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Flüchtlingsgipfel: Kritik des Paritätischen an geplanten Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts

Am 10. Mai 2023 findet der Flüchtlingsgipfel zwischen Bund und Ländern statt. Die vorab bekannt gewordenen Positionen der Bundesregierung erfüllen den Paritätischen Wohlfahrtsverband dabei mit großer Sorge. Statt Abschottung, Haft und Aushöhlung des Flüchtlingsschutzes fordert der Paritätische eine Orientierung an der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine, einen Spurwechsel für Asylsuchende und einen nachhaltigen Ausbau von Strukturen des Flüchtlingsschutzes wie auch verschiedener Integrationsangebote.

 

Auf Einladung von Olaf Scholz kommen am 10. Mai 2023 Vertreter*innen der Länder und des Bundes zum Flüchtlingsgipfel in Berlin zusammen. Die im Vorfeld des Gipfels bekannt gewordenen Positionen der Bundesregierung zu grundlegenden Fragen der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik erfüllen den Paritätischen Gesamtverband mit großer Sorge.

Die beabsichtigen Verschärfungen des Asyl- und Abschiebungsrechts auf nationaler wie europäischer Ebene lehnt der Paritätische Gesamtverband entschieden ab und erinnert an den im Koalitionsvertrag versprochenen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik sowie die humanitären, menschen- und europarechtlichen Verpflichtungen, denen Deutschland unterliegt.

Die folgenden geplanten Maßnahmen sieht der Paritätische besonders kritisch:

Einführung verpflichtender Asylverfahren an den EU-Außengrenzen

Der aktuell vielfach geäußerte Ruf nach der Verhinderung „irregulärer Migration“ nach Europa verkennt, dass der größte Teil der Menschen, die ohne Visa nach Europa einreisen, Schutzsuchende sind. Diese sind lediglich aufgrund mangelnder Möglichkeiten zur legalen Einreise gezwungen, ihr Leben auf dem Weg nach Europa aufs Spiel zu setzen, um hier einen Asylantrag stellen zu können. Dies ist aber sowohl nach den Regeln der Genfer Flüchtlingskonvention als auch nach der Europäischen Menschenrechtekonvention ihr gutes Recht. Sollte die Bundesregierung tatsächlich die Pläne der EU-Kommission nach verpflichtenden Grenzverfahren, einhergehend mit der geplanten „Fiktion einer Nichteinreise“ unterstützen, so droht Asylsuchenden an den EU-Außengrenzen zukünftig die Inhaftierung. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass Grenzverfahren in der Regel zu humanitären Missständen und mangelnder Verfahrensqualität führen – auch und insbesondere dann, wenn sie an Haft gekoppelt sind.

Ausweitung der sog. Drittstaatenregelung und Auslagerung des Flüchtlingsschutzes

Mit Sorge vernehmen wir, dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene nachdrücklich dafür einsetzen will, dass sämtliche aktuellen Reformvorschläge zur europäischen Asyl- und Migrationspolitik inkl. des Sichere-Staaten-Konzepts, bis zum Ende der Legislaturperiode des Europäischen Parlaments geeint werden. Dieses würde auch die Ausweitung der sog. Drittstaatsregelung beinhalten. Im Zuge des Asylverfahrens wäre dann nicht mehr die Frage nach den zugrundeliegenden Fluchtgründen zentral, sondern ob nicht auch ein außereuropäischer Drittstaat für die schutzsuchende Person als "sicher" eingestuft werden kann. Das bedeutet faktisch eine Erosion des Flüchtlingsschutzes in Europa. Im Zuge der Ausweitung der sog. Drittstaatsregelung ist nach den Vorschlägen der EU-Kommission zudem eine erhebliche Absenkung der Standards für die Anwendung der Regelung vorgesehen: Weder ein Bezug zum Drittstaat noch die Möglichkeit zur Beantragung des Flüchtlingsschutzes laut Genfer Flüchtlingskonvention muss im Drittstaat gegeben sein.

