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BTHG - Leistungsberechtigter Personenkreis

Bericht vom Fachgespräch im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zur Umsetzung der Untersuchung der rechtlichen Wirkungen von Artikel 25a § 99 SGB IX auf den leistungsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat die Untersuchung der rechtlichen Wirkungen von Artikel 25a § 99 SGB IX auf den leistungsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe an eine Arbeitsgemeinschaft (AG) gegeben, bestehend aus:

- ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH

- Transfer – Unternehmen für soziale Innovation

und den Kooperationspartnern

- Prof. Dr. Felix Welti, Universität Kassel, Institut für Sozialwesen

- Dr. Matthias Schmidt-Ohlemann, Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (DVfR).

Am 11.10.2017 hatte das BMAS zu einem ersten Fachgespräch eingeladen, in dem das Untersuchungskonzept der AG vorgestellt und beraten wurde. An dem Termin haben Vertreter/-innen des Deutschen Behindertenrates, der Länder (Brandenburg, Hamburg und NRW), der BAGüS, der kommunalen Spitzenverbände und der BAGFW teilgenommen.

In der Beratung wurden die Arbeitsgemeinschaft und Kooperationspartner, die Zielsetzung, der Forschungsgegenstand und dessen Fragestellungen, das Forschungsdesign und die Methodik, die Zeitplanung und die Grundzüge des Erhebungsinstrumentes vorgestellt.

Als Zielsetzung für das Untersuchungskonzept wurde die neue Bestimmung des leistungsberechtigten Personenkreises der Eingliederungshilfe benannt. Dies soll durch die Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 99 SGB IX erfolgen. Die Untersuchung soll orientiert an der ICF und unter grundsätzlicher Beibehaltung des leistungsberechtigten Personenkreises vorgenommen werden.

Forschungsgegenstand sind demnach:

- die Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe in der Definition des leistungsberechtigten Personenkreises,

- die Operationalisierung und empirische Überprüfung dieser Konkretisierung und

- die rechtliche Überprüfung der Praxistauglichkeit für Verwaltung und Rechtsprechung.

In der Untersuchung sollen im wesentlichen folgende Fragestellungen zu den jeweiligen Bereichen bearbeitet werden:

1. Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe im § 99 SGB IX


    - In welchen und wie vielen Lebensbereichen nach ICF („größeren Anzahl“/ „geringeren Anzahl“) sind Aktivitäten nur mit personeller und technischer Unterstützung möglich?

    - Wie stellt sich dies in unterschiedlichen Fallkonstellationen dar?

    - Bei welcher Konkretisierung verändert sich der leistungsberechtigte Personenkreis nicht gegenüber geltendem Recht?

    - Was würde sich ändern, wenn „personelle Unterstützung“ nicht konkretisiert wird?


2. Das Verhältnis von Anzahl der Lebensbereiche mit Unterstützungsbedarf zu dem Ausmaß der jeweiligen Einschränkungen


    - Wie sieht dieses Verhältnis insbesondere bei Einschränkungen in wenigen Lebensbereichen aus?

    - Bei welcher Konkretisierung der Intensität ergibt sich keine Veränderung des leistungsberechtigten Personenkreises?


3. Kriterien für eine typisierende Betrachtung der Unterstützungserfordernisse


    - Wie können Unterstützungserfordernisse so typisiert werden, dass sie mit bestehenden Bedarfsbeschreibungen verglichen werden können?

    - Mit welchen Kriterien lassen sich bei typisierender Betrachtung spezifische Unterstützungserfordernisse für einzelne Formen der Beeinträchtigung identifizieren?


4. Auswirkungen bei Erweiterung der Definition um „Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren“


    - Verändert sich dadurch die Zuordnung einzelner Personen zum leistungsberechtigten Personenkreis?


5. Stellenwert der ICF-Komponente „Körperfunktionen und -strukturen“  


    - Ist dieses Tatbestandsmerkmal in einer neuen Definition des berechtigten Personenkreises erforderlich?

    - Welchen Einfluss auf die Abgrenzung des leistungsberechtigten Personenkreises hat dieses Merkmal?

    - Wird dadurch der Personenkreis gegenüber geltendem Recht eingeschränkt?


6.  Teilhabe am Arbeitsleben, einschließlich WfbM


    - Verändert sich dadurch der leistungsberechtigte Personenkreis gegenüber geltendem Recht?


Für die Umsetzung wurde folgendes Vorgehen vorgestellt:

Mit einem entsprechenden ICF-Verfahren soll ein Vergleich der geltenden Bedarfsbeschreibung und Leistungstypisierung  vorgenommen werden.

Im Rahmen einer Aktenanalyse (Anzahl 2000)  soll durch geschulte Gutachter eine Auswertung vorliegender Fallakten im Hinblick auf Bedarf und Leistung nach geltender Systematik und ICF-Systematik  bei den Leistungsträgern vorgenommen werden. Dabei sollen die in den Akten enthaltenen Daten, die in Textform vorhanden sind, erhoben werden, z.B. die für die Entscheidung des Sozialhilfeträgers relevanten Informationen, insbesondere medizinische Aussagen, Hilfe- und Förderpläne bzw. Entwicklungsberichte der aktuellen Unterlagen sowie Angaben zur Lebenslage (z. B. GdB, rechtliche Betreuung, Einkommensstatus). Das Raster soll folgende Angaben umfassen:


     - Erhebungsdatum und Fallkennziffer (ohne Personenbezug)

    - Angaben zur leistungsberechtigten Person (Alter, Geschlecht) 

    - Angaben zur derzeitigen Lebenslage (GdB, rechtliche Betreuung, Erwerbstätigkeit) 

    - Art der aktuell in Anspruch genommenen Leistung (Leistungstyp, Hilfebedarfsgruppe, spezifisch nach Bundesland) 

    - Angaben zu Schädigungen der Körperfunktion nach der ICF  

    - Angaben zu Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit in den Lebensbereichen nach der ICF

    - Angaben zu Förderfaktoren oder Barrieren in der Umwelt nach der ICF


Des Weiteren sollen eigene Begutachtungen unter Anwendung ICF-Systematik vorgenommen werden (Anzahl: 600 davon  400 aus Akten und 200, die derzeit nicht im Leistungsbezug sind. Hierzu sollen die Sozialhilfeträger nach Ablehnungen befragt werden.) Die Gutachter sollen eine Ausbildung in der Anwendung der ICF für Erwachsene und ICF CY für Kinder haben.

