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EU Social Taxonomy – gut oder doch nur gut gemeint? Ein Sachstandsbericht

Im Februar 2022 veröffentlichte die „EU Platform on Sustainable Finance“ ihren Abschlussbericht (ca. 80 Seiten) über die mögliche Struktur einer Social Taxonomy in der Europäischen Union. Seitdem überschlagen sich die wohlwollenden oder ablehnenden Interpretationen und Kommentare. Was ist dran am Bericht und wie weit reicht seine Verbindlichkeit?

Der allgemein zugängliche Abschlussbericht widerspiegelt weder die Meinung der Europäischen Kommission noch hat er irgendeine Rechtsverbindlichkeit. Der Verfasser, die „EU Platform on Sustainable Finance“, ist eine ständige Beratungs- und Expert*innenplattform der Europäischen Kommission für die Umsetzung des Europäischen Green Deal und das Erreichen der EU-Klimaziele 2030 bzw. 2050.

Berichterstatterin für die Untergruppe „Social Taxonomy“ war Frau Antje Schneeweiß vom Arbeitskreis Kirchlicher Investoren in der evangelischen Kirche in Deutschland. Die Europäische Kommission wird den Abschlussbericht analysieren, um im Laufe eines Jahres einen eigenen Bericht vorzulegen. Der Bericht der Kommission empfiehlt wahrscheinlich auch die nächsten Schritte. Es kann jedoch noch Jahre dauern, bis die Kriterien für eine Social Taxonomy verbindlich ausgearbeitet sind oder der Versuch einer Social Taxonomy u. U. gänzlich scheitert. In der Zwischenzeit wird erwartet, dass sich viele Stakeholder und Lobbyisten an der Diskussion beteiligen werden. Die Arena ist eröffnet und schon jetzt streiten sich die Gelehrten und Interessengruppen. Sind Krankenhäuser und Kindergärten per se sozial nachhaltig und warum sind Unternehmen der Waffen- und Tabakbranche es nicht?

Die Social Taxonomy soll die bereits seit diesem Jahr gültige EU-Umwelttaxonomie ergänzen und als Maßstab zur Identifizierung von sozial nachhaltigen Investitionen dienen, um vermehrt private Kapitalströme in Wirtschaftsaktivitäten zu lenken, die sozial als wertvoll erachtet werden. Und nicht zuletzt geht es dabei auch um eine Risikominimierung für Investoren.

Drei Leitziele für sozial nachhaltige Aktivitäten

Das Expert*innengremium hat drei Sozialziele identifiziert und mit einer Auflistung von Unterzielen unterlegt, die aus seiner Sicht ein hohes gesellschaftliches Wohlergehen garantieren. So soll eine sozial nachhaltige Wirtschaftsaktivität entweder

- zur menschenwürdigen Arbeit (unter Einbeziehung der Wertschöpfungskette),

  • Förderung von menschenwürdiger Arbeit: Sozialer Dialog, Living Wage, lebenslanges Lernen, hoher Arbeits- und Gesundheitsschutz, etc.
  • Förderung von Gleichstellung und Nicht-Diskriminierung bei der Arbeit: Lohntransparenz, Sicherung eines existenzsichernden Einkommens für Landwirte etc.
  • Gewährleistung der Achtung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte entlang der Wertschöpfungskette

- zum angemessenen Lebensstandard und Verbraucherwohlstand,

  • Gewährleistung gesunder und sicherer Produkte und Dienstleistungen
  • Langlebige und reparable Produkte gestalten
  • Bereitstellung von Cybersicherheit sowie Schutz personenbezogener Daten und Privatsphäre
  • Verantwortliche Marketingpraktiken
  • Verbesserung des Zugangs zu hochwertigem Trinkwasser, Wohnraum und lebenslangem Lernen

- oder zu inklusiven und nachhaltigen Gemeinschaften und Gesellschaften,

  • Förderung von Gleichstellung und inklusivem Wachstum u.a. durch
  • Verbesserung des Zugangs für betroffene Bevölkerungen und Gebiete zu grundlegender Infrastruktur wie Verkehr, Telekommunikation/Internet, Finanzdienstleistungen und Elektrizität;
  • Kinderbetreuung
  • Inklusion von Menschen mit Behinderungen; Schaffung und Erhaltung menschenwürdiger Arbeitsplätze, insbesondere als Teil eines gerechten, grünen und digitalen Übergangs, beispielsweise durch Bindung und Umschulung von Arbeitnehmern;
  • Unterstützung nachhaltiger Lebensgrundlagen und Landrechte, u.a. durch die Förderung von dezentralen Entscheidungsprozessen auf der Gemeinschaftsebene
  • Gewährleistung der Achtung der Menschenrechte betroffener Gemeinschaften unter Einhaltung von Due-Diligence-Regeln etwa durch die Einbeziehung von betroffenen, indigenen Völker und Einholung ihrer „freien, vorherigen und informierten Zustimmung“.

beitragen.

