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Rückblick auf den „Vorfahrt für Gemeinnützigkeit – Not For Profit-Gipfel 2022“

Die Dokumentation für den "Vorfahrt für Gemeinnützigkeit – Not For Profit-Gipfel 2022“ am 1.7.2022 ist ab sofort verfügbar. Unter anderem wird in Statements von Vertreter*innen des Paritätischen Gesamtverbandes, des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und des Deutschen Mieterbundes dargestellt, wieso es einen Vorrang gemeinnütziger und gemeinwohlorientierter Strukturen in der Sozialen Arbeit, im Klimabereich und auf dem Wohungsmarkt braucht.

Am 1. Juli 2022 fand der „Vorfahrt für Gemeinnützigkeit – Not For Profit-Gipfel 2022“ des Paritätischen Gesamtverbandes statt. Partnerorganisationen waren der BUND und der Deutsche Mieterbund. Mit rund 190 Teilnehmer*innen wurde sich darüber ausgetauscht, wie eine alternative Form der Daseinsvorsorge und der Versorgung aussehen kann, in denen gesellschaftliche Interessen im Mittelpunkt stehen und nicht Gewinnmargen.

Zu Beginn des Gipfels stellten Antje von Broock, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Dr. Melanie Weber-Moritz, Deutscher Mieterbund und Dr. Ulrich Schneider, Paritätischer Gesamtverband, dar, wieso die Stärkung und der Vorrang von gemeinnützigen und gemeinwohlorientierten Strukturen in der Sozialen Arbeit sowie in der Klima- und Wohnungspolitik dringend nötig sind:

 

Inwieweit können gemeinnützige und gemeinwohlorientierte Strukturen im Bereich Klima- und Energiepolitik helfen?

Antje von Broock (Bundesgeschäftsführerin Politik und Kommunikation), Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND:

„(…) obwohl sich jetzt so viel bewegt, steht in den meisten Häusern immer noch im Keller eine Gas- oder Ölheizung. Strom wird immer noch im großen Maß aus Kohle- und Gaskraftwerken produziert. Busse und Bahnen sind immer noch nicht ausreichend verfügbar für alle, die sich umweltfreundlicher bewegen wollen. Im Moment sind nur 1 Prozent der Autos voll-elektrisch unterwegs. Auch der schreckliche Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der uns alle erschüttert hat, hat nichts Grundlegendes verändert. Energie wird immer noch verschwendet und im Moment freut sich die Mineralölindustrie über zusätzliche Gewinne durch die Senkung der Mineralölsteuer. Energiekonzerne verdienen gutes Geld an dem klimaschädlichen Geschäft mit Kohle, Öl und Gas. Und sie freuen sich derzeit über Übergewinne. (…)

Aber eine andere Welt wäre möglich. Eine Welt, in der es nicht um den Profit für die Aktionäre ginge, sondern um den Profit für die Menschen und die Gemeinden, die betroffen sind. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien durch Bürger*innen, durch Kommunen, durch Genossenschaften, die die Gewinne, die sie erzielen wieder reinvestieren für die Gemeinden, für die Menschen, die sie betreffen. Das wäre eine ganz andere Art der Energieerzeugung, des Energiesystems. Es würde (…) auch dazu führen, dass Energie viel dezentraler produziert würde und wir auf die großen Netzausbauten verzichten könnten, die jetzt immer wieder angeführt werden. (…)

Mieter-Energie, Energie teilen, für die, die mehr produzieren können, als sie brauchen. Das würde dieses System stabilisieren und würde uns alle mehr zusammenrücken lassen. Und die Gewinne, die entstehen, würden vor Ort bleiben. (…) Wir müssen also dafür sorgen, dass Menschen die Enerigewende mitgestalten können und damit auch das Leben in ihrer Nachbarschaft und Gemeinde. (…)“

Warum ist es auf dem Wohnungsmarkt wichtig, gemeinwohlorientierte Strukturen zu stärken?

Melanie Weber-Moritz (Bundesdirektorin), Deutscher Mieterbund:

„(…) Zu dieser Mietenentwicklung, die die Leute schon sehr stark belastet, kommt jetzt die Energiepreisexplosion dazu. (…) Dazu kommen die Verbraucherpreise. (…) Es belastet uns alle schwer, aber vor allen Dingen die Einkommensschwächsten und -schwachen oder natürlich auch diejenigen, die gar kein Einkommen haben. (…)

Ich will (…) kurz etwas zum Wohnungsbau sagen, weil (…) immer gerne gesagt wird, vor allem der freifinanzierte Immobilienmarkt würde hier Abhilfe schaffen. Dem ist mitnichten so. Wir sehen (…), dass die Wohnungsbauziele der Bundesregierung nicht erreichbar sind. 400.000 Wohnungen sollen gebaut werden im Jahr. Dies wird auf keinen Fall zu schaffen sein in diesem Jahr. Im letzten Jahr waren es deutlich unter 300.000. Und wie wir alle wissen: Die Wohnungen, die gebaut werden im freifinanzierten Markt (…), sind sehr teuer. (…)  Es sind oftmals Luxuswohnungen. Und mit Blick auf Berlin über 16 Euro bei der Neubaumiete pro m². Das ist auch für mittlere Einkommen nicht mehr zu bezahlen.