In zwei Workshops sollen die Rechtsanwendung und Rechtsauslegung nach bisher geltendem und nach neuem Recht durch Einholung juristischer und verwaltungspraktischer Expertise geprüft werden. Hierbei sollen juristische Vertreter/-innen der Gerichtsbarkeit (BSG, LSG), Experten und Praktiker der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung einbezogen werden.  

Um dabei eine entsprechende Qualität zu erreichen, erfolgt eine juristische und sozialmedizinische Prüfung der Instrumente, werden datenschutzrechtliche Bestimmungen gesichert und die Untersuchung partizipativ angelegt, d.h. die Konzeption der Untersuchung und die Ergebnisse sollen mit den o.g. Verbänden und Institutionen erörtert werden.

Um die Repräsentativität zu sichern, sollen Fallkonstellationen mit unterschiedlichen Formen und Graden der Beeinträchtigung beachtet werden, z.B. Altersgruppe: 10 Prozent der
Personen sollen unter 18 Jahre, jeweils 40 Prozent zwischen 18 und 44 sowie 44 und 65 Jahre sein und 10 Prozent der Personen sollen über 65 Jahre sein. Desweiteren sollen 20 Prozent zum Personenkreis mit einer körperlichen- oder Sinnesbeeinträchtigung, 40 Prozent mit einer geistigen Beeinträchtigung und 40 Prozent zum Personenkreis mit einer psychischen Beeinträchtigung oder einer Suchterkrankung gehören. Es sollen auch Menschen mit einer drohenden Behinderung in den Blick genommen werden.

Des Weiteren sollen insgesamt 17 Regionen (15 Bundesländer plus Rheinland und Westfalen) bei örtlichen und überörtlichen Leistungsträgern einbezogen werden, das bedeutet, das je Region ca. 118 Akten  analysiert werden müssen. Darüber hinaus sollen zur Verbesserung der Datenqualität eigener Begutachtungen 600 Interviews vorgenommen werden.  

Der Zeitplan gestaltet sich für die Untersuchung folgendermaßen:

August - Oktober 2017

- Literaturauswertung und konzeptionelle Überlegungen

- Erstellung des Erhebungsinstrumentes

- Zugang zu den Trägern

- Akquisitionen und Schulung Gutachter

- erstes Fachgespräch und Vorstellung der Konzeption  am 11.10.2017

- Pretest und Stichproben, z. B. in einem Land 2 Städte und 2 Landkreise

November - Dezember 2017

- Durchführung Aktenanalyse

- erster  WS Rechtsanwendung und Auslegung  

Januar - Februar 2018

- Auswertung der Aktendaten

- Durchführung eigener Begutachtung 600

März - April 2018

- Auswertung der Begutachtung und Entwicklung eines Vorschlags zur Konkretisierung

- zweiter WS  Rechtsanwendung und Auslegung

- zweites Fachgespräch zu Ergebnissen

- Berichterstellung

In der sich anschließenden Diskussion wurden folgende Aspekte thematisiert:

- die Passfähigkeit des Untersuchungsrasters bei sehr unterschiedlichen Bedarfsermittlungsinstrumenten in den Ländern.

- die wahrscheinlich notwendige Nachjustierung des Rasters, mit dem die Aktenanalyse erfolgen soll.

- der Auftrag, geht das mit den Kriterien "5 von 9", hier wurde deutlich gemacht, dass auch Ergebnisse veröffentlicht werden, wenn festgestellt wird, das "5 von 9" nicht funktioniert.

- der Umgang mit sog. Grenzfällen und die Entscheidungs- bzw. Ermessenspielräume.

- ein möglicherweise notwendiger Plan B, wenn Akten nicht auswertbar sind.

- die Notwendigkeit der Entwicklungsberichten und Informationen zu den Lebensbereichen, die insbesondere von Hamburg angezweifelt wurde.

- die Lebensbereiche der ICF, die möglicherweise in den Akten kaum abgebildet sind.

 - der Datenschutz, die jeweiligen Personen müssen zustimmen, dass deren Akten (einschl. der Förderpläne und Entwicklungsberichte) ausgewertet werden. Hier sollen die Leistungsträger die Zustimmung von der Person oder des rechtlichen Betreuers einholen. Das Schreiben soll von der AG für die Sozialhilfeträger vorbereitet werden. Die Sozialhilfeträger betonten, dass sie auf die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen achten werden, dazu seien sie verpflichtet. Damit die Sozialhilfeträger nicht jeweils ca. 120 Akten "schwärzen" müssen, sollen die Gutachter die Akten vor Ort einsehen und die Aufnahme von Daten aus diesen soll anonymisiert erfolgen.

Am Ende der Veranstaltung wurde verabredet, dass ein Informationsblatt erstellt wird, so dass die Beteiligten des Fachgesprächs informieren und für die Umsetzung werben können. Das BMAS sicherte zu, dass es ein Kurzprotokoll erstellt und die Folien zum Konzept der Untersuchung allen Teilnehmer/-innen übermittelt werden.