Im Gegensatz zur Umwelttaxonomie, die sich zur Festlegung ihrer Kriterien auf quantifizierbare wissenschaftliche Erkenntnisse und Kausalbeziehungen stützen kann, sollen für die Soziale Taxonomie supranationale Normen, Standards und Prinzipien als Grundlage herangezogen werden (z. B. Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Europäische Säule sozialer Rechte und der dazugehörige Aktionsplan, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, ILO-Erklärung über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit, Dreigliedrige Grundsatzerklärung der ILO über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik, UN-Nachhaltigkeitsziele, UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, UN Global Compact, OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen).

Im Bericht selbst ist bereits einschränkend vermerkt, dass die sozialen Angelegenheiten in der Regel in die Zuständigkeit der EU-Mitgliedsstaaten bzw. der Sozialpartner fallen. Außerdem gelte es, eine überbordende Bürokratie und Berichtspflicht zu vermeiden.

Bisher ergänzt der Nachhaltigkeitsbericht im Rahmen der Umwelttaxonomie die Nichtfinanzielle Erklärung gemäß dem CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetzes (CSR-RUG) verpflichtend nur für kapitalmarktorientierte Unternehmen (HGB § 264d) mit mehr als 500 Beschäftigten. Dem würde dann auch die Auskunstpflicht zur Sozial Taxonomie zugeschlagen werden.

Fazit:

Der Bericht ist eine Empfehlung einer Expert*innengruppe zur Sozial Taxonomie.

Für die Festlegung von Kriterien für soziale Nachhaltigkeit stellt der Bericht einen Empfehlungskatalog (Positiv- und Negativliste) zur Diskussion.

Die Sozial Taxonomie soll privates Kapital in sozial nachhaltige Investitionen lenken. Deshalb richtet sich die Berichtspflicht an den Festlegungen für große kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften (CSR) aus. Sie bezieht sich somit in der Regel nicht auf freigemeinnützige Träger der sozialen Arbeit. Das kann allerdings zu einer indirekten Benachteiligung gegenüber kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften des Gesundheits- und Sozialwesens führen, die mit der Bewertung "sozial wertvoll" bzw. "sozial nachhaltig" wahrscheinlich deutlich leichter Investoren attrahieren könnten.

Der Bezug der Sozial Taxonomie auf einen Ausbau der sogenannten Social Bonds verstärkt die Gefahr einer Privatisierung öffentlicher Mittel im Rahmen der Erbringung einer sozialen Dienstleistung. D. h., private Investoren finanzieren soziale Dienstleistungen (vor) und erhalten im Nachgang ihren Investitionsbetrag zuzüglich einer Rendite von der öffentlichen Hand zurückerstattet. Das Verfahren wird mit einer Risikoübernahme durch den Investor begründet, der vom Social Impact abhängig sei. Bisher fehlen erstens belastbare Belege für einen erhöhten Impact und zweitens dürfen freigemeinnützige Träger Überschüsse nicht als Renditen auszahlen. Die Funktion der Gemeinnützigkeit, nämlich eine Privatisierung von Überschüssen auszuschließen, wird damit ausgehebelt.

Die Sozial Taxonomie als möglicher zukünftiger Bestandteil der EU Taxonomie für nachhaltiges Wirtschaften gilt nicht für Fördermittel, Zuwendungen, Spenden oder öffentliche Ausschreibungen sozialer Dienstleistungen. Soziale und ökologische Kriterien können dort schon heute zugrunde gelegt werden (Mitteilung der Kommission vom 26.05.2021).

Problematisch wird es allerdings, sobald der Rahmen der Entscheidungshilfe für private Investoren verlassen wird und Kriterien oder Kategorisierungen aus der Sozial Taxonomie z. B. auf die o. g. Finanzierungsinstrumente angewendet bzw. ausgedehnt werden, für die sie wie erwähnt gar nicht vorgesehen sind. Das könnte dann zur Diskriminierung von Einrichtungen der freigemeinnützigen Wohlfahrtspflege führen, da plötzlich aufgrund der ursprünglich ganz anderen Zielstellung die freigemeinnützigen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens nicht mit dem Label „sozial wertvoll“ versehen sind und somit im Ranking keine Erwähnung finden.