Zum Hauptinhalt springen

Bürgergeldgesetz - Hinweise zum Verfahrensstand und eine Argumentationshilfe

Mit dem Bürgergeldgesetz verspricht die Ampel-Koalition Hartz IV zu ersetzen durch eine neue Grundsicherung, die mehr Respekt und neue Chancen für die Leistungsberechtigten realisiert. Bundesminister Heil spricht von der größten Sozialstaatsreform seit 20 Jahren. Insbesondere die CDU / CSU hat sich auf das Gesetz eingeschossen. Nachdem das Gesetz durch den Bundestag bereits verabschiedet war, haben am 14. November die Bundesländer, in denen die Union an der Landesregierung beteiligt ist, ihre Zustimmung verweigert und damit das Gesetzgebungsverfahren gestoppt. Nunmehr soll ein Vermittlungsausschuss aus Bundestag und Bundesrat weiterhelfen. Welche Argumente trägt die Union vor? Und: wie sind diese Kritikpunkte zu bewerten? Dazu folgen ein paar Anmerkungen und Argumentationshilfen.

Das Bürgergeldgesetz soll nach der Absicht der Bundesregierung die bestehende Grundsicherung für Arbeitsuchende ersetzen. Dazu soll insbesondere das SGB II deutlich verändert werden. Der Paritätische hat in seiner Stellungnahme die zentralen Aspekte der Reform herausgearbeitet und die Defizite kritisiert. Für den Paritätischen fehlt insbesondere eine Anhebung der Regelbedarfe auf ein armutsfestes Niveau. Erst jüngst hat der Verband seine entsprechende Position bekräftigt und einen Regelbedarf von 725 Euro ab 2023 als sachgerecht gefordert. Davon ist der aktuelle Gesetzentwurf weit entfernt. Die Anpassung des Regelbedarfs auf 502 Euro für einen Single-Leistungsberechtigten sieht zwar aus wie eine Leistungsverbesserung, stellt aber angesichts der aktuellen Preisentwicklung nicht mehr als eine Kompensation für die bisherige Inflation dar. Darüber hinaus kritisiert der Verband vor allem zwei weitere Aspekte: die Begrenzung der Sanktionsregeln ist halbherzig. Sanktionen darf es bei der Absicherung des Existenzminimums nicht geben. Und schließlich sind positive Ansätze des Gesetzesentwurfs – zusammengefasst als Stärkung der Arbeitsförderung und der positiven Unterstützung – bislang unverändert nicht mit den notwendigen finanziellen Mitteln für die Jobcenter hinterlegt. Es reicht nicht, den Jobcentern sinnvolle Instrumente an die Hand zu geben – wie etwa die Entfristung des Sozialen Arbeitsmarkts. Es braucht darüber hinaus die finanzielle Mittel, um die Instrumente auch anzuwenden. Dies wird aber auch mit der jüngst mofizierten Haushaltsplanung nicht erreicht: die Mittel für die Eingliederung bei Hartz IV - die Gelder für die Arbeitsförderung - werden gegenüber dem Vorjahr um 300 Mio Euro reduziert.

Die Kritik der Union fokussiert ihre Kritik auf verschiedene Elemente der Reform. Getrieben wird diese Kritik von der Grundauffassung, dass die Hartz IV-Reform von 2005 im Kern richtig war und in seinen Kernelementen erhalten werden muss. Die Union will den restriktiven Charakter der Hartz IV Reform beibehalten. Dafür mobilisiert sie all die Ressentiments, die auch bei der Einführung von Hartz IV schon prominent waren: Arbeit lohne sich nicht, der Sozialstaat dürfe keine Hängematte sein, in der man sich ausruhen dürfe und Faulheit dürfe nicht belohnt werden. Der damalige Kanzler Gerhard Schröder ließ sich zitieren mit der Aussage es gäbe kein Recht auf Faulheit. Der bayrische Ministerpräsident, Markus Söder, und der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag, Friedrich Merz, stellen sich mit ihren Äußerungen in diese Tradition. Nach der Auffassung der Union begäbe sich die Ampel mit ihren Reformabsichten auf den Weg in ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es gäbe keine Verpflichtungen mehr für die Leistungsberechtigten. Die Bedingungen für den Leistungsbezug seien viel zu komfortabel. Und: es würden Sozialleistungen an Menschen gegeben, die es nicht bräuchten. Im Einzelnen tauchen folgende Aspekte immer wieder auf: (1) Arbeit lohnt sich nicht, (2) die Karenzzeiten für den Schutz der Unterkunfts- und Heizkosten seien ebenso zu generös wie die (3) Schonvermögen. Und schließlich würden (4) Mitwirkungspflichten durch die Änderungen der Sanktionsregeln außer Kraft gesetzt. Der gesamten Argumentation liegt anscheinend die Auffassung zugrunde, dass sich die Leistungsberechtigen gerne in der Grundsicherung befänden und es Druck und Sanktionen brauche, um sie zu „aktivieren“. Damit werden bestehende Ressentiments bestärkt und die Leistungsberechtigten stigmatisiert. Die Gesellschaft wird bewusst gespalten, weil es für die parteipolitische Profilierung als Opposition nützlich erscheint. Das muss mit Nachdruck kritisiert werden.

