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Paritätisches Positionspapier: Inklusives Arbeiten für alle möglich machen vom Verbandsrat beschlossen

Artikel 27 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN BRK) garantiert allen Menschen mit Behinderungen das Recht, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist nicht inklusiv: Wer eine erwartete Arbeitsleistung nicht (dauerhaft) erbringen kann, hat schlechtere oder keine Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden, bzw. dauerhaft zu halten. Der Paritätische fordert in seinem Positionspapier sowohl kurzfristig zu realisierende Reformen, als auch ein grundsätzlich neues Denken.

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben müssen so ausgerichtet werden, dass sie den Menschen mit Behinderung zum Ausgangspunkt nehmen. Damit dies gelingt, muss umfassend und neu gedacht werden. Denn alle Versuche, dieses Ziel zu erreichen, endeten bisher mit der Einführung weiterer Instrumente zur Teilhabe am Arbeitsleben, die für bestimmte Zielgruppen ihre Berechtigung haben, den Arbeitsmarkt aber nicht hinreichend inklusiv gestalten. Der Paritätische schlägt vor, dass unter Mitarbeit von Menschen mit Behinderung und ihrer Verbände, Vertreter*innen inklusionserfahrener Organisationen aus der Praxis, Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts, Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, Wohlfahrtsverbänden sowie Schwerbehindertenvertreter*innen und Werkstatträten erarbeitet wird, wie sich der nicht inklusive Arbeitsmarkt zu einem allgemeinen inklusiven Arbeitsmarkt mit gleichwertigen Zugangsmöglichkeiten für alle Menschen entwickeln kann. Auf der Grundlage der hier erarbeiteten Empfehlungen ist der Gesetzgeber gefordert, entsprechende Regelungen auf den Weg zu bringen.

Die Grundlage für das gemeinsame Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung in einem inklusiven Arbeitsmarkt wird unter anderem durch ein inklusives Bildungssystem gelegt. Der Paritätische weist darauf hin, dass zeitnah weitere Schritte nötig sind, um in Deutschland ein inklusives Bildungssystem zu gestalten. Der menschenrechtlich normierte Anspruch jedes Kindes auf Zugang zu einem inklusiven Bildungssystem muss eingelöst werden können.

Werkstätten für Menschen mit Behinderungen bieten Teilhabe an Arbeit für Menschen, die nicht, noch nicht, oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können. Hier besteht eine hohe Kompetenz in der Anpassung von Arbeitsprozessen und Arbeitsplätzen. Werkstattbeschäftigte können auch auf einem Außenarbeitsplatz in einem Betrieb tätig sein oder in ein Inklusionsunternehmen wechseln. Trotzdem werden sie als Beschäftigte von Werkstätten für behinderte Menschen weder nach Mindestlohn noch tariflich bezahlt. Statt Arbeitsverträgen werden Werkstattverträge abgeschlossen. Das muss sich ändern.

Kurzfristig fordert der Paritätische darüber hinaus:

Zugang zu Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben für alle Menschen mit Behinderungen

  • Das Zugangskriterium in § 219 SGB IX diskriminiert und muss abgeschafft werden. Auch für Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf ist die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen und eine rentenrechtliche Absicherung zu gewährleisten.

Betriebliches Arbeiten mit dem Budget für Arbeit erleichtern

  • Öffnung für weitere Zielgruppen
  • Abschaffung der Voraussetzung der Zusage einer Arbeitgeberin bzw. eines Arbeitgebers für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis mit einer tarifvertraglichen oder ortsüblichen Entlohnung
  • Unterstützung bei der Erschließung von Arbeitsplätzen als Teil des Budgets
  • Aufhebung des Lohnkostendeckels
  • Individuell passgenaue Begleitung vor Aufnahme der Tätigkeit, währendessen und im Falle der Aufgabe eines betrieblichen Arbeitsplatzes
  • Klarstellung, dass weder das "Durchlaufen" von Berufsbildungsbereich oder Arbeitsbereich einer WfbM noch eine dauerhafte Erwerbsminderung Bedigung für die Nutzung eines Budgets sind

Anreizstrukturen und Unterstützung für Unternehmen nachbessern

  • Beratung, Vermittlung möglicher Beschäftigter, Hilfe bei der Beantragung passgenauer Leistungen und Begleitung am Arbeitsplatz aus einer Hand
  • Möglichkeit der Anrechnung von Vergaben an Inklusionsfirmen und andere Leistungsanbieter auf die Ausgleichsabgabe analog zur Möglichkeit der Anrechnung der Vergabe von Leistungen an WfbM
  • Verpflichtung zu wesentlich höheren Ausgleichszahlungen für Unternehmen, die ihre Beschäftigungspflicht nicht bzw. nicht ausreichend erfüllen

Vermittlung arbeitsloser Menschen mit Schwerbehinderung in Arbeit

  • Verpflichtung der Arbeitsagentur zur Beauftragung der Integrationsfachdienste zur Vermittlung "besonders betroffener" Menschen mit Schwerbehinderung in Arbeit
  • Ergänzung der Arbeitsstättenverordnung um einen Grundstandard für Barrierefreiheit an allen Arbeitsplätzen

Inklusionsfirmen stärken

  • Flexibilisierung der Höhe der Nachteilsausgleiche in Form von Lohnkostenzuschüssen (z.B. durch drei prozentuale Zuschusssätze)
  • Förderung von Inklusionsfirmen über die Mittel der Ausgleichsabgabe hinaus auch mit Steuermitteln
  • Rechtssicherheit mit Bezug auf die Anwendung des ermäßigten Umsatzssteuersatzes
  • Zugang zu Wirtschaftsförderprogrammen

Andere Leistungsanbieter als echte Alternative fördern

  • Die WVO muss gänzlich überarbeitet werden, so dass sie eine personenzentrierte Leistung unabhängig von der Art der Beeinträchtigung und unabhängig vom Ort der Leistungserbringung ermöglicht und prioritär auf eine Realisierung von Arbeitstätigkeiten in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgerichtet ist.

Mehr Zuverdienstbeschäftigung schaffen

  • Damit Zuverdienstbeschäftigung als regelhaftes Teilhabeangebot zur Verfügung steht, bedarf es einer eindeutigen gesetzlichen Verankerung sowie verlässlichen Finanzierung dieses Angebotes. Es muss sichergestellt sein, dass Zuverdienstbeschäftigung niedrigschwellig zugänglich bleibt. Eine Beantragung von Leistungen des SGB IX darf keine Voraussetzung werden.

Ein inklusives Berufsbildungssystem gestalten

  • Ausbildungen in besonderen Berufen nach § 66 Berufsbildungsgesetz bzw. §42r Handwerksordnung sind abzuschaffen
  • Es müssen neue Wege zu einer inklusiven Ausgestaltung der Berufsausbildung geschaffen werden, etwas mit der Möglichkeit zur Verlängerung der Ausbildungszeiten sowie mit Stufenausbildungen, die zu einem vollqualifizierenden Berufsabschluss führen

Der Verbandsrat hat das Positionspapier in seiner Sitzung im Dezember beschlossen. Das Positionspapier, auch in Leichter Sprache, ist dieser Fachinformation beigefügt.