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Bundesempfehlungen zur Umsetzung der Personalbemessung nach § 113c SGB XI in vollstationären Pflegeeinrichtungen verabschiedet.

Mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) ist der § 113c SGB XI „Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen“ neu geregelt worden. Die Trägervereinigungen auf Bundesebene - wie der Paritätische Gesamtverband - haben in § 113c Absatz 4 SGB XI einen konkreten Auftrag erhalten, bis zum 30. Juni 2022 zusammen mit dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen Empfehlungen zu Inhalten der Verträge nach § 113c Absatz 5 SGB XI zu erstellen. Die Vertragspartner der Landesrahmenverträge nach § 75 SGB XI für die vollstationäre Pflege haben sodann den Auftrag, u.a. die in einer Pflegesatzvereinbarung mindestens zu vereinbarende personelle Ausstattung mit Wirkung ab 1. Juli 2023 zu vereinbaren. Grundlage hierfür sind die bestehenden rahmenvertraglichen Regelungen oder noch zu schließende Rahmenverträge. Die vorliegenden Bundesempfehlungen geben den Vertragspartnern nach § 75 Absatz 1 SGB XI in den Ländern damit eine Empfehlung zur Anpassung ihrer Landesrahmenverträge und fördern somit eine einheitliche Umsetzung. Bis zur entsprechenden Anpassung der Landesrahmenverträge gelten die vorliegenden Empfehlungen für die Pflegekassen und die zugelassenen Pflegeeinrichtungen ab dem 1. Juli 2023 als unmittelbar verbindlich.

Die Bundesempfehlungen konnten aufgrund der Komplexität, die in der Umsetzung der Personalbemessung steckt, und die mit Blick auf die zu verhandelnden Inhalte der Landesrahmenverträge (oder sonstigen Vereinbarungsorten) eine große Herausforderung darstellt, nur mit etwas Zeitverzug erstellt werden. Es gibt darüber hinaus zahlreiche Aspekte, die nun politisch entschieden und durchgesetzt werden müssen, damit die Umsetzung insgesamt gelingt. Dies haben die Vereinbarungspartner dieser Bundesempfehlungen in einer Anlage formuliert.

Im Empfehlungstext wurden gem. § 113c Absatz 5 SGB XI vier verhandlungsrelevante Themenbereiche geregelt:

  1. Prüfung/Anpassung bisher festgelegter Personalanhaltswerte für das Pflege- und Betreuungspersonal, und zwar mit Blick auf eine personelle Mindestausstattung.
  2. Berücksichtigung landesspezifischer Besonderheiten, Pflegesituation in der Nacht, Einrichtungsgrößen (Mindestausstattung Pflegefachkräfte) und von Einrichtungskonzeptionen.
  3. Berücksichtigung besonderer Personalbedarfe für die Pflegedienstleitung, Qualitäts- und Hygienebeauftragte, sowie möglicher weiterer Sonderfunktionsstellen, wie z.B. die Praxisanleitung für nach Landesreht anerkannte Pflegehelfer*innen.
  4. Regelung der Qualifikationsanforderungen von Fachkräften und Hilfskräften (Pflege- und Betreuungspersonal).

Während für die Vereinbarung der personellen Mindestausstattung umfassende Vorschläge in den Bundesempfehlungen enthalten sind, stellt die Umsetzung des Übergangs in die neue PeBeM-Systematik und in die Aufwuchsphase derzeit durch das Fehlen einer Substitutionsregelung ein Problem dar. Mit einer Substitutionsregel könnten die fehlenden ein- und zweijährig ausgebildeten Pflegehilfskräfte (QN 3) durch das vorhandene Pflegehilfskraftpersonal der Qualifikationsniveaus 1 und 2 unter bestimmten Voraussetzungen vorrübergehend „ersetzt“ werden, bis diese in Ausbildung o.Ä. geschickt werden können. Diesbezüglich sind wir auf den Gesetzgeber zugegangen und haben konkrete Änderungsvorschläge für eine Pflegereform gemacht, mit denen die Umrechnung des vorhandenen Personals in den neuen Qualifikationsmix und der Start in die Aufwuchsphase gelingen kann. Weitere praktische Hilfestellungen zur Berechnung und Umsetzung sind in Arbeit.