Was kann aber in Diskussionen nun gegen die einzelnen Argumente  entgegen gehalten werden. Dazu eine kleine Argumentationshilfe:  

Arbeit lohnt sich nicht                 

In den sozialen Medien kursieren etliche vermeintliche Modellrechnungen, die aufzeigen sollen, dass sich Arbeit nicht mehr lohne.  Johannes Steffen hat in einer Broschüre unter der passenden Überschrift „ Das Narrativ von der nicht lohnenden Arbeit“ zahlreiche dieser Posts analysiert und korrigiert. Besonders prominent geworden sind Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft, die es über das Handelsblatt und schließlich den CDU-Abgeordneten Linnemann bis in die Talkshow Anne Will geschafft hat. Danach würde eine Familie mit drei Kindern und zwei Erwachsene trotz einer Vollzeiterwerbstätigkeit mit einem Mindestlohn von 12 Euro / Stunde bis zu 880 Euro weniger Einkommen haben als durch das Bürgergeld. Mit Beispielen wie diesen werden Leistungsberechtigte im Grundsicherungsbezug und Menschen im Niedriglohnbezug gegeneinander ausgespielt. Zwischenzeitlich wurden die zahlreichen Fehler bei der Berechnung offengelegt.  Auch Johannes Steffen zeigt, dass bei erwerbstätigen Aufstocker-Haushalten das verfügbare Einkommen spürbar höher liegt als bei der Kontrastgruppe. Das Dokument wurde von der Homepage genommen und das Handelsblatt hat korrigierte Berechnungen veröffentlicht, die zeigen, dass Erwerbstätige immer mehr haben als erwerblose Menschen im Hartz IV Bezug. 

Modellrechnungen, die nahelegen, dass Menschen im Hartz IV-Leistungsbezug mehr hätten als Erwerbstätige, machen – bewusst oder unbewusst – regelmäßig folgende Fehler:

  • es wird der Bedarf eines kompletten Haushaltes mit dem Nettolohn eines erwerbstätigen Familienmitglieds verglichen;
  • die Ansprüche auf vorgelagerte Sozialleistungen – Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag sowie Unterhaltsleistungen – werden nicht mit eingerechnet und
  • schließlich wird der Anspruch auf ergänzende Grundsicherungsleistungen ignoriert, wenn das Einkommen nicht den Bedarf des Haushalts decken kann. Aufgrund dieser Freibetragsregel in der Grundsicherung liegen die verfügbaren Einkommen von Erwerbstätigen immer höher als bei nicht-erwerbstätigen Menschen.

Sofern es demnach in der sozialen Wirklichkeit Probleme gibt, so liegen die nicht an einem unzureichenden „Lohnabstand“, sondern an nicht realisierten Ansprüchen auf Sozialleistungen. In diesem Sinne gilt es das Problem der Nicht-Inanspruchnahme von Sozialleistungsansprüchen in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken und nicht ein Lohnabstandsgebot. 

