Verbände positionieren sich: Zwangsbehandlungen nicht ausweiten
Gemeinsam mit anderen Verbänden fordert der Paritätische Gesamtverband, unfreiwillige Behandlungsmaßnahmen nicht in den ambulanten Bereich auszuweiten. Anlass zu dieser Stellungnahme geben mehrere Bestrebungen, eine ambulante Behandlung ohne Zustimmung der betroffenen Person auch außerhalb stationärer Krankenhausbehandlung zu ermöglichen.
Nach der aktuellen Rechtslage ist eine ambulante medizinische Behandlung an die Zustimmung des/der Betroffenen gebunden. Dies gilt mindestens, soweit die Person zur freien Willensbildung imstande ist und solange keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt. Behandlungsmaßnahmen gegen den Willen des/der Betroffenen sind nur während einer stationären Behandlung und nur nach im Vorfeld genau definierten Prozeduren zulässig. Die mitzeichnenden Verbände lehnen eine Ausweitung unfreiwilliger Behandlungsmaßnahmen auf den ambulanten Bereich ab. Dies schließt „ambulante Behandlungsweisungen“ nach dem Vorbild der „Community Treatment Orders“ (CTOs) in anderen Ländern ein.
Wesentliche Gründe gegen eine Ausweitung unfreiwilliger Behandlungsmaßnahmen:
- Eingriff in Freiheits-, Menschen- und Grundrechte: Eine unfreiwillige Behandlung im persönlichen Lebensbereich verletzt Grundrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Gleichheit vor dem Gesetz und Unverletzlichkeit der Wohnung.
- Fehlende Evidenz: Es ist nicht belegt, dass die von den Befürworter*innen einer unfreiwilligen ambulanten Behandlung vorgebrachten Ziele – eine Verringerung unfreiwilliger Krankenhausaufenthalte sowie der Forensifizierung – mit der Maßnahme erreicht werden können.
- Gefahr der Ausweitung: Zwangsbehandlungen außerhalb des stationären Kontextes werden kaum auf eine kleine Zahl zu begrenzen sein. Realistisch erscheint eher eine weniger sorgfältigen Prüfung der notwendigen Voraussetzungen für Zwangsmaßnahmen.
Statt über weitere Maßnahmen zur Zwangsbehandlung zu diskutieren, sollten Bedingungen geschaffen werden, um weniger Zwang auszuüben. Damit sich der Personenkreis verkleinert, für den Behandlungen unter Zwang erwogen werden. Dafür ist es notwendig, Probleme im Versorgungssystem (Personalmangel, Kostendruck, zu wenig niederschwellig zugängliche Unterstützungsangebote, Herausforderung durch die Einführung des Bundesteilhabegesetzes), die einseitig zu Lasten der betroffenen Menschen verlagert werden können, zu vermeiden.
Dabei nehmen die Verbände auch die gesellschaftlichen Bedingungen in den Blick, unter denen psychische Erkrankungsverläufe eskalieren und verschiedene Akteure eine ambulante Zwangsbehandlung fordern. Nicht nur die Zahl der in der Forensik untergebrachten Personen steigt, sondern auch die Zahl obdachloser und gleichzeitig schwer psychisch erkrankter Menschen, ebenso die Zahl der an Demenz erkrankten Menschen, der erheblich traumatisierten Geflüchteten und der Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen in Haft.
Die unterzeichnenden Verbände und ihre Mitgliedsorganisationen setzen sich weiterhin mit Nachdruck dafür ein, die Psychiatriereform voranzutreiben. Insbesondere die Ressourcen für ambulante gemeindepsychiatrische Leistungen als auch die der Angehörigen sind zu stärken und mehr Versorgungsgerechtigkeit herzustellen.
Dieser Fachinformation ist die Gemeinsame Stellungnahme zu unfreiwilliger ambulanter Behandlung beigefügt.