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Für eine humane Flüchtlingspolitik und ein modernes Einwanderungsgesetz

Fachinfo
Erstellt von Harald Löhlein

Harald Löhlein, Leiter der Abteilung Migration und Internationale Kooperation beim Paritätischen Gesamtverband, gibt in seinem Beitrag einen Überblick über die flüchtlings- und integrationspolitischen Positionen des Verbandes.

Wohl kaum jemand hat im Jahr 2013 vorhergesehen, wie sehr das Flüchtlingsthema in dieser Legislaturperiode die Innenpolitik bestimmen würde. Der zunächst großen Offenheit bei der Aufnahme von Flüchtlingen folgte dann eine zunehmend restriktive Flüchtlingspolitik nach dem Motto „so etwas darf uns nicht nochmal passieren“

Keine Festung Europa!

Es wurden Maßnahmen massiv verstärkt, um zukünftig die Flucht nach Europa zu erschweren beziehungsweise unmöglich zu machen. Diskutiert wird aktuell vor allem, den Flüchtlingsschutz in andere Staaten, insbesondere in Nordafrika „auszulagern“. Der Paritätische hält eine stärkere Unterstützung anderer Länder bei der Aufnahme von Flüchtlingen und beim Aufbau eigener Asylsysteme zwar für sinnvoll, sie darf aber keine Rechtfertigung dafür sein, sich selbst der Verantwortung bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu entziehen und andere Staaten anzuhalten, Flüchtlinge von Europa fernzuhalten. Daher lehnt der Verband Pläne ab, Asylverfahren in Nicht-EU-Staaten auszulagern und Flüchtlinge zurückzusenden, wenn sie vermeintlich in anderen Transitländern sicher waren. Europa muss offen bleiben für Asylsuchende!

Mehrere Tausend Flüchtlinge sind im vergangenen Jahr auf ihrer Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken. Um dies für die Zukunft zu vermeiden ist ein Um steuern in vielen Bereichen notwendig. Dazu gehört  neben der  Bekämpfung von Fluchtursachen und der stärkeren Unterstützung der Transitländer insbesondere auch, andere legale Möglichkeiten des Zugangs nach Europa für Schutzsuchende auszubauen. Wir fordern eine deutliche Aufstockung entsprechender Aufnahme- beziehungsweise Resettlementprogramme.

Familienzusammenführung ermöglichen

Als  Reaktion auf den Anstieg der Flüchtlingszahlen hat die Bundesregierung im Jahr 2016 den Familiennachzug für einen Teil der Flüchtlinge bis März 2018 ausgesetzt. Für die Betroffenen bedeutet das, dass sie jahrelang von ihren Familien, die noch in den Herkunfts- oder Transitstaaten leben, getrennt bleiben. Für viele ist das eine untragbare Situation; einige kehren deshalb wieder in die Herkunftsländer zurück. Gerade wenn man verhindern will, dass sich Familienangehörige auf die höchst unsichere, gefährliche Flucht nach Europa begeben, um hier mit der Familie in Sicherheit zusammen zu leben, darf man das  Recht auf Familienzusammenführung nicht weiter einschränken. Der Ausschluss der Familienzusammenführung für subsidiär Geschütze darf nicht über den März 2018 verlängert werden!

Faire Asylverfahren gewährleisten

Die Mehrzahl der neuen Asylverfahren wird mittlerweile innerhalb weniger Monate abgeschlossen. Asylverfahren sollen aber nicht nur zügig, sie müssen vor allem fair durchgeführt werden. Tatsächlich  gibt es aber zahlreiche Qualitätsmängel, auf die auch der Paritätische wiederholt hingewiesen hat. Zu einem fairen Verfahren gehört vor allem auch, dass die Betroffen über ihre Rechte und Pflichten von einer unabhängigen Stelle beraten werden können. Eine solche unabhängige Verfahrensberatung, die es bisher in Deutschland nur  in einigen Bundesländern gibt, muss bundesweit zur Verfügung gestellt werden.

Rahmenbedingungen der Integration verbessern

Damit die zügige Aufnahme und Integration der Geflüchteten gelingen kann, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Es ist von zentraler Bedeutung, allen Flüchtlingen zügig – spätestens nach drei Monaten – Zugang zu den unterschiedlichen Integrationsangeboten zu gewähren und dabei nicht zwischen denen mit und ohne Bleibeperspektive zu unterscheiden. Die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und stattdessen der gleichberechtigte Zugang zu Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gehören für uns ebenso zu den notwendigen Rahmenbedingungen gelingender Integration wie die dauerhafte Aufhebung von Arbeitsverbot und Vorrangprüfung beim Zugang zum Arbeitsmarkt.