Wer die finanziellen Anreize zur Arbeitsaufnahme erhöhen will, sollte sich Gedanken machen über die Verwertungsbedingungen auf dem Arbeitsmarkt, die Löhne erhöhen und den Niedriglohnsektor abschaffen. Wer sich darüber hinaus beschwert, dass die Beschäftigten zu viele Steuern zahlen, sollte über eine gerechtere Finanzierung des Sozialstaates und Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums reden. Zu beiden Themen hört man von der Union aber keine konstruktiven Vorschläge.

Karenzzeiten für Wohn- und Heizkosten

Mit dem Bürgergeldgesetz soll die sogenannte Karenzzeit dauerhaft etabliert werden. Nach den ursprünglichen Vorstellungen der Bundesregierung sollten für zwei Jahre die Aufwendungen für die Wohnung und die Heizkosten komplett übernommen werden. Damit soll eine im Zuge der Corona-Pandemie eingeführte Regelung gesetzlich festgeschrieben und erweitert werden. Mit der Regelung wird eine Verabredung des Koalitionsvertrags umgesetzt. Ziel der Karenzzeit ist, dass die Leistungsberechtigten in dieser Zeit voll auf die Reintegration in Arbeit konzentrieren können. Dafür entfällt die Prüfung der Angemessenheit der Wohn- und Heizkosten. Es wird die Verwaltung entlastet. Einsparungen bei Verwaltungs- und Gerichtskosten werden erwartet. Der Paritätische hat den Vorschlag unterstützt: Die Regelung hat sich während der Pandemie bewährt. Zudem bietet eine Karenzzeit eine deutliche Erleichterung für Menschen, die bisher Leistungen nicht in Anspruch genommen haben: Die Angst vor dem Verlust der vertrauten Wohnung trägt auch dazu bei, dass Ansprüche auf Leistungen nicht wahrgenommen werden.

Nach Intervention durch den Bundesrat ist die Angemessenheitsprüfung bei den Heizkosten bereits durch einen Änderungsantrag der Ampel-Fraktionen wieder eingeführt worden. Trotzdem kritisiert die Union die Karenzzeiten für den Schutz der Wohnung als zu lang. In ihrem Positionspapier hält die Bundestagsfraktion der CDU / CSU ein Jahr Karenzzeit für ausreichend – und dass auch nur für die Teilgruppe der Beschäftigten, Selbstständigen und Arbeitslosen mit ergänzendem Grundsicherungsbezug („Arbeitslosengeld-Aufstocker“). Für andere Gruppen im Grundsicherungsbezug sieht die Union anscheinend keinerlei Handlungsbedarf.

In vielen Fällen überschreiten bereits jetzt die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung die Leistungen, die von den Jobcentern gedeckt werden. Es ergibt sich eine „Wohnkostenlücke“. Bedarfe für Wohnung und Heizung müssen dann durch den Regelbedarf finanziert werden. Die Fraktion der Linken im deutschen Bundestag erfragt regelmäßig den Umfang dieser Wohnkostenlücke (zuletzt: Bundestagsdrucksache 20/3018). Danach bekamen 2021 – trotz der Corona-Bestimmungen – etwa 15 Prozent aller Bedarfsgemeinschaften – das sind knapp 400.000 Haushalte – im SGB II ihre tatsächlichen Ausgaben für Unterkunft und Heizung nicht vollständig vom Jobcenter finanziert. Die betroffenen Haushalte mussten im Durchschnitt 91 Euro / Monat für ihre KdUH anderweitig finanzieren. In vielen Fällen muss dies aus den Regelleistungen finanziert werden. Diese Gelder fehlen zur Sicherstellung des menschenwürdigen Existenzminimums. Eine verlängerte Karenzzeit würde zumindest für die Neuzugänge bei den Grundsicherungsbeziehenden eine deutliche Entlastung darstellen. 

