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Klarstellung zur Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe in Bezug auf geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine – Notwendigkeit der Vereinbarung und Koordinierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen

Der Krieg in der Ukraine führt zu einer der größten Fluchtbewegung innerhalb Europas seit dem 2. Weltkrieg. Vor allem Frauen, Kinder und Jugendliche und alte Menschen erreichen auch Deutschland. In Bezug auf geflüchtete Kinder und Jugendliche können verschiedene Konstellationen registriert werden, die unterschiedliche Zuständigkeiten hinsichtlich der Unterbringung und Versorgung auslösen. Das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) hat angekündigt, hier eine koordinierende Funktion zu übernehmen. Dies begrüßt der Paritätische Gesamtverband. Darüber hinaus braucht es die klärende Vereinbarung zwischen Bund, Ländern und Kommunen hinsichtlich der Unterbringung und Betreuung sowie der entsprechenden Finanzierung. Unbestritten ist, dass die Kinder- und Jugendhilfe in der Erstzuständigkeit ist, wenn Kinder und Jugendliche nicht eindeutig durch ihre Personensorgeberechtigten begleitet in Deutschland ankommen. Mit diesem Anliegen der Klarstellung hat sich der Paritätische Gesamtverband an das BMFSFJ und die Bundesländer gewandt.

Richtig ist, dass Kinder und Jugendliche, die mit einer personensorgeberechtigten Person den Weg nach Deutschland finden, entsprechend den asylrechtlichen Vorgaben unterzubringen und zu versorgen sind. Personensorgeberechtigt sind in der Regel die Eltern, es kann aber auch ein Vormund sein. Es gibt aber erhebliche Anteile von Kindern und Jugendlichen, die nicht mit sorgeberechtigten Personen fliehen, sondern mit sonstigen Verwandten, Freunden, Nachbarn beziehungsweise in Gruppen oder in ganzen Einrichtungsstrukturen mit ukrainischen Betreuer*innen ankommen.

Grundsätzlich haben alle geflüchteten Kinder, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, ab dem ersten Tag, die gleichen Ansprüche auf Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe (Art. 5, 6 KSÜ).1

Wenn unbegleitete Kinder in Deutschland aufgenommen werden, muss in der Regel eine vorläufige Inobhutnahme nach § 42 a SGB VIII erfolgen.

Die Prüfung, ob ein Kind unbegleitet oder begleitet ist, muss obligatorisch durch das Jugendamt vor Ort erfolgen. Die Zuständigkeit des SGB VIII und der Jugendämter kann dabei nicht ausgehebelt werden, da es um die Grundrechte der Kinder auf Schutz, adäquate Unterbringung und Versorgung sowie die Prüfung sonstiger subjektivrechtlicher Hilfen auf Grundlage individueller Bedarfe und der rechtlichen Vorgaben des SGB VIII geht.

Kommen Kinder in der Begleitungskonstellation der Freunde, Nachbarn, Verwandten u.ä., ist im Einzelfall durch die Jugendbehörden festzustellen, ob diese rechtlich im Sinne des deutschen Vormundschaftsrechtes einzusetzen sind. Daraus leitet sich die Entscheidung ab, ob die Kinder in diesem Betreuungsverhältnis bleiben und gemeinsam eine Unterbringung und Versorgung außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe erfolgt oder die Kinder und Jugendlichen in Obhut genommen werden müssen und somit im Regelsystem der Kinder- und Jugendhilfe unterzubringen sind.

Auch im Falle der Ankunft in Gruppen und Einrichtungsstrukturen in Begleitung ukrainischer Betreuer*innen bleibt die Zuständigkeit bei der Kinder- und Jugendhilfe. Stellt das Jugendamt nach Prüfung fest, dass die Kinder im Kontext der Gruppe und in Begleitung der ukrainischen Betreuer*innen bleiben, ist von der Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne einer Unterbringung der Kinder und Jugendlichen außerhalb ihrer Familien auszugehen und eine Eingliederung der Gruppen in das Einrichtungssystem der Kinder- und Jugendhilfe unter Herstellung der Anforderungen und Standards der Kinder- und Jugendhilfe zu gewährleisten. Dabei ist denkbar, dass die Betreuer*innen zumindest teilweise als Fachkräfte anzuerkennen sind. Die rechtlichen Fragen der Vormundschaft sind parallel zu klären. Dabei ist es auch gleichgültig, in welchen Gebäuden diese Gruppen untergebracht werden. Die Unterbringung muss nicht in Regelangeboten der Kinder- und Jugendhilfe erfolgen, um die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe zu begründen. Die Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge beispielsweise hat keinen Einfluss auf den Zu-ständigkeitsbereich der Kinder- und Jugendhilfe. Dieser begründet sich allein aus dem Kindeswohl-, Schutz- und Versorgungsauftrag des SGB VIII.

Kommt das Jugendamt vor Ort zu der Einschätzung, dass das Kindeswohl im Kontext der Gruppen und Betreuung durch ukrainische Betreuer*innen nicht ausreichend gewährleistet ist, muss auch hier regelhaft die Inobhutnahme gemäß SGB VIII erfolgen und die Kinder und Jugendlichen im Regelsystem der Kinder- und Jugendhilfe versorgt werden.

In den einschlägigen Konstellationen wird deutlich, dass die Zuständigkeit und vor allem auch die Erstzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe stets und eindeutig gegeben ist. Diese Rechtsposition darf und kann unseres Erachtens auch nicht mit Verweis auf die immensen Anforderungen durch die hohe Anzahl ankommender Kinder und Jugendlicher für nichtig erklärt werden. Die Frage finanzieller Ausgleiche und Hilfen aufzuwerfen ist legitim. Nicht legitim wäre es jedoch aus unserer Sicht, sollte dies über den Umweg einer Zuständigkeitsdebatte und damit auf dem Rücken der Kinder geschehen.

Das vollständige Schreiben des Paritätischen Gesamtverbandes ist dieser Fachinformation zugefügt.