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Bundeskabinett fasst Beschluss zur Fachkräftestategie der Bundesregierung

Die Bundesregierung hat ihre neue Fachkräftestrategie im Kabinett beschlossen. Mit unterschiedlichen Maßnahmen sollen Unternehmen bei der Gewinnung und Sicherung von Fachkräften unterstützt werden. Die Strategie ist branchenübergreifend angelegt.

Das Bundekabinett hat die aktuelle Fachkräftestrategie der Bundesregierung beschlossen. Das Dokument kann hier abgerufen werden: https://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Pressemitteilungen/2022/fachkraeftestrategie-vom-kabinett-beschlossen.html

Die Herausforderungen bei der Sicherung von Fachkräften und Bekämpfung von Fachkräftemangel sind deutlich gestiegen. Nach aktuellen Ergebnissen des Fachkräftemonitorings werden bis zum Jahr 2026 etwa 240.000 Arbeitsplätze mehr neu zu besetzen sein, als Arbeitskräfte verfügbar sein werden. Zu den Berufsgruppen mit zunehmenden Fachkräfteengpässen in den kommenden Jahren gehören Berufe, die entweder einen starken Arbeitsplatzaufbau verzeichnen, sei es aufgrund wirtschaftlicher Entwicklung (z. B. IT-Berufe und technische Forschung), demografischer Entwicklung (Erziehungs- und Gesundheitsberufe) oder wegen Covid-19 bedingter Nachholeffekte (z. B. Hotel- und Gaststättengewerbe), aber auch Branchen, die einen hohen Ersatzbedarf haben, was bei vielen technischen Berufen (Energietechnik, Klempnerei, Sanitär, Heizung und Klimatechnik) der Fall ist.

 

Die Bundesregierung benennt  fünf zentrale Handlungsfelder zur Bewältigung des Fachkräftebedarfs:

1.   Zeitgemäße Ausbildung: Die Modernisierung der Ausbildungsordnungen mit Blick auf die ökologische und digitale Transformation hat für die Bundesregierung Priorität. Die auch im Koalitionsvertrag genannte „Ausbildungsgarantie“ wird nur kurz benannt und an dieser Stelle auch nicht weiter konkretisiert. Die Bundesregierung bekennt sich zu dem Ziel, finanzielle Ausbildungshindernisse in den Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialberufen abzubauen und dafür mit Ländern und Sozialpartnern zu handeln. Für den Erzieherberuf soll gemeinsam mit den Ländern eine Gesamtstrategie zur Fachkräftesicherung entwickelt werden.

2.   Gezielte Weiterbildung: Es wird auch zukünftig eine breitere Qualifizierung von Beschäftigten und von Arbeitslosen im SGB II und III angestrebt. Die Nationale Weiterbildungsstrategie soll dafür u. a. ihre Arbeit fortsetzen. Die Bundesregierung will sich dabei für eine bundesweit einheitliche Ausgestaltung von Teilqualifikationen und die bundesweite Validierung von informell erworbenen Kompetenzen einsetzen (modulare berufsabschlussbezogene Nachqualifizierung). Das Papier enthält u. a. das Bekenntnis zur Umsetzung von Koalitionsvorhaben, wie der Einführung einer neuen „Bildungszeit“, mit der sich Beschäftigte eine staatlich geförderte Auszeit für eine Qualifizierung nehmen können.

3.   Arbeitspotenziale wirksamer heben und Erwerbsbeteiligung erhöhen: Hier steht eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit von Frauen mit vollzeitnäherer Beschäftigung im Fokus; wozu staatlicherseits verschiedene, neue Anreize (etwa Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen, Weiterentwicklung Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz) gesetzt werden sollen.

4.   Verbesserung der Arbeitsqualität und Wandel der Arbeitskultur: An dieser Stelle wird auf die betriebliche Verantwortung für eine strategische Personalarbeit hingewiesen, die sich an den Bedürfnissen der Beschäftigten in unterschiedlichen Lebensphasen orientiert. Staatlicherseits sollen flexible Übergänge in den Ruhestand gefördert werden, u. a. mit der im Koalitionsvertrag genannten „Flexi-Rente“.

5.   Einwanderung modernisieren und Abwanderung reduzieren: Es müssen Fachkräfte aus Drittstaaten für sämtliche Branchen gezielt angeworben werden, in denen aktuell und zukünftig Fachkräfteengpässe bestehen, so die Bundesregierung. Das novellierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll noch im Dezember 2022 im Kabinett beschlossen werden und u. a. eine „Chancenkarte“ mit Punktesystem für erleichterte Einwanderungsmöglichkeiten sorgen.