Schonvermögen

Nach dem Gesetzentwurf der Ampel-Koalition soll das Schonvermögen während der Karenzzeit besser geschützt werden. Vermögen soll für einen befristeten Zeitraum nur angerechnet werden, wenn es "erheblich" ist. Als Schwelle wird hier ein Vermögen von 60.000 Euro für die erste Person und 30.000 Euro für jedes weitere Mitglied des Haushalts definiert. Diese Regelung übernimmt analoge Bestimmungen beim Wohngeld. Für eine vierköpfige Familie ergibt sich daraus die skandalisierte Größenordnung von 150.000 Euro.
Auch diese Regelung ist während der Corona-Zeit bereits eingeführt worden und hat sich nach der Ansicht des Paritätischen bewährt: die Bedürftigkeitsprüfung wurde administrativ deutlich reduziert und damit der Zugang zu den Leistungen der Grundsicherung - auch pychologisch - erleichert. Insbesondere wurde die Befürchtung reduziert, dass ein bescheidenes Vermögen, welches vielfach der Altersvorsorge dient, unmittelbar verbraucht werden muss, bevor überhaupt ein Leistungsanspruch entsteht. In der Corona-Zeit sollte mit dieser Regelung insbesondere der besonderen Lage von Selbstständigen entsprochen werden, die aufgrund der Krise ihre Einkommen verloren hatten und in der Regel auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hatten. Auch die Altersvorsorge läuft bei vielen Selbstständigen nicht über die Rentenversicherung, sondern über Wege der Vermögensbildung. 

Ansonsten gilt generell: Wer Leistungen der Grundsicherung beantragt, ist nicht vermögend. Hier hilft bereits der Blick auf die - skandalöse - Vermögensverteilung in Deutschland, um zu erkennen, dass eine Scheindebatte geführt wird. Zwei Drittel des Vermögens befindet sich laut den Ermittlungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in den Händen der obersten zehn Prozent der Haushalte (DIW-Wochenbericht 29/2020, S. 515). Der Median-Haushalt hat ein Vermögen von etwas über 20.000 Euro. Einkommensarme Haushalte haben dagegen in der Regel gar kein Vermögen, sondern eher Schulden. Karl Brenke, der die Kombination aus Einkommensarmut und Vermögen mit älteren SOEP-Daten analysiert hat, zeigt, dass die Mehrheit der einkommensarmen Haushalte kein Vermögen oder Schulden hat. Zwar findet er auch einkommensschwache Haushalte mit Vermögen, mit Bezug auf die hier im Fokus stehende Gruppe führt er aber aus: "Unter den armutsgefährdeten Arbeitslosen gibt es indes kaum welche mit einem nennenswerten Vermögen." (Brenke 2018, S. 4). Sofern einkommensschwache Haushalte über Vermögen verfügen, handelt es sich - wie wiederum das DIW in dem zitierten Wochenbericht aufgezeigt hat - nicht um frei verfügbares Geld, welches als "bereites Mittel" zur Existenzsicherung eingesetzt werden könnte, sondern um Sachwerte wie Wohneigentum oder Fahrzeuge.
Auf der anderen Seite gilt: Wer als "Privatier" vermögend ist und von seinem Vermögen lebt, hat daraus auch Einkommen (etwa: Mieten, Zinsen, Dividenden) und ist aufgrund dieses Einkommens auch bei generöseren Schonvermögensregeln nicht leistungsberechtigt. Die Kombination aus hohem Vermögen und wenig Einkommen ist dagegen eher selten. So schlussfolgert auch das IAB, dass mit einer massiven Ausweitung des Empfängerkreises aufgrund der Erhöhung des Schonvermögens nicht zu rechnen sei (Die Zeit Nr. 47, S. 27).

Sanktionen

Die Union kritisiert schließlich die vorgeschlagene Neuordnung der Sanktionsregeln bei Hartz und suggeriert mit dem Bürgergeld seien Mitwirkungspflichten der Leistungsberechtigten weitgehend abgeschafft. Diese Kritik übertreibt die realen Veränderungen durch das Gesetz maßlos. Im Kern setzt das Bürgergeldgesetz die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den verfassungswidrigen Sanktionsregeln aus 2019 um. Danach sind "nur" noch Sanktionen bis zu einer Höhe von max. 30 Prozent der Regelleistungen zulässig. Zudem müssen besondere Härten und Verhaltensänderungen berücksichtigt werden. Über diese Auflagen des obersten Gerichts geht der Gesetzesvorschlag nur begrenzt hinaus. So soll es eine Vertrauenszeit von sechs Monaten geben, in denen sog. Pflichtverletzungen nicht sanktioniert werden; dennoch gibt es auch innerhalb des ersten halben Jahres keine sanktionsfreie Zeit, denn wiederholte Meldeverstöße können jederzeit mit Leistungskürzungen vergolten werden. Nach Ablauf der 6 Monate sind darüber hinaus auch Leistungskürzungen wegen sog. Pflichtverletzungen möglich. Die Einschränkungen der Sanktionsregelungen sind also deutlich weniger weitreichend als suggeriert.