Hintergrund zum Thema:

Nachdem das Projekt „Personalbedarfsbemessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen“ (PeBeM), welches durch Prof. Dr. Heinz Rothgang  (Socium - Universität Bremen) durchgeführt wurde, im Jahre 2020 abgeschlossen werden konnte, wurde die weitere Umsetzung, gemäß der Vereinbarungen aus der Konzertierten Aktion Pflege (KAP), ab dem Jahr 2021 über die Erstellung einer Roadmap und der gesetzlichen Einführung des Personalbemessungsinstruments (§113c SGB XI) sowie der Ausgestaltung des Modellprojekts nach § 8 Abs. 3b SGB XI zur modellhaften Einführung weiter vorangebracht. Der Paritätische hat sich intensiv für die Einführung und Umsetzung des wissenschaftlichen Personalbemessungsinstrumentes eingesetzt.

Wir sehen uns weiterhin in der Pflicht für eine möglichst vollständige Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse einzutreten. Ziel ist es, dass in den vollstationären Pflegeeinrichtungen für eine bessere Versorgung von Heimbewohner*innen und Entlastung der Beschäftigten überall mehr Personal zur Verfügung steht  (wissenschaftlich abgesicherte Mehrpersonalisierung) – ohne eine zusätzliche Belastung bei den pflegebedingten Eigenanteilen.    

Die Umsetzung wird eine längere Zeit in Anspruch nehmen. Wir gehen davon aus, dass die von uns geforderte „vollständige“ Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse 10-15 Jahre in Anspruch nehmen wird.

Aufgrund der Komplexität und langjährigen Einführung einer Personalbemessung, der Verfügbarkeit von Pflegekräften und weiterer Limitationen hat sich der Gesetzgeber bis dato nicht festgelegt, ob die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus PeBeM 1:1 umgesetzt werden können. Dafür hat der Gesetzgeber Mitte 2025 eine Evaluation vorgesehen, die alles offenlässt. Dies führt in Bezug auf die bisher geplanten Phasen – trotz umfassender gesetzlicher Bestandsschutzregelungen für die Einrichtungen – zu Verunsicherung in der Fachwelt und Praxis. In mindestens sechs Bundesländern liegt die erste Ausbauphase unterhalb der Möglichkeiten im Bereich der Personalausstattung. In allen anderen Bundesländern, welche derzeit niedrigere Personalschlüssel umsetzen, bleibt die Umsetzung zu sehr im Belieben. Zudem fehlen in der Frühphase der Einführung weitere Erkenntnisse für die Umsetzung in das Vertragswesen und das Management, die im Prinzip erst über das o.g. Modellprojekt nach § 8 Abs. 3b SGB XI gewonnen werden könnten.

Bereits im Vorfeld zur Gesetzgebung durch das GVWG (2021) haben sich zentrale Forderungen herauskristallisiert, die aus Sicht des Paritätischen zu einer gelingenden Umsetzung erforderlich sind. Diese wurden z.B. ganz überwiegend bereits im Rahmen des Stellungnahmeverfahrens zum GVWG im Jahre 2021 eingebracht:

  • Der Gesetzgeber muss zügig festlegen, in welchem Umfang die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus PeBeM umgesetzt werden sollen. Hierzu ist ein langfristiger Plan über einen Zeitraum von 10- 15 Jahren mit allen Ausbaustufen festzulegen. Aus unserer Sicht sollen 100 % des Personalmehrbedarfs aus PeBeM erreicht werden. Damit in allen Bundesländern mehr Personal als vorher eingesetzt werden kann und dauerhafte Bestandsschutzregelungen obsolet werden, ist mindestens ein Umsetzungsgrad von 80 % erforderlich.
  • Um § 113c SGB X umzusetzen bedarf es einer umfassenderen Begrenzung bzw. Deckelung der pflegebedingten Eigenanteile. Alleine die Überführung der Zusatzstellenprogramme in die Pflegesätze bis Ende 2025, wie in § 113c Absatz 6 SGB XI vorgesehen, ist ansonsten schlichtweg unmöglich.
  • Es bedarf einer Ausbildungsoffensive für die nach Landesrecht ein- bzw. zweijährig ausgebildeten Pflegehilfskräfte. Dazu müssen vor allem die Länder Verantwortung für die Schaffung von Schulplätzen übernehmen und den Lehrermangel beseitigen. Die Harmonisierung oder gar Vereinheitlichung dieser Ausbildungen in den Ländern ist zudem umzusetzen. Externenprüfung und Anerkennung der Zwischenprüfung von Schulabbrechern der Fachkraftausbildung sowie die Einbindung des Themas in die Fachkräftestartegie, so dass keine Abschiebung mehr von Asylbewerbern mit einschlägiger Ausbildung erfolgen kann, gehört nun auf die Tagesordnung. 
  • Der Algorithmus zur Berechnung des Personalbedarfs muss in geeigneter Form spätestens ab dem 01.07.2023 veröffentlicht werden, damit die Anpassung der Landesrahmenverträge bis Mitte 2023 – wie gesetzlich vorgesehen – vorgenommen werden kann.
  • Die Schnittstelle zum Ordnungsrecht der Länder z.B. in Bezug auf die Fachkraftquote, die perspektivisch im Personalmix durch einen Fachkraftanteil ersetzt wird, ist zu klären.
  • Die KAP-Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufs sind konsequent weiterzuführen.
  • In Abgrenzung zum vollstationären Bereich darf der ambulante Pflegebereich nicht weiter ins Hintertreffen geraten. Er muss vollumfänglich gestärkt werden und es bedarf auch dort einer Personalstrategie. So ist u.a. auch dort eine Begrenzung der Eigenanteile (hilfsweise eine sofortige angemessene Dynamisierung der Pflegesachleistungen) umzusetzen.       

