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Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer Paritätischer Gesamtverband, schaut nachdenklich in die Kamera.
SVEN SERKIS / BERLIN,GERMANY

Ist Deutschland auf die Aufnahme von ukrainischen Kriegsflüchtlingen vorbereitet?

Pressestatement von Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Ist aus Sicht des Paritätischen Gesamtverbandes Deutschland gut auf die Aufnahme von vermutlich tausenden oder zehntausenden ukrainischer Kriegsflüchtlingen vorbereitet?

Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands: Bereits jetzt sind in vielen Städten wie bspw. Berlin auch Paritätische Mitgliedsorganisationen in der Aufnahme und Betreuung ankommender Flüchtlinge engagiert. Unsere Mitglieder bereiten sich zudem schon jetzt vielerorts systematisch auf einen sprunghaften Anstieg der Zahl an Kriegsflüchtlingen vor, mit dem angesichts der aktuellen Entwicklungen für die nächsten Tage und Wochen zu rechnen ist. Es werden u.a. Vorkehrungen getroffen, damit nicht nur Unterbringung und Versorgung, sondern unter anderem auch eine Beratung zu vorhandenen Unterstützungsangeboten und rechtlichen Ansprüchen in Muttersprache sichergestellt ist. Als Wohlfahrtsverbände sind wir dabei gefordert, gerade auch kleinen Initiativen Hilfestellung zu geben. Insgesamt muss man aber sagen, dass Deutschland sicher in vielerlei Hinsicht besser auf die nun zu erwartenden Flüchtlinge vorbereitet ist als 2015. Eben weil es bereits erprobte Strukturen und Erfahrungen gibt. Neu und besonders im Vergleich zu 2015 ist dabei die Situation, dass wir nahezu ausschließlich Frauen, Kinder und alte Menschen erwarten. Wo die monatelange weitgehende Isolation und Unterbringung in Sammelunterkünften ohnehin schon immer eine humanitäre Zumutung waren, funktionieren sie hier erst recht nicht. Wir müssen uns auf diese Situation einstellen und die Frage beantworten: Wie gehen wir mit Kindern und ihren Müttern um, deren Familien durch den Krieg durchweg auseinandergerissen wurde und die im schlimmsten Fall hier bei uns zu Halbwaisen und Witwen werden?

Was fordern Sie vom Bund und den Ländern z. B. in Bezug auf rechtliche Fragen, finanzieller Unterstützung etc.? Was muss die Politik tun, damit die Aufnahme und Integration der Menschen in Deutschland gelingt?

Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands: Der Paritätische begrüßt, dass die EU mit der erstmaligen Anwendung der sog. “Massenzustromrichtlinie” dafür sorgen will, dass Geflüchtete aus der Ukraine europaweit einen humanitären Aufenthaltsstatus bekommen, der ihnen den Zugang zu Arbeit, Bildung und Sozialleistungen sichert. Wichtig ist jedoch auch, dass bei der anstehenden Verteilung der Geflüchteten in Deutschland bestehende familiäre und soziale Bindungen berücksichtigt werden, da diese enorm bei der Integration und dem Ankommen helfen. Und auch bis zu der Entscheidung der EU-Innenminister*innen sind schon viele Geflüchtete auf Sozialleistungen und medizinische Versorgung angewiesen. Hier braucht es schnelle und pragmatische Lösungen. Außerdem muss klar sein: Wer jetzt flieht aus der Ukraine, egal ob mit ukrainischem Pass oder nicht, muss Zuflucht bei uns finden. Es kann nicht sein, dass Drittstaatsangehörige, die vor dem Krieg Schutz suchen, jetzt an Grenzen abgewiesen werden oder binnen kürzester Zeit entscheiden müssen, ob sie einen Asylantrag stellen oder ausreisen müssen. Schließlich müssen systematische Strukturen der psychosozialen Versorgung ausgebaut werden, um die Kinder und Frauen in dieser existenziellen Krisensituation aufzufangen. Als Wohlfahrtsverbände brauchen wir angesichts der anstehenden Herausforderungen auf jeden Fall verlässliche politische, aber auch finanzielle Unterstützung.