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Der Paritätische begrüßt den Referentenentwurf der Bundesregierung zur Abschaffung der Kostenheranziehung für junge Menschen im SGB VIII und weist auf weiteren Regelungsbedarf hin

Laut aktuellem Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien das Vorhaben formuliert, die Kostenheranziehung für junge Menschen im SGB VIII vollständig zu streichen: „Heim- und Pflegekinder sollen eigene Einkünfte komplett behalten können.“ (KoaV, S.78) Nun hat das BMFSFJ einen ersten Referentenentwurf vorgelegt.

Damit könnte die jahrelange Forderung des Paritätischen, die Kostenheranziehung für junge Menschen im SGB VIII zu streichen, endlich Realität werden. In der letzten Reform des SGB VIII und mit Inkrafttreten des KJSG im Juni 2021 haben sich Bund und Länder lediglich auf einen politischen Kompromiss festlegen können: statt einer Kostenheranziehung von 75% des durchschnittlichen Einkommens des Vorjahres gilt aktuell die Heranziehung von 25% des aktuell monatlichen Einkommens mit Ausnahmen und Freibeträgen für Einkommen aus Praktika, Ferienjobs, Ausbildungsvergütung und Engagement. Das ist eine Verbesserung, wird aber der herausfordernden Lebenslage junger Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe nicht ausreichend gerecht. Die Bundesregierung begründet nun selbst:

Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe ist, junge Menschen darin zu unterstützen, sich zu einer selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Persönlichkeit zu entwickeln. Junge Menschen sollen darin gestärkt und dazu motiviert werden, Verantwortung zu übernehmen für einen erfolgreichen Weg in ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben. Die Heranziehung junger Menschen zu den Kosten der Leistung widerspricht diesem Auftrag der Kinder und Jugendhilfe. Wachsen junge Menschen außerhalb ihrer Herkunftsfamilie auf, haben sie bereits mit zusätzlichen Herausforderungen umzugehen und dadurch einen schwierigeren Start in ein eigenständiges Leben. Dieser Start wird nochmal erschwert, wenn sie einen Teil ihres Einkommens, das sie zum Beispiel im Rahmen eines Schüler- oder Ferienjobs oder ihrer Ausbildung verdienen, abgeben müssen. Das Erreichen selbst gesteckter Ziele wie zum Beispiel die Finanzierung eines Führerscheins, die Finanzierung einer Reise, das Erarbeitung von Startkapital für ihre Zukunft, wird erschwert bzw. dauert insgesamt länger. Damit können Erfolgserlebnisse durch eigenes Engagement unerreichbar erscheinen, gerade auch im Vergleich mit Gleichaltrigen, die ihre Einkommen behalten dürfen. Die Motivation, sich Ziele zu setzen und sich für diese einzusetzen, wird dadurch gedämpft. Dies kann zur Folge haben, dass eine Ausbildung gar nicht erst begonnen oder einer anderen Beschäftigung nicht nachgegangen wird. Dadurch werden nicht nur die Chancen der jungen Menschen am Arbeitsmarkt eingeschränkt, den jungen Menschen fehlen letztlich auch Mittel, um finanziell unabhängig zu werden.

Diese Begründung wird vom Paritätischen unterstützt und daher auch die konkreten Vorschläge, die Kostenheranziehung gemäß §94 Abs.6 SGB VIII für junge Menschen einschließlich im Rahmen der Leistungsberechtigung nach §19 SGB VIII (Eltern-Kind-Wohnen) zu streichen. Auch soll die Heranziehung von Ehegatten und Lebenspartnern im Kontext des §19 SGB VIII wegfallen. Damit wäre ein großer Schritt zur Aufhebung weiterer Benachteiligungen und Hürden für diese Adressat*innen der Kinder- und Jugendhilfe getan. Der Gesetzentwurf hat große Chancen, im Bundestag verabschiedet zu werden. Der Knackpunkt wird die Zustimmung im Bundesrat. Die Kommunen befürchten den Wegfall einer Einnahmequelle. Dem kann entgegengehalten werden, dass Verwaltungsaufwand und Kosten im Rahmen von Widerspruchs- und Klageverfahren gespart werden. Die Bundesländer sind daher aufgerufen, diesen Vorstoß, der für die jungen Erwachsenen im SGB VIII von großer Bedeutung ist, zu unterstützen und nicht zu blockieren!

Der Paritätische weist zusammen mit seiner Mitgliedsorganisation PFAD (Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien) zusätzlich noch auf eine weitere Zielgruppe junger Menschen im SGB VIII hin, die von diesen Regelungen nicht profitieren würden und es daher weiteren Regelungsbedarf gäbe, der in dieses Gesetzesvorhaben integriert werden sollte:

Nachbesserungsbedarf besteht beim „Ausbildungsgeld“. Das Ausbildungsgeld nach § 122 SGB III wird jungen Menschen mit Behinderung während der Teilnahme an berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (einschließlich einer Grundausbildung), einer individuellen betrieblichen Qualifizierung im Rahmen der unterstützten Beschäftigung (nach § 55 SGB IX), einer Maßnahme im Eingangsverfahren oder Berufsbildungsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) oder während einer beruflichen Erstausbildung zur Sicherstellung des Lebensunterhalts dann gezahlt, wenn kein Anspruch auf Übergangsgeld existiert.  

Mit dem aktuellen Gesetzesentwurf soll die Kostenheranziehung für junge Menschen entfallen. Für alle jungen Menschen, die eine Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt machen, würde sich damit die Situation deutlich verbessern, weil keine Kostenheranziehung in Bezug auf die Ausbildungsvergütung erfolgt. Aber nicht wenige junge Menschen, die in Pflegefamilien oder sonstigen stationären Formen der Hilfe zur Erziehung (§ 34 SGB VIII) oder Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII leben, hat diese Regelung keine Auswirkungen, da diese jungen Menschen eine Berufsausbildung für Menschen mit Behinderung absolvieren und Ausbildungsgeld nach § 122 SGB III erhalten (nach Schätzungen von PFAD könnte das etwa ein Drittel der jungen Erwachsenen in Pflegefamilien betreffen; statistische Zahlen dazu gibt es aber leider nicht).

Die jungen Menschen, die beispielsweise eine als Rehamaßnahme geförderte Ausbildung absolvieren oder an einer (berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme für Rehabiltant*innen teilnehmen, bekommen keine sozialversicherungspflichtige Ausbildungsvergütung sondern eine Netto-Unterhaltszahlung. Tatsächlich wird dieser Unterhaltsbetrag aber als Ausbildungsgeld bezeichnet.

Im § 93 Absatz 1 Satz 3 SGB VIII wird festgelegt, dass Geldleistungen, die dem gleichen Zweck dienen nicht als Einkommen anzusehen sind und unabhängig vom Kostenbeitrag zur Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfeleistung einzusetzen sind. Für viele junge Menschen, die in stationären Formen der Jugendhilfe (§§ 33, 34, 35a, 13 SGB VIII) leben, wird somit der gesamte Betrag des Ausbildungsgeldes von der Jugendhilfe einbehalten.

Hier sehen wir hier einen Nachbesserungsbedarf.