Diese Forderungen sind weitestgehend Konsens unter den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege. Sie wurden und werden entsprechend intensiv politisch bespielt: „Politische Forderungen der BAGFW“: https://www.bagfw.de/suche/detailansicht-news/positionen-der-bagfw-zur-umsetzung-der-personalbemessung-nach-113c-sgb-xi

Ein ähnlich lautendes Papier konnte zwischenzeitlich auch mit den Privaten Trägervereinigungen konsentiert und veröffentlicht werden. Im Rahmen der Bundesempfehlungen nach § 113c Absatz 4 SGB XI werden viele dieser Aspekte in Form einer Anlage durch sämtliche Vereinbarungspartner zum Ausdruck gebracht.

Auf vollstationäre Pflegeeinrichtungen kommt ab Mitte 2023 ein größerer Organisationsentwicklungsprozess zu, wenn der avisierte neue Personalmix umgesetzt wird. Dazu werden sukzessive mehr und mehr Konzepte zur Implementierung zur Verfügung stehen, z.B. aus der modellhaften Einführung (§ 8 Abs. 3b SGB XI. Bereits jetzt kann auf Grundlage der Interventionskataloge aus dem Projekt PeBeM „geübt“ werden. Allerdings ist der gesamte Baustein zur Organisations- und Personalentwicklung mit Blick auf Personalmix und kompetenzorientierten Personaleinsatz (PeBeM-Systematik) noch „neueres“ Land, obgleich neben PeBeM und dem GKV-Modellprogramm zur Umsetzung PeBeM gem. § 8 Abs. 3b SGB XI auch andere Projekte laufen oder schon Ergebnisse hervorgebracht haben, z.B.:

  • 360 Grad Pflege-Qualifikationsmix der Robert-Bosch-Stiftung (2019-2022) https://qualifikationsmix-pflege.de/;
  • Weiterentwicklung der qualifikations- und kompetenzorientierten Arbeitsteilung in der stat. Langzeitpflege, Wingenfeld (2022);

Insgesamt sorgt aber das für die Umsetzung erforderliche Management bei den Einrichtungen für etwas Skepsis. Es wird also auch darauf ankommen die Aufteilung in die Qualifikationsniveaus handhabbar zu machen und zu vereinfachen und eben Konzepte für die Umsetzung zur Verfügung zu stellen. Sicherlich ist zu berücksichtigen, dass ein Personalaufbauprogramm in Zeiten, in denen Personal eher abhandenkommt, absurd anmuten kann. Daher ist ein langfristiger gesetzlich abgesicherter Plan von 10-15 Jahren erforderlich, der die Maßnahmen in realistische und handhabbare Bahnen lenkt. Insbesondere sind umgehend Anstrengungen zu unternehmen, welche die Bundesländer jetzt hinsichtlich der Schaffung von Schulplätzen in die Pflicht nehmen. Das Programm steht und fällt ganz entscheidend damit, ob es gelingt in den kommenden 10 Jahren 100.000 – 120.000 Pflegehilfskräfte auszubilden oder eben geeignete Pflegehilfskräfte staatlich anerkennen zu lassen und dem Markt zur Verfügung zu stellen.