Verschärfung des Abschiebungs- und Abschiebungshaftrechts

Zudem sieht die Bundesregierung vor, die Haftgründe für Schutzsuchende auszuweiten und den Ausreisegewahrsam von 10 auf 28 Tage zu verlängern. Zukünftig soll bereits die Verletzung von Einreise- und Aufenthaltsverboten eine Inhaftnahme rechtfertigen und Schutzsuchende trotz Asylantragstellung inhaftiert werden können. Die Unterordnung bedeutender Rechtsgüter unter den Zweck der Ausweitung von Abschiebungen lehnt der Paritätische Gesamtverband entschieden ab. Haft darf in einem Rechtsstaat immer nur ultima ratio sein. Die Ausweitung der Inhaftnahme Geflüchteter bedeutet eine Vielzahl von Problemen. So gehen mit ihr regelmäßig enorme psychische Belastungen für die Betroffenen einher und werden Integrationsbemühungen zunichte gemacht. Darüber hinaus bedeutet Haft auch immer gesellschaftliche Stigmatisierung. Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass das Ersuchen um Schutz aufgrund fehlender legaler Fluchtwege meist notgedrungen mit einer Verletzung aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen einhergeht, sehen wir hier eine gefährliche Verschiebung, die Schutzsuchende als Straftäter markiert.

Für faire Asylverfahren und gute Aufnahme fordert der Paritätische stattdessen:

Aus den Erfahrungen mit der Aufnahme Schutzsuchender aus der Ukraine lernen

Die Aufnahme der aus der Ukraine geflüchteten Menschen hat trotz der zeitweisen sehr großen Zahl gleichzeitig einreisender Menschen insbesondere deshalb so gut funktioniert, weil die Geflüchteten nicht verpflichtet sind, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu leben, sondern auch private Unterbringungsmöglichkeiten suchen und nutzen können. Darüber hinaus hat der schnelle Rechtskreiswechsel in die regulären Sozialgesetzbücher vielerorts dazu geführt, dass eine schnellere Integration in Integrationskurse, Kita, Schule und Arbeitsmarkt erfolgen konnte, als dies in der Vergangenheit bei Personen der Fall war, die dem AsylbLG unterliegen. Diese guten Erfahrungen sollten nun genutzt werden, um sie diskriminierungsfrei für alle Schutzsuchenden anzuwenden. Dies kann einerseits mit der lange überfälligen Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes geschehen, andererseits mit einer Änderung des § 47 AsylG, um die Pflicht zur Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung aufzuheben oder zumindest deren Dauer drastisch zu kürzen. Darüber hinaus sollte eine Ausnahme von der Wohnsitzverpflichtung gemäß § 12a AufenthG eingeführt werden, wenn an einem anderen Ort eine Wohnung gefunden wurde. Nur so kann sichergestellt werden, dass Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte schneller für Neu-Einreisende frei werden.

Ausbau von Integrationsangeboten

Um Integration von Anfang an zu ermöglichen, sieht der Paritätische Gesamtverband ferner die Notwendigkeit, dass die verschiedenen migrationsspezifischen Beratungsangebote sowie Erstorientierungs- und Integrationskurse des BAMF bedarfsgerecht ausgebaut werden.

Spurwechsel für Asylsuchende

Statt auf den Ausbau von Abschiebungen zu setzen, sollte Deutschland anerkennen, dass der massive Fach- und Arbeitskräftemangel vor allem mit den Menschen reduziert werden kann, die bereits in Deutschland leben und die Sprache kennen. Es braucht deshalb dringend einen echten Spurwechsel für abgelehnte Asylsuchende, die hier in Deutschland arbeiten oder eine Ausbildung machen wollen.

Nachhaltige Strukturen für geflüchtete Menschen sichern

Die letzten Jahre zeigen, dass wir uns perspektivisch auf fortwährend hohe Flüchtlingszahlen in Deutschland einstellen müssen. Trotzdem wurden stets dann, wenn die Zahlen rückläufig waren, Unterbringungsmöglichkeiten und Plätze im Rahmen der Inobhutnahme von unbegleitet minderjährigen Geflüchteten in der Kinder- und Jugendhilfeabgebaut und entsprechend in hierfür gewonnene und qualifizierte Fachkräfte entlassen. Über schnelle Lösungen hinaus, die vor allem unter Einbeziehung aller Akteure – auch der Wohlfahrtspflege – gefunden werden müssen, braucht es den deshalb den Aufbau nachhaltiger Strukturen – dies gilt selbstverständlich auch für den lange überfälligen Ausbau von Kitaplätzen und sozialem Wohnraum.