchsvoraussetzungen regelmäßig (alle 2 Jahre oder bei Anhaltpunkten in kürzeren Abständen) zu überprüfen. Stellt der Leistungsträger hierbei eine Änderung oder den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen fest, kann er den erteilten Bewilligungsbescheid nach § 48 SGB X für die Zukunft aufheben. (Vgl. BSG, aaO, Rn 36, 37.)

Eingliederungshilfeleistungen und ihre Gewährung als PB sind Pflichtleistungen. Ihre Befristung steht nicht im Ermessen der Behörde (vgl. BSG, aaO, Rn 38).

Entgegenstehende Zielvereinbarung unbeachtlich

Abreden in einer Zielvereinbarung zur Höhe des PB oder zum Geltungszeitraum der Leistungsgewährung stehen dem Anspruch des Berechtigten auf eine unbefristete und evt. höhere Leistung nicht entgegen. Die Zielvereinbarung ist kein zwingendes vertragliches Regelungswerk. (Vgl. BSG, aaO, Rn 29.)

Nachzahlung des PB bei zu geringer Höhe und/oder unzulässiger Befristung

Das BSG stellt fest, dass ein Anspruch auf Nachzahlung des PB für die Vergangenheit bestehen kann, wenn das PB zu gering bewilligt wurde. Dies gilt auch, wenn der im Leistungsbescheid geregelte Leistungszeitraum bereits abgelaufen ist, wenn rechtzeitig ein Rechtsbehelf eingelegt wurde. Im Gegensatz zur Kostenerstattungsregelung bei Sachleistungen nach § 18 SGB IX besteht der Anspruch, auch ohne dass selbst beschaffte Leistungen nachgewiesen werden müssten. Das PB dient einem selbstbestimmten Leben und hängt gerade nicht von der Inanspruchnahme bestimmter Leistungen oder Leistungsanbieter ab, betont das BSG (vgl. BSG, aaO, Rn. 30).

Zudem folgt aus dem BSG-Urteil, dass der Leistungsberechtigte Anspruch auf Nachzahlung des PB hat, wenn es wegen unzulässiger Befristung nicht zur rechtzeitigen Anschlussbewilligung und somit zu Leistungslücken gekommen ist. Im Streitfall spielte dies jedoch keine Rolle.

Rechtslage nach 2020 (BTHG)

Das Urteil erging auf Grundlage des Eingliederungshilferechts vor der Reform durch das BTHG. Die maßgeblichen Regelungen haben aber nach neuer Rechtslage keine wesentliche Änderung erfahren, so dass das Urteil auch nach neuer Rechtslage anwendbar ist (vgl. dazu auch BSG, aaO, Rn 20, 21).

Folgen

Die Eingliederungshilfeträger müssen wiederkehrende Eingliederungshilfeleistungen, auch in der Form des Persönlichen Budgets unbefristet bewilligen. Auch befristete Bewilligungen mit dem Hinweis auf eine stillschweigende Wiederbewilligung sind mit der o. g. Rechtsprechung des BSG nicht vereinbar. Dies hat zur Folge, dass es zukünftig keiner wiederholten Antragstellung durch den Leistungsberechtigten bedarf. Dagegen ist unter Umständen mit der Festlegung eines Termin für die nächste Bedarfsfeststellung im Bewilligungsbescheid von unter zwei Jahren zu rechnen. Wird der Bewilligungsbescheid gemäß § 48 Abs. 1 SGB X für die Zukunft aufgehoben, weil die Anspruchsvoraussetzungen nachträglich weggefallen sind, so ist der Leistungsberechtigte zuvor nach § 24 SGB X anzuhören.

In Bezug auf bereits bestandskräftige, aber unzulässig befristete Leistungsbescheide der Vergangenheit können Leistungsberechtigte prüfen lassen, ob sie aufgrund einer nicht rechtzeitigen Anschlussbewilligung nun rückwirkende Zahlungsansprüche geltend machen können.