(…) noch eine Sache, die mir am Herzen liegt: Die Wohnkostenbelastung, also das Geld, was für das Wohnen insgesamt ausgegeben wird. Diese Belastung, die steigt. Die liegt im Durchschnitt schon bei 30 Prozent bundesweit. Und wenn wir auf diejenigen gucken, die besonders wenig haben – Einkommensgruppen unter 1.300 Euro im Monat – die zahlen heute schon über 50 % ihres Einkommens nur für das Wohnen. Und das ist im Grunde ein Skandal.

(…) Eine bessere Welt ist möglich, das sehe ich genauso wie Frau von Broock. Wir haben uns sehr gefreut: Die Bundesregierung möchte eine Neue Wohnungsgemeinnützigkeit schaffen. (…) Wir müssen jetzt alles tun, damit das Realität wird. (…) Ich bin der festen Überzeugung, dass wir das ganz dringend brauchen mit Blick auf die Sozialwohnungen, die immer weniger werden (…)."

Wieso ist es so wichtig, in der Sozialen Arbeit gemeinnützige Strukturen zu stärken?

Ulrich Schneider, (Hauptgeschäftsführer), Paritätischer Gesamtverband:

„Ich will (…) aus jüngerer Zeit 2, 3 Beispiele nennen, die uns wiederfahren sind. (…). Wir hatten hier ein schönes „Hotel Moabit“ nannte sich das, in Berlin, bis vor einigen Jahren. Da waren obdachlose Menschen untergebracht, die auch sehr viel versuchten selbst zu verwalten bei ihrer Unterbringung. Dieses wurde 2016 von einem schwedischen Investor aufgekauft, der sich auch auf Sozialimmobilien spezialisiert hatte. Und der hat das dicht gemacht. Nicht, weil er da ein Hotel hinbauen wollte. Nein, er hat festgestellt: Mit Flüchtlingen kriege ich mehr. Die Obdachlosen mussten alle diese Einrichtung verlassen innerhalb von einem Jahr.  (…) Und eingezogen sind dann Flüchtlinge. Menschen, denen es wirklich schlecht ging, mit denen man aber mehr Profit machen konnte. ( …).

Oder bleiben wir beim Flüchtlingsbereich. Der Staat hat damals 2015/2016 sehr viel in gewerbliche Hand gegeben. Und was macht die gewerbliche Hand? Sie versucht Kosten zu minimieren, wie sie gerade kann, weil sie die Gewinne rausziehen will. Sie hat den ganzen Sicherheitsdienst meist ausgelagert auf irgendwelche, zum Teil, hochdubiose Firmen, die dann wirklich gar nicht bis schlecht ausgebildetes Personal in Flüchtlingsheime schickten und mit allem, was wir dann in den Zeitungen lesen konnten an Übergriffen und Ähnlichem, was dort stattfand, durch dieses Personal.

(…) Bei der Gemeinnützigkeit kommt es mir bei der Frage darauf an, mit wem habe ich es eigentlich zu tun? Wem ist er verpflichtet? Und zwar die Personen, die das sagen haben. Sind das Personen, die vor ihre Aktiengesellschaften treten müssen in Schweden, in Miami und erklären müssen, wie viel sie wieder rausgeholt haben? Sind das Manager, die weit weg sind von dem was eigentlich passiert in ihren Einrichtungen, die sie da haben? Oder sind das Menschen, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht, die wirklich Herzblut haben in ihrer Arbeit?

Bei den Gewerblichen ist es nicht so, als hätten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kein Herzblut. Natürlich haben sie das. Sonst könnten sie die schwere Arbeit gar nicht machen in Pflegeeinrichtungen, Gesundheitsberatungen und sonst wo. Es sind die Entscheidungsträger. Nach welchen Kriterien wird im Zweifelsfalle entschieden. Und der Unterschied zum gemeinnützigen Sektor – wir müssen wie gesagt Überschüsse machen – aber im gewerblichen Sektor, wenn ich Geschäftsführer bin einer Aktiengesellschaft oder ähnlichem, dann geht es nicht mehr nur um einige Überschüsse, da geht es darum, dass ich möglichst viel Überschuss machen muss und dieser Überschuss wird entnommen. Und ich denke, das macht Soziale Arbeit letztlich kaputt.

Soziale Arbeit kann nur dann eine gute Arbeit sein und unseren hohen fachlichen Standards standhalten, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht die Rendite. (...) Und wenn Pflege wirklich ganzheitliche Pflege ist (…) und nicht der Mensch unterteilt wird in „kleine Wäsche“, „große Wäsche“ (…) und alles mit Preisschild versehen und abgearbeitet wird. Aber genau das ist die Konsequenz aus einer Vergewerblichung. Deswegen unser starkes Plädoyer: Vorrang der Gemeinnützigkeit in der Sozialen Arbeit."