Stellungnahme des Paritätischen zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems
In seiner Stellungnahme kritisiert der Paritätische Gesamtverband die geplanten asyl- und aufenthaltsrechtlichen Änderungen im Entwurf eines "Gesetzes zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems" sowie das Gesetzgebungsverfahren. Er plädiert für ein besonnenes Verfahren und eine Stärkung der Aufnahmebereitschaft statt eines vermehrten Einsatzes von Härte gegenüber Geflüchteten.
Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf reagiert die Bundesregierung auf das schreckliche Terrorattentat von Solingen vom 23.08.2024. Es enthält neben Verschärfungen des Waffenrechts insbesondere asyl- und aufenthaltsrechtliche Verschärfungen.
Der Paritätische Gesamtverband kritisiert die geplanten asyl- und aufenthaltsrechtlichen Änderungen scharf und lehnt diese ab:
- Der Ausschluss von sogenannten „Dublin-Fällen“ von jeglichen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) nimmt die Obdachlosigkeit und Verelendung potentiell tausender Menschen zur Erreichung migrationspolitischer Ziele in Kauf. Er verstößt zudem gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie europarechtliche Vorgaben.
- Die Verschärfungen bei der Aberkennung des Flüchtlingsstatus widersprechen in Teilen der Rechtsprechung des EuGH und konterkarieren durch den verstärkten Einbezug von Straftaten nach dem Jugendstrafrecht den präventiven und erzieherischen Zweck dieser besonderen Form des Strafrechts.
- Die Verschärfungen bei Reisen in das Herkunftsland widersprechen der etablierten und in völker- sowie europarechtlichen Dokumenten verankerten Systematik zum Widerruf der Flüchtlingseigenschaft.
Durch die angestrebten Maßnahmen wie auch die Debatte um Zurückweisungen Geflüchteter an den deutschen Binnengrenzen wird die Anwesenheit Schutzsuchender delegitimiert und der Eindruck erweckt, ihnen könne die in unserer Verfassung verbürgte Menschenwürde abgesprochen werden. All das wirkt sich auch auf diejenigen aus, die als Schutzsuchende wahrgenommen werden. Somit drohen vermehrt Verunsicherung und Spaltung unserer vielfältigen Gesellschaft und bereits mühsam erreichte Integrationserfolge werden zunichte gemacht. Letztlich spielt all das jenen politischen Kräften in die Hände, die an der Abschaffung unserer liberal-demokratischen Institutionen arbeiten.
Der Paritätische Gesamtverband mahnt eindringlich, statt mit immer größerer Härte gegen Schutzsuchende vorzugehen, für Aufnahmebereitschaft in Deutschland und Europa einzustehen. Hierzu gehören ein effektiver europäischer Solidaritätsmechanismus genauso wie die Gestaltung einer Aufnahmegesellschaft, die mit der Anerkennung globaler Fluchtbewegungen die Weichen für die kommenden Jahrzehnte stellt. Hierzu bedarf es einer mutigen Politik, die den Reichtum einer der größten Volkswirtschaften der Welt nutzt, um die tiefgreifenden strukturellen Probleme anzugehen, die nicht durch Einwanderung, sondern jahrzehntelange Verfehlungen unter anderem in den Bereichen Wohnungsbau, Kitabetreuung und Schulwesen verursacht werden. Ein Bekenntnis zur Aufnahmebereitschaft würde dabei auch eine auskömmliche und nachhaltige Finanzierung der vielfältigen Beratungs- und Integrationsangebote für Geflüchtete umfassen, die durch ihre erfolgreiche Arbeit letztlich auch Radikalisierungen jeglicher Couleur entgegenwirken können.
Statt unsere Verfassung und die in ihr verbürgten Grund- und Menschenrechte, unsere europa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen sowie eine unabhängige Rechtsprechung für bestimmte Personengruppen in Frage zu stellen, sollten diese Errungenschaften als Gestaltungsauftrag für eine lebenswerte Zukunft für alle verstanden werden. Es ist an der Zeit, in diesem Sinne zu handeln, wenn Zuversicht und Vertrauen in unsere politischen Institutionen erhalten bleiben sollen.
In der gegenwärtigen Situation wäre zudem ein ruhiges und besonnenes Gesetzgebungsverfahren nötig. Das derzeit zu beobachtende beschleunigte Gesetzgebungsverfahren unterläuft hingegen bewährte demokratische Praxis, insbesondere die Beteiligung von Verbänden und Zivilgesellschaft. Damit schließt sich dieses Gesetzgebungsverfahren einer Reihe von asyl- und aufenthaltsrechtlicher Gesetzgebungsverfahren an, die eine solche Beteiligung entweder durch enorm kurze Stellungnahmefristen oder das Einbringen von Änderungen außerhalb eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens, wie bspw. anhand von Formulierungshilfen, erschweren oder gar unmöglich machen. Es ist auffallend, dass dieses Vorgehen insbesondere bei rechtlichen Änderungen der Fall ist, die zulasten der Betroffenen gehen.
Der Paritätische Gesamtverband betrachtet diese Entwicklung mit größter Sorge. Zum einen wird durch ein solches Vorgehen eine Vielzahl der für das Zusammenleben und den Zusammenhalt einer vielfältigen Gesellschaft zentralen Akteure aus dem Gesetzgebungsverfahren und somit einem zentralen Element unserer demokratischen Ordnung effektiv ausgeschlossen. Gemeinsam mit diesen Akteuren werden zudem oftmals direkt und indirekt auch die von den gesetzlichen Änderungen Betroffenen ausgeschlossen. Zum anderen geht durch den mangelnden Einbezug der zivilgesellschaftlichen Perspektive wertvolles Wissen hinsichtlich der praktischen Konsequenzen gesetzlicher Maßnahmen verloren. Letztlich drohen also mit einem solchen Vorgehen fachlich wie auch demokratisch mangelhafte Gesetze.
Näheres kann der auf dieser Seite hochgeladenen Stellungnahme entnommen werden.