Der weitere Ausbau der Sprachförderung und passgenauer Qualifizierungsangebote wie auch die frühzeitige und um fassende Anerkennung mitgebrachter Qualifikationen sind weitere wichtige Bausteine. Flüchtlinge müssen uneingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung bekommen; wichtig ist insbesondere die Sicherstellung ausreichender Angebote zur Behandlung psychischer Störungen beziehungsweise Traumata. Auch muss der Einsatz von Sprachmittlern im Bereich der medizinischen Versorgung finanziert werden.

Ohne das große Engagement zahlreicher ehrenamtlicher Unterstützerinnen und Unterstützer kann die Aufnahme und Integration geflüchteter Menschen kaum gelingen. Damit das bisherige Engagement erfolgreich wirken kann, müssen die notwendigen Unterstützungsstrukturen weiter gefördert werden.

Abschiebungen: menschenwürdige Standards beachten

Erfolgreiche Flüchtlingspolitik misst sich nicht an einer möglichst hohen Zahl von Abschiebungen! Aus Sicht des Paritätischen Gesamtverbands müssen beim Thema Rückkehr die Sicherheit und Würde des einzelnen garantiert werden. Dazu gehört, dass niemand in Länder zurückgeführt wird, in denen Bürgerkrieg herrscht oder sonstige Gefahren für Leib oder Leben der Rückkehrer bestehen. Aus diesem Grund lehnen wir Abschiebungen nach Afghanistan ab. Die sogenannte „freiwillige“ Rückkehr, muss den absoluten Vorrang vor Abschiebungen haben. Um diese zu fördern, bedarf es einer unabhängigen Rückkehrberatung, welche Ausreisepflichtige neutral über Perspektiven und Möglichkeiten informiert und somit eine höhere Glaubwürdigkeit und Akzeptanz erlangen kann als staatliche Beratungsstellen. Soweit Abschiebungen als unausweichlich angesehen werden, gilt es auch hier, für menschenwürdige Standards zu sorgen. Dies verbietet zum einen die Abschiebung von besonders schutzbedürftigen sowie gut integrierten Personen. Zum anderen regen wir eine Ausweitung des Abschiebemonitorings an, um inhumane Abschiebungspraktiken künftig zu verhindern.

Einbürgerung erleichtern

Es ist ein Skandal, dass in Deutschland nach wie vor viele Eingewanderte seit Langem leben, ohne dass sie hier die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen konnten. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Langwierige Verfahrensdauer, zahlreiche gesetzliche Hürden, die Notwendigkeit, die bisherige Staatsangehörigkeit abzugeben, sowie die Höhe der Gebühren halten Menschen von einer Einbürgerung fern. Die Einbürgerungsmodalitäten müssen verbessert, die Höhe der Gebühren gesenkt und die Voraufenthaltszeiten gekürzt werden. Die Mehrstaatigkeit muss regelhaft möglich sein und die Optionspflicht komplett abgeschafft werden. Insbesondere für die erste Generation der sogenannten „Gastarbeiter“ beziehungsweise „Vertragsarbeiter“ müssen Einbürgerungsverfahren erleichtert werden. Es liegt auch im Interesse der Aufnahmegesellschaft, dass diejenigen, die hier dauerhaft leben, die vollen Bürgerrechte, vor allem auch das Wahlrecht erhalten.

Besserer Zugang zu Sozialleistungen für EU-Bürger

Handlungsbedarf besteht aber keinesfalls nur bei der Aufnahme von Flüchtlingen, sondern auch hinsichtlich der Situation von EU-Bürgern. Die neuen Regelungen, die mehr EU-Bürger von Sozialleistungen ausschließen, haben zur Folge, dass immer mehr von ihnen in äußerst prekären Verhältnissen leben und  von verschiedenen Formen der Ausbeutung, etwa am Wohnungs- oder Arbeitsmarkt, betroffen sind. Diese Formen der Ausbeutung müssen entschieden bekämpft und die Rechte der EU-Bürger, auch beim Zugang zu Sozialleistungen, gestärkt werden.

Familienzusammenführung verbessern

Fast alle Parteien haben mittlerweile verkündet, dass in der kommenden Legislaturperiode die Einwanderung nach Deutschland neu geregelt werden soll. Das ist auch gut so. Neben Erleichterungen für qualifizierte Fachkräfte, vor allem solche mit einem beruflichen Abschluss, ist es dabei auch wichtig, die Regelungen für die Familienzusammenführung zu verbessern und auch die Zuwanderung von gering Qualifizierten neu zu regeln. Denn wenn legale Wege der Zuwanderung aus Drittstaaten geschaffen werden sollen, um Alternativen zum Asylsystem zu bieten, dann muss es auch für geringer Qualifizierte Zuwanderungsmöglichkeiten geben. Dabei kann man auf den positiven Erfahrungen mit den Westbalkan-Staaten aufbauen.