Einschätzungen der Autorin:

Bewertung/Thesen:

> Die Fachkräfteproblematik in den Gesundheits-Erziehungs- und Sozialberufen ist  untererfasst, u.a. bei der Berufsgruppe Sozialarbeit und Sozialpädagogik. So weist eine aktuelle Analyse des IW die Berufsgruppe der Sozialarbeit und Sozialpädagogik unter den 10 Berufsgruppen aus, in denen es im Jahresdurchschnitt 2021/2022 die größte Fachkräftelücke gab, siehe:

https://www.iwkoeln.de/studien/helen-hickmann-filiz-koneberg-die-berufe-mit-den-aktuell-groessten-fachkraefteluecken.html

Nach Prognosen des IAB wird das Gesundheits- und Sozialwesen im Jahr 2040 der größte Wirtschaftsbereich sein und mit 7 Mio. die meisten Erwerbstätigen stellen (IAB Kurzbericht 1/2021).

> Es bedarf nicht nur einer Fachkräfte- sondern auch einer Arbeitskräftestrategie.
Es gibt nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern auch einen Arbeitskräftemangel (z. B., Arzthelfer, Friseure, Lager- Logistikarbeiter, Mitarbeitende in der Gastronomie). Das heißt, es muss auch von Arbeitskräfteengpässen gesprochen werden; so etwa  Hinweise der Hans-Böckler-Stiftung. Denn nach ihren Analysen werden vor allem Arbeitnehmer*innen mit mindestens abgeschlossener Berufsausbildung gesucht, aber eben nicht nur, sondern auch An- und Ungelernte. Das zu verdeutlichen, ist auch wichtig, um weitere Anschlussperspektiven für Langzeitarbeitslose einzufordern, die als Reservoir für die Fachkräftesicherung überwiegend nicht gesehen werden.

> Ein großes Potenzial unter der Vielzahl der von der Bundesregierung genannten Maßnahmen liegt  in der Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer*innen. Der angekündigten Novellierung und Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes kommt daher große Bedeutung zu.

> Der Weiterbildung wird nach öffentlichen Verlautbarungen zufolge immer noch eine Schlüsselrolle bei der Fachkräftesicherung zu gesprochen. Die Fortschritte beim Ausbau der öffentlich geförderten Weiterbildung (SGB II und III) und ihre qualitative Entwicklung hinken aber weit hinterher. So fehlt im SGB II eine Weiterbildungsberatung ganz, im SGB III kommt sie nicht wirklich in Gang. Es muss noch ein Verständnis dafür geschaffen werden, dass es eine leistungsfähige Trägerinfrastruktur bei den Weiterbildungsträgen braucht.

Gerade die öffentliche Weiterbildungsförderung muss das bestehende "Matthäusprinzip" in der Weiterbildung beseitigen oder zumindest stark reduzieren zu helfen. Denn bislang gilt in der Weiterbildung insgesamt die Erkenntnis: Wer besser gebildet ist, bildet sich auch später länger und intensiver fort. Die öffentlich geförderte  Weiterbildungsförderung müsste sich zur expliziten Zielsetzung machen, hier gegenzusteuern. Gut, dass bei der Fortschreibung der Nationalen Weiterbildungstrategie ein neuer Schwerpunkt dabei gebildet werden soll, die Beteiligung von formal gering Qualifizierten an Weiterbildungsangeboten zu steigern.

> Hilfreich und interessant ist in der „Fachkräftestrategie“ der Bundesregierung der Passus zur Verbesserung der Arbeitsqualität und Wandel der Arbeitskultur, der sich  an Arbeitgeber richtet. Im Kern geht es darum, die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über den gesamten Beschäftigungszeitraum hinweg frühzeitig, dauerhaft und nachhaltig zu fördern, so die Aussage. Auf betrieblicher Ebene ist eine strategische Personalarbeit entscheidend, die sich an den Bedürfnissen der Beschäftigten in den unterschiedlichen Lebensphasen und -situationen orientiert, z. B. Ausbildung, Berufseinstieg, beruflicher Aufstieg, Elternschaft, Pflege von Angehörigen oder Krankheit und gesundheitliche Beeinträchtigungen. Wichtige Instrumente sind zum Beispiel Einstiegs- und Aufstiegsprogramme, Qualifizierungsangebote, flexible und planbare Arbeitszeiten, Job-Sharing und Gesundheitsmanagement. Eine in diesem Sinne gut aufgestellte Personalarbeit kann der entscheidende Hebel bei der Fachkräftesicherung für ein Unternehmen oder einen Betrieb sein, so die zutreffende Aussage.