In der Debatte ist auffällig, dass kaum für einen Verzicht auf Sanktionen argumentiert wird. Auch von den Befürworter*innen eines Bedingungslosen Grundeinkommen ist in der aktuellen Debatte nicht viel zu hören. Die Verteidigungslinie der Ampel-Koalition ist defensiv und besteht in der Betonung der Tatsache, dass die Sanktionen im Kern bestehen bleiben. Gute Gründe sprechen aber für einen vollständigen Verzicht auf Sanktionen im Bereich der Grundsicherung:

  • Sanktionen bedeuten die Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums. Der Gesetzgeber definiert alle fünf Jahre mit dem Regelbedarfsermittlungsgesetz die Höhe der Leistungen, die nach seiner Einschätzung nötig ist, um das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten. Aus der Perspektive des Paritätischen ist das Ergebnis keinswegs ausreichend und nicht geeignet die grundlegenden Bedarfe zu decken. Gleichwohl gilt: Wenn mit Sanktionen die Leistungen gekürzt werden, wird das gesetzlich definierte Existenzminimum unterschritten. Derartige Kürzungen darf es daher in der Grundsicherung nicht geben. Die sozialen Kosten der Leistungskürzungen infolge der Unterschreitung des Existenzminimmums sind hinreichend belegt.
  • Sanktionen sind darüber hinaus auch nicht sinnvoll. Die Aufgabe der Jobcenter - Unterstützung und Hilfe bei der sozialen Teilhabe und der beruflichen Integration - ist eine soziale Dienstleistung, die nur in Kooperation mit den Leistungsberechtigten gelingen kann. Wo Angst herrscht und / oder Strafandrohungen die soziale Beziehung beeinträchtigen, ist keine vertrauensvolle Beziehung zwischen den Beteiligten möglich. Respekt und Umgang auf Augenhöhe - wie vom Gesetz rhetorisch proklamiert - kann es nicht geben, wenn eine Seite mit Leistungsminderungen drohen kann, wenn Auflagen nicht eingehalten werden. Dies belegt unter anderen die Studie zu den Auswirkungen von Sanktionen durch INES im Auftrag von Sanktionsfrei.
  • Zudem sind Sanktionen auch nicht notwendig, weil die Erwerbsorientierung auch bei den Hartz IV Beziehenden stark verinnerlicht ist. Es mangelt weniger am Willen der Betroffenen als an den passenden Angeboten und Gelegenheiten.
  • Gänzlich kontraproduktiv sind Sanktionen, wenn sie entweder dazu eingesetzt werden, um Menschen gegen ihren Willen in ungeeignete, prekäre und / oder nicht nachhaltige Beschäftigung zu zwingen oder im Ergebnis dazu führen, dass Menschen den Kontakt zum Jobcenter vollständig abbrechen. Empirische Studien zeigen, dass die wichtigste Voraussetzung für "Wiedereinstiege", also die soziale Integration von Menschen in schwierigen Lebenslagen, die materielle Existenzsicherung ist: "Sehr deutlich wurde, dass ohne die Sicherung der materiellen Existenz Entwicklungen in anderen Lebensbereichen blockiert werden (...) Ohne materielle Existenzsicherung droht die nächste Runde individueller Abwärtsspiralen..." (Petra Kaps / Frank Oschmiansky (2020): Wiedereinstiege - was hilft?, in: info also 4/2020, S. 153ff, hier: S. 156). In diesem Sinne ist es angebracht im Sinne einer Prävention auf Sanktionen zu verzichten, um Abwärtsspiralen gar nicht erst in Gang zu setzen.      

Ein Interview des Verfassers zum Stand des Verfahrens Bürgergeld können Sie ggf. auch hier hören:
https://radiocorax.de/trotz-aller-schwaechen-buergergeld-statt-status-quo/